Brasilien: Aktivist der Landlosenbewegung bei Demonstration überfahren

Mann fährt mit Kleintransporter in eine Gruppe Protestierender. 72-Jähriger stirbt, mehr als zehn Menschen werden verletzt

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Demonstration am Samstag in Valinhos im Gedenken an Luiz Ferreira da Costa
Demonstration am Samstag in Valinhos im Gedenken an Luiz Ferreira da Costa

Valinhos, São Paulo. Für Empörung und Proteste sorgt in Brasilien ein Vorfall in Valinhos im Bundesstaat São Paulo. Dort ist am vergangenen Donnerstag ein Mann mit einem Kleintransporter in eine Gruppe Demonstranten der brasilianischen Landlosenbewegung (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra, MST) gefahren und hat dabei mindestens zehn Personen verletzt. Der 72-jährige MST-Aktivist Luiz Ferreira da Costa erlag kurze Zeit später im Krankenhaus seinen Verletzungen.

Circa 200 Bewohner der Siedlung "Marielle lebt" ‒ benannt nach der ermordeten linken Stadträtin und Aktivistin Marielle Franco ‒ hatten sich am Donnerstag gegen acht Uhr an einer Hauptstraße in der Nähe ihrer Siedlung versammelt, um für Ihre Rechte zu demonstrieren. Sie fordern von der Stadtverwaltung insbesondere, einen Wasseranschluss auf dem von Ihnen besetzten Land zu installieren und ihnen Zugang zu Bildungs- und Gesundheitsdienstleistungen zu ermöglichen. Die Siedlung befindet sich in Nähe der Stadt Valinhos. Mehr als 1.000 Familien besetzen dort seit April 2018 nicht bewirtschaftetes Land der Maklerfirma Eldorado Empreendimentos. Zuvor hatte der Gerichtshof von São Paulo festgestellt, dass die Firma das Grundstück nur zum Zweck der Immobilienspekulation benutzt.

Der Täter, ein 60-jähriger Mann namens Leo Luiz Ribeiro, flüchtete. Er konnte dank eines zufällig vor Ort aufgenommenen Videos und mit Hilfe der Aufzeichnungen von Autobahnkameras noch am selben Tag gefasst werden. Laut der brasilianischen Nachrichtenplattform G1 gestand Ribeiro die Tat und gab an, nicht bemerkt zu haben, dass er jemanden überfahren hatte. Dass er das Fahrzeug beschleunigte, als er sich den Demonstranten näherte, sei aus Angst vor ihnen geschehen, erklärte er.

Die Bewegung der Landlosen wurde 1984 als Antwort auf die ungleiche Verteilung von Land gegründet. Die MST organisiert Besetzungen von brachliegenden Grundstücken, auf dem Familien ohne eigenes Land angesiedelt werden. Danach wird häufig eine Legalisierung der Landnahme angestrebt. Neben den Besetzungen ist die MST inner- und außerparlamentarisch politisch aktiv und organisiert unter anderem Bildungsprojekte in den Siedlungen. Auf Grund ihrer Politik und Methoden hat die Bewegung viele Gegner, insbesondere auf Seiten der Großgrundbesitzer. Seit dem Bestehen der Organisation kommt es immer wieder zu Anschlägen auf Siedlungen und Aktivisten.

Präsident Jair Bolsonaro hat sich im Lauf seiner politischen Karriere immer wieder kritisch oder gar abwertend über die Landlosenbewegung geäußert. Im ersten Interview nach seinem Amtsantritt erklärte er, Besetzungen durch die MST künftig nicht mehr zu dulden. Er werde weder mit der Landlosenbewegung noch mit der Bewegung der obachlosen Arbeiter (Movimento dos Trabalhadores Sem Teto) Gespräche führen. "Jede Aktion von MST und MTST wird als Terrorismus beurteilt werden. "Das Privateigentum ist heilig", so Bolsonaro.

Die MST macht ihn und seine Politik für die Zunahme der Anschläge auf Siedlungen und Aktivisten im letzten Jahr verantwortlich.

Seit Donnerstag haben sich viele Personen in den sozialen Medien zum Vorfall und seiner politischen Dimension geäußert. Die ehemalige Präsidentin Dilma Rousseff nahm auf dem Kurznachrichtendienst Twitter und auf ihrer Homepage Stellung: "Es war kein Unfall. Es war keine Tragödie. Es war Mord." Der derzeit inhaftierte Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva erklärte in einem Brief an die Aktivisten der Siedlung "Marielle Vive" seine Solidarität mit der Bewegung und der Familie des Getöteten. Der Eskalation des Hasses im Land, der in Gewalt umschlage, müssen täglich entgegengetreten werden, so Lula.

Am Samstag demonstrierten zahlreiche Menschen in Valinhos in Gedenken an Luiz Ferreira da Costa, forderten ein Ende der Gewalt und eine Landreform.