Santiago. Eine bisher unveröffentlichte Audioaufnahme des ehemaligen chilenischen Ministers Orlando Letelier bestätigt, dass Präsident Salvador Allende für den 11. September 1973 eine Volksbefragung über den Fortbestand der Regierung und die Ablösung einiger putschverdächtigter Generäle bekanntgeben wollte.
Alarmiert von dem Versuch Allendes, die Regierung der Unidad Popular durch einen Volksentscheid bestätigen zu lassen und illoyale Militärs abzusetzen, beschlossen die Oberbefehlshaber von Armee, Luftwaffe, Kriegsmarine und Polizei, die Regierung in den Morgenstunden des 11. Septembers aus dem Amt zu putschen.
"Wir alle wussten, dass Allende am 11. September 1973 ankündigen würde, dass er eine Volksabstimmung einberufen und im Falle einer Niederlage Neuwahlen ansetzen würde. Das war bekannt, und deshalb haben sie den Staatsstreich vorgezogen, weil sie Angst hatten, dass er das Plebiszit gewinnen würde", erklärte unlängst der Linkspolitiker und ehemalige Minister Jorge Arrate.
Im Herbst 1973 spitzte sich die wirtschaftliche und politische Lage extrem zu. Der Streik der Transportunternehmen lähmte das Land und der Einzelhandel verknappte künstlich die Grundnahrungsmittel, es gab trotz voller Lager fast nichts mehr zu kaufen.
Am 29. Juni hatte Oberstleutnant Roberto Souper bereits mit einer Panzerkolonne einen Putschversuch gestartet, den sogenannten "Tanquetazo", der jedoch rasch durch regierungstreue Soldaten niedergeschlagen wurde.
Später bezeichnete Augusto Pinochet den "Tanquetazo" als Generalprobe für den endgültigen Schlag gegen die Regierung, um die Stärke der regierungstreuen Militärs und den Widerstandswillen der sozialen Bewegungen, Gewerkschaften und loyalen Kräfte im Allgemeinen auszuloten.
Vorgewarnt durch diesen Putschversuch und besorgt wegen der explosiven Lage im Land rief Allende am 10. September einige seiner engsten Vertrauten zu sich, um die Lage zu erörtern und eine Lösung zu erarbeiten.
Neben anderen nahm auch der damalige Verteidigungsminister Letelier an der Beratung teil, auf der Allende den Beschluss fasste, einem wahrscheinlichen Putsch durch die Ablösung von sechs bis sieben Generälen zuvorzukommen und damit ebenfalls Bewegung in die darunterliegenden Kommandostrukturen zu bringen. Es wurde auch beschlossen, die Liste der abzusetzenden Generäle mit dem loyalen früheren Oberbefehlshaber der Streitkräfte, Carlos Prats, abzustimmen und das Ergebnis seinem Amtsnachfolger Augusto Pinochet zu übermitteln.
Zeitgleich sollte eine Volksabstimmung angekündigt werden, um über die Zukunft der Regierung der Unidad Popular zu entscheiden.
Noch am Tag des Putsches wurde Letelier verhaftet, in verschiedenen Militärkasernen gefoltert und acht Monate im Konzentrationslager auf der Insel Dawsen festgehalten. Nach seiner Freilassung aufgrund internationalen Drucks und vor seiner Ausreise ins Exil in die USA nahm er die Kassette mit den Einzelheiten der Beratung mit Allende einen Tag vor dem Putsch auf. Drei Jahre später wurde er in Washington zusammen mit seiner Sekretärin Ronni Moffitt vom chilenischen Geheimdienst mittels einer ferngesteuerten Autobombe ermordet.
Erst jetzt wurde der Inhalt der Kassette bekannt und öffentlich gemacht. Sie zeigt erneut auf, dass Allende zu jeder Zeit verfassungsmäßige Maßnahmen zur Beilegung der Krise ins Auge gefasst hatte und belegt einmal mehr die Lüge von einem "Plan Z".
In den Tagen des Putsches sprachen die gleichgeschalteten Medien vom angeblichen Plan Allendes, mittels treuer Agenten die militärischen Oberbefehlshaber und Politiker der Opposition zu ermorden, um seine Macht zu erhalten. Mit dieser Propagandalüge wurde ein interner Feind erfunden, der mit aller Macht zu bekämpfen war. Es folgten 17 Jahre Mord, Folterung, Zwangsexil von Allende-Anhängern und Gegnern der Militärdiktatur ‒ und die Einführung des Neoliberalismus in Chile.
Obwohl dieses Audio hilft, die Geschichte des Putsches näher zu beleuchten, findet sein Inhalt kaum ein Echo im Land. Es wird zwar in Onlinemedien behandelt, von politischer Seite aber nicht kommentiert.
Präsident Gabriel Boric sagte dazu lediglich: "Bei der Ankündigung, die Präsident Allende vielleicht am 11. September machen wollte, denkt man unweigerlich: 'Nun, was war es denn, das gestoppt wurde?", als ob es die ersten 40 Maßnahmen des Regierungsprogramms von Allende und die zahlreichen Reformen der Unidad Popular-Regierung nie gegeben hätte.