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Eine Million Chilenen protestieren gegen privates Rentensystem

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Logo der Kampagne für ein solidarisches, staatliches Rentensystem in Chile
Logo der Kampagne für ein solidarisches, staatliches Rentensystem in Chile

Santigao. Die Koordination der landesweiten Bewegung gegen das private Rentensystem in Chile "No+AFP" ('No mas AFP' – Kein privates Rentensystem mehr) hat Präsidentin Michelle Bachelet in einem offenen Brief zu einem Treffen aufgefordert. Man wolle ihr Vorschläge der Bewegung zur Reform des Rentensystems vorstellen, so der Sprecher der Kampagne, Luis Mesina. Zuvor waren Zusammenkünfte mit Innenminister Mario Fernández und Sozialminister Marcos Barraza ergebnislos geblieben.

In Chile finden derzeit massive Proteste gegen das private Rentensystem statt. Allein in der Hauptstadt Santiago waren unlängst über 600.000 Demonstranten auf der Straße. In mehr als 50 Städten und vor dem Sitz der Vereinten Nationen in der Schweiz richteten sich Demonstrationen gegen das seit der Militärdiktatur unter Augusto Pinochet (1973-1990) bestehende System privater Altersvorsorge, das unter dem Namen AFP (Administradoras de Fondo de Pensiones) bekannt ist. Dieses produziere Reichtum für wenige und Altersarmut für die breite Bevölkerung, so die Kritik. Auf rund eine Millionen Menschen schätzte Mesina die Zahl der Protestierenden, die am 21. August landesweit auf die Straße gingen. Die Bewegung "No+AFP" verbindet breite Sektoren der Bevölkerung von jung bis alt und organisiert die landesweiten Demonstrationen.

Die Privatisierung des Rentenfonds fand 1980 statt. Das ehemals staatliche Rentenversicherungssystem wurde in privat verwaltete Fonds übergeben. Diese sollten untereinander um Einzahlende konkurrieren und ihr Angebot an Rentenauszahlungen stets verbessern. Seit 1983 ist es Pflicht für alle abhängig Beschäftigten, zehn Prozent ihres Lohnes in die AFPs einzuzahlen. Die Fonds vereinigen heute in Chile die größten verfügbaren Summen an Anlagekapital, sie belaufen sich mittlerweile umgerechnet auf mehr als 150 Milliarden Euro. Statt Konkurrenz unter den Rentenversicherern hat die Reform jedoch lediglich einige Finanzoligopole hervorgebracht. Die AFPs sind nur noch sechs von ehemals 20 privaten Kapitalanlegern. Diese Institutionen befinden sich vorwiegend in den Händen reicher chilenischen Familien, die mit den Rentenfonds ihre Investitionen finanzieren.

Die Politik steht für dieses System nicht zuletzt deshalb ein, weil enge Verbindungen zwischen staatlichen Amtsträger und den Vorständen der AFP bestehen. Nachgewiesenermaßen wechselten mindestens 104 Funktionäre zwischen politischen Ämtern und führenden Positionen der privaten Rentenfonds.

Die Einzahlenden profitieren davon jedoch nicht. Im Durchschnitt liegen die Renten bei 38 Prozent des früheren Einkommens. Bei Frauen entspricht die Rente gar nur 28 Prozent ihres früheren Lohns. Praktisch bedeutet das, dass mehr als 90 Prozent der heutigen Rentner nicht mehr als 200 Euro pro Monat zur Verfügung stehen.

Der Druck der Proteste ist so stark geworden, dass Bachelet bereits nach der ersten Großdemonstration Ende Juli eine Serie an Maßnahmen zur Verbesserung des Systems ankündigte. Diese erfüllen jedoch nicht die Forderungen der Demonstranten. Die Bewegung "No+AFP" hat daher angekündigt, für den 4.November zu landesweiten Streiks aufzurufen.

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