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Unbefristeter Streik der Lehrer in Chile

Pädagogen kämpfen für mehr Gehalt, bessere Arbeitsbedingungen und Mitsprache bei Bildungsreform. Studenten unterstützen Forderungen, Regierung mauert

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Bildungsproteste in Chile leiteten den politischen Wandel ein
Bildungsprotest in Chile leiteten den politischen Wandel ein

Santiago de Chile. Seit dem 1. Juni befinden sich die Lehrer in Chile erneut landesweit in einem unbefristeten Streik, mit dem sie sich gegen den Gesetzentwurf "Plan Docente" wehren, der derzeit im Abgeordnetenhaus diskutiert wird. Der Entwurf sieht unter anderem Neuregelungen bezüglich der Lehrerausbildung und -evaluation vor und ist Bestandteil der von Präsidentin Michelle Bachelet angekündigten Bildungsreform.

Dem Streikaufruf sind laut Angaben der Lehrergewerkschaft Lehrer von 90 Prozent der öffentlichen Schulen gefolgt. Parallel zum Ausstand fanden vergangenen Montag und Mittwoch Großdemonstrationen statt, zudem veranstalteten zahlreiche Schulen Diskussionsrunden, in denen über den geplanten Gesetzentwurf sowie über die Bildungsreform im Allgemeinen informiert und diskutiert wurde. 

Der Vorsitzende der Lehrergewerkschaft, Jaime Gajardo, betonte, dass der Streik eine Antwort auf die fehlende Resonanz und Dialogbereitschaft des Bildungsministeriums sei: "Wir standen mehr als drei Monate mit dem Ministerium in Dialog und haben unsere Vorschläge präsentiert, jedoch wurde nur sehr wenig davon in den Gesetzentwurf übernommen." Die Kritik der Lehrer bezüglich der Reform richtet sich einerseits gegen fehlende Lohnzuwächse und andererseits gegen Neuregelungen, die eine ständige Evaluation der Lehrer vorsehen. Dies würde für die Pädagogen eine noch größere Arbeitsbelastung bedeuten und somit einer Verbesserung der Unterrichtsqualität entgegenstehen. Zudem wird die gesetzliche Umsetzung der angekündigten Zentralisierung des Schulsystems gefordert. Da die öffentlichen Schulen seit der Diktatur (1973-1990) in kommunaler Hand sind, gibt es große landesweite Unterschiede bezüglich der Qualität der Bildung und der Arbeitsbedingungen der Lehrenden. 

Das Bildungsministerium lehnt den Lehrerstreik ab. "Diejenigen, die am meisten darunter leiden, sind die Kinder und ihre Familien", so Valentina Quiroga, die Vizebildungsministerin. Unterdessen haben die Studenten den Lehrern ihre Unterstützung zugesagt. Vergangenen Mittwoch marschierten sie zusammen mit den Pädagogen, für den 10. Juni haben die Studierendenvereinigungen einen Streik angekündigt. 

Sowohl Lehrer als auch Studierende befinden sich seit vielen Monaten in einem konfliktreichen Dialog mit dem Bildungsministerium. Beide Gruppen fühlen sich von den Entscheidungen ausgeschlossen und fordern mehr Mitspracherecht bei der Ausarbeitung der Gesetzentwürfe. Einer der Vertreter der Lehrergewerkschaft, Mario Aguilar, warf dem Bildungsministerium vor, die Partizipation der Lehrer sei eine Farce, und forderte aus diesem Grund, eine neue Gesetzesinitiative für die Reform der Lehrerausbildung und -evaluation zu erarbeiten – dieses Mal unter Einbeziehung der Lehrer.

Nachdem Vermittlungsgespräche zwischen dem Bildungsministerium und der Lehrergewerkschaft vergangenen Donnerstag erneut erfolglos waren und die Aussage des Bildungsministers Eyzaguirre, das Gesetzesprojekt solle man im Kongress und nicht auf den Straßen aushandeln, die Stimmung weiter angeheizt hatte, wurde tags darauf in einer Generalversammlung des Lehrergremiums die Fortsetzung des unbefristeten Streiks beschlossen. Zudem wurde die Zurückziehung des Gesetzentwurfs gefordert. In Reaktion darauf bekräftigte der neue Regierungssprecher Marcelo Díaz, dass der Gesetzentwurf nicht zurückgezogen werde. "Wir werden dieses Projekt nicht zurückziehen. Die Regierung hält ihre Versprechen ein, die sie Chile und den chilenischen Familien gemacht hat, nämlich qualitativ hochwertige Bildung." 

Michelle Bachelet war im März 2014 mit einem Regierungsprogramm angetreten, das historische Ungleichheiten in der chilenischen Gesellschaft zu minimieren versprach. Wichtiger Bestandteil der Sozialreformen war die grundlegende Umstrukturierung des Bildungssystems, welches noch aus Diktaturzeiten stammt und seit Jahren von der chilenischen Gesellschaft abgelehnt wird. 

Die unzureichende Umsetzung der Bildungsreform hat in den letzten Monaten zu wiederholten Protesten geführt, wobei gewaltsame Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten die Situation weiter angeheizt haben. Demonstrationen, landesweite Streiks von Lehrenden und Studierenden sowie besetzte Schulen sind Ausdruck des Unwillens der Regierung, auf die Forderungen der Studenten- und Lehrerbewegung einzugehen und die Bildungsreform umfassend umzusetzen. Obwohl im September vergangenen Jahres die Steuerreform verabschiedet wurde, die als finanzielle Basis der kostenlosen Hochschulbildung gedacht war, weshalb die Regierung verkünden ließ, dass ab März 2016 die universitäre Bildung kostenfrei sein wird, wurde die kostenfreie Universitätsbildung bislang nur für einige Universitäten verabschiedet, andere Grundpfeiler der angekündigten Reform wurden gar nicht umgesetzt. Entsprechend lauten die Forderungen der Studierenden im angekündigten Streik nach wie vor: kostenfreie Bildung, Priorisierung des Rechts auf Bildung, Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Lehrenden sowie keine Gewinnmache durch Bildung.