UN-Expertin kritisiert Modell der industriellen Landwirtschaft in Argentinien

Forderung an Regierung Macri, das Recht auf Nahrung zu gewährleisten, bevor sie öffentliche Gelder zur Schuldentilgung an den IWF verwendet

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Sojafeld in Argentinien. Das Land ist der weltweit drittgrößte Sojaproduzent und-exporteur
Sojafeld in Argentinien. Das Land ist der weltweit drittgrößte Sojaproduzent und-exporteur

Buenos Aires. Das argentinische Agrarmodell, das gentechnisch veränderte Monokulturen vorantreibt, hat gravierende Folgen für Gesundheit, Umwelt und die Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln. Dies geht aus einem aktuellen Bericht der Sonderberichterstatterin für das Menschenrecht auf Nahrung der Vereinten Nationen (UN), Hilal Elver, hervor.

Der Bericht, den sie dem UN-Menschenrechtsrat vorgelegt hat, basiert auf einem Argentinien-Besuch der Expertin im September 2018. Dabei analysierte sie auch die Auswirkungen der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise auf das Menschenrecht auf Nahrung.

Das Land konzentriere sich einseitig auf die Anwerbung ausländischer Investitionen und oftmals gentechnisch veränderte Agrarexporte, während nur eine kleine Minderheit von diesem Modell profitiere und es Probleme gebe, gesunde Nahrungsmittel für alle zu gewährleisten. Zudem träfen die Folgen der Austeritätspolitiken – Inflation, steigende Lebensmittelpreise, Kaufkraftverlust –  vor allem die städtische ärmere Bevölkerung, landlose Bauern, Landarbeiter, Migranten und indigene Völker, aber auch zunehmend Mittelschichten. Es gebe einen direkten Zusammenhang zwischen der seit 2018 alarmierend angestiegenen vor allem städtischen Armut und der Ernährungsunsicherheit sowie Unterernährung. Laut der UN-Welternährungsorganisation FAO stieg der Anteil der Argentinier, die unter Ernährungsunsicherheit leiden, von 5,8 Prozent (2,5 Millionen Personen) im Zeitraum 2014-2016 auf 8,7 Prozent (3,8 Millionen) im Zeitraum 2015-2017.

Aus Not müssten viele Arme zur Bedürftigenspeisung gehen oder Mahlzeiten auslassen und die Ernährung vieler Kinder hinge allein vom Schulessen ab. Dabei würde die reiche Ausstattung des Landes mit natürlichen Ressourcen die Selbstversorgung auf der Grundlage einer diversifizierten Nahrungsproduktion ermöglichen.

Die Regierung von Präsident Mauricio Macri müsse prioritär das Recht auf Nahrung gewährleisten, bevor sie öffentliche Gelder zur Schuldentilgung an den Internationalen Währungsfonds verwende. Die UN-Sonderberichterstatterin hebt hervor, dass das Recht auf Nahrung mit anderen Menschenrechten in engem Zusammenhang steht, zu deren Einhaltung sich Argentinien in völkerrechtlichen Verträgen verpflichtet habe. Opfer von Menschenrechtsverletzungen könnten sich an neutrale internationale Organisationen wenden , um von der Regierung adäquate Reparationen zu verlangen.

Sie  problematisiert auch die hohe Landkonzentration und dass auf rund 60 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche Soja für den Export angebaut wird. Die Produktpalette habe sich in den letzten Jahrzehnten immer mehr auf den Anbau weniger Kulturen verengt. Die Nationale Biotechnologie-Kommission stehe zudem in einem Interessenkonflikt, da sie von den Agrarkonzernen selbst besetzt sei und gentechnisch verändertes Soja, Mais und Baumwolle zugelassen habe, das mit hohem Pestizideinsatz auf 22 Millionen Hektar angebaut wird. Eine effektive Gesetzgebung, um den Pestizideinsatz zu reduzieren und von Vergiftungen betroffene Opfer zu entschädigen, existiere nicht. Das Waldgesetz 26631 und andere Umweltgesetze würden mangels staatlichen Interesses nicht respektiert. Infolge des industriellen Monokulturanbaus würden die Wälder zerstört, Gewässer kontaminiert und die Böden degradiert. Indigene Völker seien besonders vom Vordringen der Agrarindustrie betroffen: Sie verloren ihr angestammtes Land und mussten in die städtischen Elendsviertel migrieren.

Die Sonderberichterstatterin. kritisiert außerdem das Drängen der Agrarkonzernlobby, das argentinische Saatgutgesetz hin zu stärkerer Patentierung zu ändern. Stattdessen sollten die bäuerlichen Eigentumsrechte geschützt werden, damit diese weiterhin frei ihr traditionell gewonnenes Saatgut aussäen und vermarkten dürften und so die genetische Vielfalt bewahrt bleibe. Die Banken sollten statt der Exportindustrie die klein- und mittelständische Nahrungsproduktion unterstützen, da die kleinbäuerliche Landwirtschaft zwei Millionen Menschen beschäftige und mit fast der Hälfte der Gemüse- und Obstproduktion die Ernährungssicherheit des Landes garantiere.

Elver erinnert Argentiniens Regierung an ihre menschenrechtliche Verpflichtung, in Zeiten der Wirtschaftskrise prioritär Ressourcen zur Gewährleistung des Rechts auf Nahrung bereitzustellen und fordert sie auf, hierzu die bäuerliche Familienlandwirtschaft und die Agrarökologie stärker zu unterstützen, den Landzugang indigener Völker zu schützen und das Prinzip der Ernährungssouveränität gesetzlich zu verankern. Allein die Agrarökologie sei eine zukunftsfähige Alternative und müsse vom Staat gefördert werden, um die Landwirtschaft nachhaltig zu diversifizieren, die Naturressourcen zu schützen und sich an den Klimawandel anzupassen. Staatliche Schulspeisungsprogramme sollten die kleinbäuerliche Produktion aufkaufen.