40 Prozent der Gefangenen in Brasilien ohne Urteil inhaftiert

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Verhaftungen gehen schnell: Polizeieinsatz in einer Favela
Verhaftungen gehen schnell: Polizeieinsatz in einer Favela

Brasília. Fast jeder zweite Häftling in Brasiliens Gefängnissen sitzt dort ein, ohne in einem Prozess verurteilt worden zu sein. Das geht aus einem nun veröffentlichten Dokument der Interamerikanischen Kommission für Menschrechte (IAKMR) hervor. Die Kommission ist unabhängiges Organ der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS).

Die IAKMR fordert von Brasilien verstärkte politische Anstrengungen, um den "Gebrauch der Untersuchungshaft als Mittel der sozialen Kontrolle oder Form der vorweggenommenen Bestrafung auszurotten". Brasilien ist nach den USA das Land in Amerika mit der höchsten Zahl an Gefängnisinsassen. Aus der Veröffentlichung geht hervor, dass im Jahr 2013 in Brasilien 550.000 Menschen in Haftanstalten lebten. 230.000 Häftlinge waren nicht rechtskräftig verurteilt und hatten somit noch keine Chance bekommen, sich vor Gericht zu verteidigen. IAKMR-Mitglied James Cavallaro erläuterte, dass die Untersuchungshaft in vielen Fällen länger dauere, als die schließlich verhängte Strafe. Bei Brasilien handele es sich um "eines der Länder mit dem höchsten Anteil von Gefangenen weltweit". Hinzu kommen noch fast 150.000 Personen, die unter Hausarrest stehen.

Die brasilianische unabhängige Menschenrechtsorganisation Justiça Global nimmt die IAKMR-Veröffentlichung zum Anlass, mit einer Kampagne auf das Problem des verbreiteten illegalen und missbräuchlichen Einsatzes der Untersuchungshaft durch Polizei und Justiz aufmerksam zu machen. Nötig seien die Befolgung der geltenden Gesetze und höhere rechtliche Hürden, um zu garantieren, dass von vorläufigen Inhaftierungen nur als "letzte Alternative und nicht als Ausgangspunkt" Gebrauch gemacht würde.

Zugleich klagt Justiça Global die katastrophalen Zustände im Gefängnissystem des Landes an. Entgegen den Vorschriften des Haftvollzugsgesetzes müssten sich Untersuchungshäftlinge und verurteilte Täter dieselben Zellen und Einrichtungen der Haftanstalten teilen. Beide Gruppen seien "erniedrigenden Haftbedingungen mit überbelegten Zellen, wenig oder kaum medizinischer Betreuung, mit Gewalt und Folter" ausgesetzt.

Einer Studie des Nationalen Rates für die Justiz (CNJ) zufolge liegt die Gesamtkapazität der brasilianischen Haftanstalten bei 357.219 Plätzen. Die Überbelegung der Gefängnisse liegt damit landesweit bei 37 Prozent. Nach Angaben des Justizministeriums liegt der Anteil der Schwarzen unter den Gefangenen bei fast 60 Prozent und damit weit über ihrem Bevölkerungsanteil. Justiça Global sieht darin einen klaren Beweis für eine von rassistischen Vorurteilen geleitete Praxis im brasilianischen Rechtssystem. Ein falsches Verständnis von innerer Sicherheitspolitik, die auf prävantives Wegsperren setze, sei verantwortlich für die hohe Zahl an Untersuchungshäftlingen.

Die Verbrechen, für die laut IAKMR die meisten Haftstrafen verhängt werden, sind Drogenhandel, gefolgt von Raub, Diebstahl und Totschlag. In Brasiliens Gefängnisse kommt es immer wieder zu blutigen Auseinandersetzungen und Meutereien.