Chile / Politik

Chile: Öffnung in die Mitte – gewählter Präsident Gabriel Boric präsentiert seine Regierung

Mehrheitlich Frauen an der Spitze der Ministerien. Opposition begrüßt Auswahl. Direktor der Nationalbank wird Finanzminister

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Die neue chilenische Regierung vor dem Naturhistorischen Museum.
Die neue chilenische Regierung vor dem Naturhistorischen Museum.

Santiago. Am gestrigen Freitag  – knapp zwei Monate vor Regierungsantritt – hat Chiles designierter Präsident Gabriel Boric seine Kabinettsmitglieder vorgestellt.

Mit 14 Frauen und zehn Männern ist es die erste Regierung des Landes, die mehr Frauen als Männer an der Spitze der verschiedenen Ministerien hat. Camila Vallejo, die neue Regierungssprecherin, ehemalige Studierendenführerin und Parlamentarierin der Kommunistischen Partei (KPCh), unterstrich die Bedeutung der feministischen Bewegung. "Wir verpflichten uns, eine feministische Regierung zu sein", sagte sie in ihrer ersten Ansprache.

Izkia Siches, die als Präsidentin der Ärzt:innenkammer während der Pandemie eine wichtige und kritische Stimme gegenüber der Regierung war, übernimmt als erste Frau überhaupt das chilenische Innenministerium. "Ein bedeutendes Signal gegenüber den Frauen", so Vallejo gegenüber den anwesenden Medien.

Die Opposition ihrerseits begrüßte die Ausweitung der Regierung in Richtung der politischen Mitte. Mindestens sechs Ministerien werden von ehemaligen Persönlichkeiten der vergangenen Mitte-Links-Koalition Concertación übernommen. Diese regierte durchgehend von 1990 bis 2010 und wird für die Vertiefung des neoliberalen Modells der Militärdiktatur verantwortlich gemacht. "Es ist eine gute Auswahl, Personen mit viel Erfahrung", sagte der rechte Parlamentarier Javier Makaja gegenüber des Fernsehsender Tele13.

Insbesondere die Ernennung von Mario Marcel als Finanzminister löste innerhalb der Medien, der Opposition und den Unternehmer:innen große Erleichterung aus. Marcel war bislang der Direktor der Nationalbank. Davor arbeitete er für die Interamerikanische Entwicklungsbank und als Berater in der OECD. Er gilt als politischer Vertrauter der ehemaligen Präsidentin Michelle Bachelet.

Des Weiteren werden viele Ministerien von Expert:innen und Forscher:innen in ihrem Gebiet übernommen. Das Frauenministerium wird nun der Feministin Antonia Orellena geführt. Karina Nohales, Mitglied der feministischen Coordinadora 8 de Marzo, schreibt auf Twitter, Orellana sei ein wichtiges Signal im Kampf gegen die Gewalt an Frauen und für die Legalisierung der Abtreibung.

Der neue Transportminister, Juan Muñoz, seinerseits Direktor des Forschungszentrum für Nachhaltige Urbane Entwicklung (CEDEUS), ist bekannt dafür, den Öffentlichen Nahverkehr zu nutzen und sich mit dem Fahrrad in der Stadt zu bewegen – eine Besonderheit in einem Land, in dem sich viele Mitglieder der Ober- und Mittelschicht in Autos fortbewegen. Das Forschungszentrum selber gab bekannt, man hoffe, das Land werde in der Entwicklung von nachhaltigen Fortbewegungsmitteln und gerechten Städten voranschreiten.

Trotz der Benennung der Kommunistin Camila Valleja als Generalsekretärin ist die KPCh in Bezug auf ihre Wähler:innenstärke innerhalb der Regierungskoalition Apruebo Dignidad deutlich unterrepräsentiert. Sie bekam einzig drei Ministerien. Davon zwei mit bisher weniger großer Bedeutung: Das Arbeitsministerium wird künftig von der Kommunistin und Gewerkschafterin Jeannette Jara geleitet und das Wissenschaftsministerium, erst im Jahr 2018 gegründet, wird vom ehemaligen Vizedirektor für Forschung der staatlichen Universidad de Chile und Parteimitglied der KPCh, Flavio Salazar, übernommen.

Die Verteilung der Ministerien steht im Einklang mit bisherigen Aussagen von Boric. Es geht der neuen Regierung darum, Veränderungen mit dem Ziel eines sozialeren und umweltfreundlicheren Chiles durchzuführen, die Ära des Neoliberalismus zu beenden, aber "graduell" vorzugehen, ohne die rechten Sektoren und Unternehmer:innen zu sehr abzuschrecken.

In diesem Sinne gewinnt der chilenische Peso seit dem Wahlsieg von Boric deutlich an Wert. Es wird erhofft, dass sich durch seine Regierung die sozialen Proteste beruhigen und eine stabile wirtschaftliche Lage entsteht.