EU-Mercosur: Ein Abkommen für die Autoindustrie?

Neue Studie belegt: Viele Regelungen begünstigen EU-Autoindustrie erheblich. Lobbying von Industrie und Ministerialbürokratie "überaus erfolgreich"

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Die Autoindustrie würde vom EU-Mercosur-Abkommen in besonderem Maße profitieren (Deckblatt der Studie)
Die Autoindustrie würde vom EU-Mercosur-Abkommen in besonderem Maße profitieren (Deckblatt der Studie)

Berlin et al. Autokonzerne haben massiv Einfluss auf die Verhandlungen über das Handelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Wirtschaftsbündnis Mercosur genommen.

Das geht aus der neuen Studie "Mobilitätswende ausgebremst. Das EU-Mercosur-Abkommen und die Autoindustrie" hervor, die vom Hilfswerk der katholischen Kirche Misereor, der Deutschen Umwelthilfe, Greenpeace Deutschland, PowerShift, Attac Deutschland., Attac Österreich und dem Netzwerk Gerechter Welthandel herausgegeben wurde.

Erarbeitet hat die Studie Thomas Fritz, Autor und Berater in Berlin mit den Schwerpunkten Wirtschaftspolitik und nachhaltige Entwicklung. Er ist Verfasser zahlreicher Studien über Handelspolitik und globale Lieferketten und ist freier Mitarbeiter bei PowerShift sowie beim Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL) in Berlin.

In einer Pressemitteilung der herausgebenden Organisationen heißt es, seine Untersuchungen hätten ergeben, dass es eine enge Kooperation zwischen der Europäischen Kommission und den Verbänden der Automobilindustrie während der Verhandlungen zwischen EU und Mercosur gegeben habe.

Dabei sei die Lobbyarbeit nicht nur von den Konzernen selbst ausgegangen, auch Mitarbeiterinnen des bundesdeutschen Wirtschaftsministeriums und der EU-Kommission seien aktiv auf Wirtschaftsverbände zugegangen, um deren Wünsche zu erkunden und in die Verhandlungen mit den Mercosur-Staaten einzubringen. Dies belegten interne E-Mails.

Unter anderem zitiert Fritz aus einer E-Mail einer Mitarbeiterin des deutschen Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie an den deutschen Verband der Automobilindustrie, VDA, vom 29. Mai 2017: "Daher bitte ich Sie Ihre Mitgliedsunternehmen zu befragen (…) Wir würden diese Position dann über die EU-Kommission in die (Mercosur) Verhandlungen einbringen."

Das Ergebnis der "erfolgreichen Einflussnahme" sei ein Vertragstext, der Zölle auf Autos mit Verbrennungsmotor, Autoteile und Rohstoffe für die Autoproduktion beseitigen sowie die Ausfuhr von Kraftstoffen auf der Basis von Nahrungs- und Futtermitteln fördern würde. Dadurch verstärke das Abkommen den Verbrauch fossiler Brennstoffe im Verkehr und fördere klimaschädlichen Ressourcenabbau.

"Dieses Abkommen bremst die dringend nötige Mobilitätswende auf Kosten öffentlicher Transportmittel aus", kritisiert Hanni Gramann von Attac Deutschland. "Wir sollten auf ressourcenschonende und klimafreundliche Alternativen setzen, die allen Menschen Mobilität ermöglichen, statt die Profiterwartungen der Automobilindustrie zu erfüllen."

Die Herausgeber der Studie sehen durch die geplanten Zollerleichterungen eine verstärkte Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und die Gefahr der Ausweitung des Anbaus von Soja und Zuckerrohr zur Verwendung als Brennstoff auf Kosten des Klimas und der Welternährung.

"Mehr denn je werden Agrarflächen für die Ernährungssicherung gebraucht, nicht zur Produktion von Fleisch oder Treibstoff für Autos. Die Automobilindustrie hat sich mit diesem Abkommen den Export ihrer klimaschädlichen Verbrenner auf Jahrzehnte gesichert. Gleichzeitig begünstigt das Abkommen, dass noch mehr Lebensmittel wie Soja und Zuckerrohr im Tank landen. Das würde die auf einer Verteilungskrise basierende globale Ernährungsnot noch weiter anheizen", wird Sascha Müller-Kraenner von der Deutschen Umwelthilfe zitiert.

Laut der Studie profitiert die Autoindustrie "vom engen Zusammenspiel mit der Politik" beim Zustandekommen des Abkommens. Dazu gehöre etwa die sukzessive Beseitigung aller Zölle auf Autos und Autoteile und auf Rohstoffe wie Eisen und Stahl, Aluminium, Kupfer, Blei, Zink sowie auf Lithium, das für Elektroautos gebraucht wird. Die Mercosur-Staaten würden außerdem auf Exportsteuern für Soja, Biodiesel und Rindsleder für Autositze verzichten.

"Das EU-Mercosur-Abkommen ist ein Autos-gegen-Fleisch-Deal, der vor allem einem Ziel dient: Herstellern klimaschädlicher Autos Produktions- und Importkosten zu sparen. Mit einem gerechten und nachhaltigen Handelsabkommen hat das nichts zu tun. Es muss gestoppt werden", erklärte Lis Cunha von Greenpeace.

Nach Angaben von Armin Paasch von Misereor belegt die Studie mit Fallbeispielen, dass "Viehzucht, Anbau von Soja und Zuckerrohr sowie Abbau metallischer Rohstoffe in Brasilien, Argentinien und Paraguay hauptverantwortlich für Entwaldung, Vertreibung von indigenen Gemeinschaften, Umweltschäden und Menschenrechtsverletzungen" sind.

Erst Anfang dieses Jahres kam ein Bericht der in Madrid ansässigen Beobachtungsstelle für multinationale Unternehmen in Lateinamerika (Omal) zu dem Ergebnis, dass Deutschland, Italien und Spanien die höchsten Treibhausgasemissionen im Zusammenhang mit Lebensmittelimporten aus Lateinamerika produzieren.

Ein Artikel in der Zeitschrift One Earth zeigte zudem auf, dass die Rohstoffexporte in die EU für die Abholzung von 120.000 Hektar Waldfläche pro Jahr in den Mercosur-Ländern verantwortlich sind. Neben dem Amazonasgebiet sind weitere wichtige Biome wie der Cerrado in Brasilien betroffen. Er ist das zweitgrößte Biom des Landes und ein Biodiversitäts-Hotspot, in dem sich Grundwasser- und Wassereinzugsgebiete befinden, die für ganz Lateinamerika von entscheidender Bedeutung sind. Kritiker befürchten, dass mit Inkrafttreten des Handelsabkommens die Entwaldung deutlich zunehmen wird.

Dem "Mercardo Comun del Sur" (Gemeinsamer Markt Südamerikas) gehören Argentinien, Brasilien, Paraguay und Uruguay an. Die Mitgliedschaft Venezuelas wurde 2017 "auf unbestimmte Zeit" suspendiert. Die Entscheidung wurde über die Anwendung der sogenannten Demokartieklausel formalisiert, wonach in Venezuela ein "Bruch der demokratischen Ordnung" festzustellen sei.