Treibstoffmangel lähmt die Industrie in Venezuela

Industrieverband: Kraftstoffknappheit Hauptursache für aktuelle Probleme in der Produktion. Regierung sucht Einigung mit der Privatwirtschaft, um ein Ende der US-Sanktionen zu erreichen

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Vizepräsidentin Rodríguez bei der 77. Jahresversammlung von Fedecámaras
Vizepräsidentin Rodríguez bei der 77. Jahresversammlung von Fedecámaras

Caracas. Venezuelas Industrieverband Conindustria hat berichtet, dass die Produktion des Landes durch den anhaltenden Treibstoffmangel zunehmend gelähmt wird. Der Vorsitzende Luigi Pisella führte aus, dass lange Warteschlangen an den Zapfsäulen sowie hohe Schwarzmarktpreise für Kraftstoffe "Probleme sind, die zu Konsequenzen führen, nicht nur hinsichtlich der Effektivität der Industrie, sondern auch der steigenden Kosten (...) Diese Verluste werden definitiv von der Industrie getragen."

Seine Äußerungen beziehen sich auf einen im Juni veröffentlichten Conindustria-Bericht zum ersten Trimester. Demnach ist die Industrieproduktion von 68 Prozent ihrer Kapazität im Jahr 2012 auf derzeit 18 Prozent zurückgegangen. Etwa 76 Prozent der befragten Industriellen gaben die Treibstoffknappheit als Hauptursache für die aktuellen Probleme an, während andere die "Unsicherheit" der öffentlichen Dienstleistungen wie Strom und Wasser, zu hohe Steuersätze und einen Rückgang der nationalen Nachfrage nannten.

Die Kraftstoffknappheit hat massiv zugenommen, nachdem die US-Regierung im Oktober 2020 auch den Tausch von Öl gegen Diesel unter Strafe gestellt hat. Das südamerikanische Land ist weiterhin von lebenswichtigen Importen abgeschnitten und die den Erdöl-Sektor lähmende Blockade hat zu einem erheblichen Rückgang der Benzin- und Dieselproduktion geführt. In der Folge wurden der gewerbliche Güterverkehr und der öffentliche Nahverkehr stark beeinträchtigt, da sich die Fahrer in tagelangen Schlangen anstellen mussten, um die begrenzten Kontingente zu erwerben, die oft nur 20 oder 30 Liter pro Woche betrugen.

Die Sanktionen Washingtons stoßen intenational auf heftige Kritik, auch die Vereinten Nationen bezeichnetetn sie kürzlich als "illegal" und "verheerend".

Die Regierung von Präsident Nicolás Maduro hat indes eine Einladung zur 77. Jahresversammlung des Unternehemverbandes Fedecámaras angenommen. Vizepräsidentin Delcy Rodríguez nahm als erste Regierungsvertreterin seit 20 Jahren an dem Event teil. Begleitet wurde sie von den Ministern Eneida Laya (Handel), José Rivero (Arbeit) und von Anti-Blockade-Vizeminister William Castillo sowie Abgeordneten der Nationalversammlung. Ebenfalls anwesend war der Weihbischof von Caracas, Ricardo Barreto, der ein Schreiben des Staatssekretärs des Vatikans, Kardinal Pietro Parolin, verlas.

Die Regierung Maduro bemüht sich seit einer Weile, eine gemeinsame Basis mit den Privatunternehmen für die Forderung nach Aufhebung der Blockade zu finden. Eine Reihe arbeitnehmerfeindlicher Maßnahmen in den Bereichen Tarifverhandlungen, Löhne und soziale Sicherheit sowie unternehmerfreundliche Gesetze wie das Antiblockadegesetz und das Gesetz über Sonderwirtschaftszonen, die beide von den Unternehmerverbänden begrüßt wurden, haben die Beziehungen zwischen beiden Seiten gestärkt.

Fedecámeras hat die linken Regierungen seit dem Amtsantritt von Hugo Chávez 1999 heftig bekämpft und spielte eine führende Rolle beim Putsch von 2002 und dem anschließenden Ölstreik. Nach der Wahl 2013 hat die Regierung Maduro den Verband auch der "Wirtschaftssabotage" beschuldigt.

In ihrer Rede vor der Versammlung betonte Rodríguez die negativen Auswirkungen der einseitigen Zwangsmaßnahmen auf die Wirtschaft und das neue Engagement der Regierung, mit dem Privatsektor zusammenzuarbeiten. "Die Beteiligung der Privatwirtschaft an der Entwicklung des produktiven Potenzials Venezuelas ist der Weg nach vorne", sagte sie. Rodríguez kündigte die Einrichtung von Arbeitsgruppen mit Vertretern des Privatsektors an, die bei der "Ausarbeitung von Maßnahmen zur Entwicklung und Förderung der Produktion" helfen sollen.

Der neue Fedecámaras-Präsident Ricardo Cusanno schlug einen ähnlich versöhnlichen Ton an: "Ich möchte, dass wir die Spannungen abbauen. Wir wollen Lösungen schaffen, wir wollen zusammenkommen".

Rodríguez‘ Anwesenheit bei der Versammlung führte indes in den sozialen Medien zu Kritik.

Die Vertreter der ultrarechten Opposition, Carlos Vecchio und Andrés Velásquez, bezeichneten die Einladung als "schändlich". Eine Reihe weiterer Oppositioneller, darunter María Corina Machado und Antonio Ledezma sowie ehemalige Leiter von Fedecámaras beschuldigten die derzeitige Verbandsführung, die seit langem bestehende Opposition der Zunft gegen den Chavismus "zu verraten".

Die Kommunistische Partei Venezuelas und das Bündnis Revolutionäre Volksalternative für Venezuela sehen dagegen einen weiterer Beweis für den "arbeitnehmerfeindlichen Pakt" zwischen der Regierung Maduro und der Privatwirtschaft.