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Parlament in Venezuela will alternative Regierung bilden

Militär und Bevölkerung zur Unterstützung eines Interimspräsidenten aufgerufen. Russische Regierung: Washington greift unverhohlen Venezuelas Souveränität an

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Siegessicher mit Unterstützung durch USA, EU und rechtsgerichtete Regierungen Lateinamerikas: Der Vorsitzende des Parlaments, Juan Guaidó (Bildmitte), sieht sich bereits aĺs "Interimspräsident" von Venezuela
Siegessicher mit Unterstützung durch USA, EU und rechtsgerichtete Regierungen Lateinamerikas: Der Vorsitzende des Parlaments, Juan Guaidó (Bildmitte), sieht sich bereits aĺs "Interimspräsident" von Venezuela

Caracas. Der Vorsitzende der Nationalversammlung (AN) von Venezuela, Juan Guaidó, hat einen Tag nach der Vereidigung von Präsident Nicolás Maduro für seine zweite Amtszeit über den Kurznachrichtendienst Twitter bekannt gegeben, dass er die Präsidentschaft des Landes übernehmen und Neuwahlen ausrufen werde. Er stütze sich dabei auf die Verfassung und rufe "die Bürger, die Streitkräfte und die internationale Gemeinschaft zur Unterstützung auf, um die widerrechtliche Machtergreifung zu beenden". Am 23. Januar solle "in allen Ecken des Landes" dafür demonstriert werden, twitterte Guaidó auf dem Account des Parlaments. Zuvor hatte er nach Angaben von Sprechern des US-Außenministeriums ein längeres Telefongespräch mit Außenminister Mike Pompeo geführt.

Nach Bekanntwerden des Telefonats kritisierte Russland die Regierung der USA scharf: Washingtons Politik ziele "auf die verfassungswidrige Schaffung alternativer Regierungsstrukturen in Venezuela ab". Dies sei "ein offener Angriff auf die Souveränität" des Landes, heißt es in einer Stellungnahme des Außenministeriums vom Freitag. Auch die Resolution des ständigen Rates der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) vom 10. Januar, die der zweiten Amtstzeit Maduros die Legitimität abspricht, führe zu nichts. Es dürfe keine weitere Spaltung in der venezolanischen Gesellschaft provoziert werden. Vielmehr müsse zur Suche nach einem Konsens beigetragen werden, damit Regierung und Opposition gemeinsam die Spannungen verringern und die Situation gemäß der Verfassung und der geltenden Gestze bewältigen. Moskau werde auch weiterhin "eng mit Venezuela, seinem Volk und seiner legitimen Regierung zusammenarbeiten", so das russische Außenamt.

Öffentliche Unterstützung erhielt der Politiker von der Rechtspartei Voluntad Popular und neu gewählte AN-Präsident umgehend vom Nationalen Sicherheitsberater der USA, John Bolton, einer Gruppe ehemaliger Richter aus Venezuela und von OAS-Generalsekretär Luis Almagro. Bolton bekräftigte, die US-Regierung unterstütze ihn, "besonders seine mutige Entscheidung, sich auf die Verfassung zu berufen und zu erklären, dass Maduro nicht rechtmäßiger Präsident des Landes ist." Die Nationalversammlung sei "der einzig legitime Organismus des Landes", so Bolton.

Der Oberste Gerichtshof Venezuelas hatte das von der Opposition dominierte Parlament wegen unrechtmäßiger Vereidigungen von Abgeordneten, die wegen mutmaßlichen Wahlbetruges suspendiert waren, im September 2016 "in Missachtung" (der Gesetze) und alle seine Entscheidungen für null und nichtig erklärt. Seitdem ist die AN entmachtet, die am 30. August 2017 gewählte verfassunggebende Versammlung hat ihre Befugnisse übernommen.

In einem Twitter-Videoauftritt aus dem Sitz der OAS in Washington meldeten sich auch ehemalige venezolanische Richter zu Wort, die im Exil leben und sich selbst zum "Legitimen Obersten Gerichtshof" (Legítimo Tribunal Supremo de Justicia) erklärt haben. Man stehe hinter Guaidó, "der die Funktionen des Präsidenten übernimmt. Wir werden gemeinsam arbeiten, um die Demokratie wiederherzustellen". Ihr Statement fand die volle Zustimmung Almagros: "Wir unterstützen den Rückhalt des @TSJ-Legitimo für Interimspräsident #Venezuela@jguaido".

Wie die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, hat die ultrarechte Regierung von Brasilien unter Jair Bolsonaro am Samstag eine Erklärung herausgegeben, dass sie den Parlamentsführer als "legitimen Präsidenten von Venezuela" anerkennt.

Guaidó beruft sich vor allem auf Artikel 233 der Verfassung, laut dem innerhalb von 30 Tagen Neuwahlen folgen müssen, wenn sich vor der Amtseinführung "ein zwingender Hinderungsgrund bezüglich der Person des gewählten Präsidenten ergibt". Bis dahin nimmt der Vorsitzende der Nationalversammlung die Präsidentschaft der Republik wahr. Der "zwingende Hinderungsgrund" ist für die Opposition und ihre Verbündeten, dass die Wahl Maduros vom Mai 2018 ihrer Auffassung nach nicht legitim war.

Wie die zerstrittene und geschwächte Opposition allerdings innerhalb von 30 Tagen einen gemeinsamen und aussichtsreichen Kandidaten für Präsidentschaftswahlen finden will, ist unklar.

Inzwischen ruderte das Parlament etwas zurück. Während es in einer AN-Veröffentlichung zunächst hieß, Guaidó habe die "Befugnisse der Präsidentschaft der Republik" übernommen, wurde dies später dahingehend relativiert, dass er auf Verfassungsartikel verwiesen habe, die dies ermöglichen. Der Leiter der AN-Verfassungskommission, Juan Miguel Matheus sagte: "Wir wissen alle, dass innerhalb von 30 Jahren Tagen keine freien Wahlen ausgerufen werden können", wie in Art. 233 vorgeschrieben. Führende Vertreter der verschiedenen Oppositionsparteien äußerten sich bisher gar nicht. Der Unternehmerverband Venezuelas bekräftigte lediglich die Unterstützung für das Parlament und dessen Anerkennung als "einziger demokratisch gewählter Staatsgewalt".

Präsident Maduro bezeichnete die Vorstöße des Parlaments als "Twitter-Putsch". Mit einer "Medienshow" und Lügen werde versucht, im Ausland ein falsches Bild der Situation zu zeichnen und im Land selbst auf eine Destabilisierung hinzuwirken. Er rief die Bevölkerung auf "vereint und mobilisiert auf der Straße" präsent zu bleiben, um erneute gewaltsame Proteste der Opposition zu verhindern.

Maduro hat am 10. Januar seine zweite Amtszeit angetreten, nachdem er im Mai 2018 wiedergewählt worden war. Die USA, die Europäische Union und einige Staaten Lateinamerikas erkannten die Wahl und entsprechend die Amtsübernahme am vergangenen Donnerstag nicht an und beklagten demokratische Defizite.