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Volksabstimmung gegen privates Rentensystem in Chile

Rund eine Million Menschen nahmen teil. 97 Prozent für Abschaffung der privaten Pensionskassen. Bündnis für alternatives, solidarisches Rentensystem

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Einer der zahlreichen Straßenstände, an denen über das Rentensystem in Chile abgestimmt werden konnte
Einer der zahlreichen Straßenstände, an denen über das Rentensystem in Chile abgestimmt werden konnte

Santiago. Auf den Straßen, in Universitäten, Gewerkschaftsbüros und per Internet haben am vergangenen Wochenende nach Angaben der Organisatoren rund eine Million Personen über das chilenische Rentensystem abgestimmt. Durchgeführt wurde das Plebiszit von der “Coordinadora No+AFP” (Koordination "keine privaten Rentenfonds mehr"), einem Gewerkschaftsbündnis, das gegen das aktuelle Rentensystem kämpft. 97 Prozent der Abstimmenden wollen, dass sich dieses System ändert und die aktuellen privaten Pensionskassen abgeschafft werden. Viele Menschen, die am Plebiszit teilnahmen, taten dies mit großem Enthusiamus: Ihre Stimme gegen die Pensionskassen sei auch eine "gegen Scheindemokratie, korrupte Politiker und soziale Ungleichheit". Somit sei die Abstimmung nicht nur eine über das Rentensystem, wie ein Sprecher der „Coordinadora No+AFP“ sagt, sondern vielmehr eine "Wiederherstellung der Volkssouveränität".

Die mediale Präsenz des weder vom Staat noch von Nichtregierungsorganisationen oder Unternehmen finanzierten Volksentscheids war minimal. Das Fernsehen ignorierte ihn schlicht. Dies war auch schon bei früheren Aktionen des Bündnisses No+AFP der Fall, so etwa bei einem landesweiten Streik vergangenen November. Die Abstimmung ist rechtlich nicht bindend. Sie ist aber ein wichtiger Schritt, um Druck aufzubauen und auf ein verbindliches Referendum hinzuarbeiten.

Die privaten Pensionskassen und ihre politischen Vertreter machen währenddessen Lobby für ihre Kassen und verbreiten Angst vor drohender Armut, würden diese abgeschafft. Der Ex-Präsident und aktuelle Präsidentschaftskandidat des rechten Wahlbündnisses "Chile Vamos", Sebastián Piñera, hat sich bereits abschätzig zum Plebiszit geäußert: "In Kuba machen sie Abstimmungen, bei denen 99,9 Prozent die Castros unterstützen". Eine Äußerung, die beachtlicherweise in den Medien mehr Platz fand als die Volksbefragung selbst.

Das aktuelle Rentensystem wurde Anfang der 1980er Jahre während der Diktatur von Augusto Pinochet eingeführt und löste das vorherige staatliche System ab. Maßgeblich an seiner Erfindung beteiligt war José Piñera, Bruder von Sebastián Piñera. Kritisiert wird an diesem System unter anderem, dass es unsolidarisch ist, dass Verluste auf die – zum Einzahlen gezwungenen – “Kundinnen und Kunden” abgewälzt werden, während die privaten Rentenfonds Gewinne in Millionenhöhe machen und so das angebliche "chilenische Wirtschaftswunder" ermöglichen, während sie an die allermeisten Pensionierten Renten weit unter dem Mindestlohn auszahlen. Wer nicht oder nicht genug einbezahlt hat, erhält eine kleine Rente vom Staat.

Das Bündnis "No+AFP" schlägt ein alternatives, solidarisches Pensionssystem vor. Statt individuell zu sparen, sollen die Renten generationenübergreifend finanziert werden. Vorgesehen sind Mindestrenten in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns für alle. Ebenso wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Frauen bisher benachteiligt waren, da sie nicht einzahlten, während sie mit Kindern zu Hause blieben, was sich in extrem niedrigen Renten für viele Frauen niederschlug. Das Rentenalter für Frauen soll gemäß dem Bündnis auf 60 festgelegt werden, während Männer mit 65 in Pension gehen könnten.