Bolivien: Debatte um Urteil im Áñez-Verfahren

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Jeanine Áñez bei ihrer Festnahme am 13. März 2021
Jeanine Áñez bei ihrer Festnahme am 13. März 2021

La Paz. Die ehemalige bolivianische De-facto-Präsidentin Jeanine Áñez ist vergangene Woche zu zehn Jahren Haft verurteilt worden. Vorvergangenen Freitag verkündete das Strafgericht in La Paz das Urteil gegen Áñez sowie sechs ehemalige Militär- und Polizeikommandierende wegen verfassungswidriger Übernahme der Senatspräsidentschaft und Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit dem Putsch im Jahr 2019. Das Urteil wird von Seiten der Staatsanwaltschaft und Regierungsvertretenden als zu milde kritisiert.

Im November 2019 hatte Áñez im Rahmen eines vom Militär gestützten Putsches gegen den damaligen Präsidenten Evo Morales, verfassungswidrig die Regierungsaufgaben übernommen. Dabei lösten ihre Handlungen eine Phase der Gewalt und Repression gegen indigene, soziale und linke politische Organisationen aus.

Mit Bezugnahme zur Schwere des Verfassungsbruches brachte der Generalstaatsanwalt sein Unverständnis für das Urteil zum Ausdruck. Seine Behörde fordert eine Erhöhung des Urteils auf 15 Jahre Haft.

Diejenigen in der bolivianischen Gesellschaft, die argumentieren, dass es keinen Putsch gegeben habe, für den Áñez angeklagt werden könne, prangern hingegen das Urteil als Machtmissbrauch der Regierung an und versuchen dagegen mittels der Medien und Organisationen der traditionellen Eliten zu mobilisieren.

Dabei steht ein großer Teil der Bevölkerung hinter der Regierungspartei Bewegung zum Sozialismus (MAS). Diese bekräftigt ihre Unterstützung für die Verurteilung von Áñez. Gleichzeitig kritisieren Vertreter der MAS die Strafe als zu gering im Verhältnis zu dem Schaden an der bolivianischen Staatlichkeit, den sie mit ihren Handlungen verursacht hat.

Auch wenn das Urteil nach Aussagen des ehemaligen Präsidenten Morales ein erster Schritt in Richtung Gerechtigkeit für die Massaker an seinen "Brüdern" sei, ist die eigentliche Anklage gegen Áñez hinsichtlich der Opfer der Repression während ihrer Regierungszeit noch offen.

Der Vorwurf richtet sich gegen das Ausmaß der Gewalt der staatlichen Sicherheitskräfte, der 38 Menschen zum Opfer fielen. Ein Bericht der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) verweist dabei insbesondere auf die Massaker in den Tagen nach dem Putsch an etwa zwanzig Demonstrierenden in der Stadt Sacaba in der Nähe von Cochabamba und in der Gegend von Senkata in der Stadt El Alto.