Regierung von Argentinien erlässt Steuererleichterungen für mittlere Einkommen

Finanzminister und Präsidentschaftskandidat Massa hebt Steuerfreibeträge an. Rechte Opposition kritisiert "Wahlgeschenk". Gewerkschaften zufrieden

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Der argentinische Finanzminister und Präsidentschaftskandidat Sergio Massa
Der argentinische Finanzminister und Präsidentschaftskandidat Sergio Massa

Buenos Aires. Der argentinische Finanzminister und Präsidentschaftskandidat der peronistisch geführten Regierungskoalition "Unión por la Patria" (UxP), Sérgio Massa, hat Steuererleichterungen für untere und mittlere Einkommen bekannt gegeben. Die Maßnahme wurde von der Opposition als "Wahlgeschenk" kritisiert und hat große Polemik in der aufgewühlten politischen Debatte vor den Präsidentschaftswahlen am 22. Oktober hervorgerufen. Der Vorschlag wurde am Dienstag von der Abgeordnetenkammer mit 130 Ja- und 103 Nein-Stimmen angenommen.

Im Zentrum der von Massa vorgelegten Maßnahmen steht die Anhebung des Freibetrags für einkommenssteuerpflichtige Einkommen von lohnabhängig Beschäftigten und Renteneinkünfte. Der steuerfreie Betrag wird mittels Präsidialdekret ab Oktober auf monatlich 1,77 Millionen Pesos (rund 4.745 Euro) angehoben. Dies entspricht dem 15-fachen des gesetzlichen Mindestlohns von 118.000 Pesos (316 Euro).

Die Einkommensteuer in Argentinien beträgt für Lohnabhängige bisher fünf bis 35 Prozent des Nettogehalts (mit progressivem Anstieg). Laut Wirtschaftsministerium werden bisher rund 890.000 lohnabhängige Arbeitnehmer:innen und Rentner:innen mit diesem progressiven Steuersatz veranlagt. Massa betonte, dass von diesen bis Jahresende nur noch 90.000 "Großverdiener:innen" und "privilegierte Pensionär:innen" einkommensteuerpflichtig bleiben werden.

Das von Massa dem Kongress vorgelegter Gesetzesvorschlag hat zudem das Ziel, ab 2024 alle lohnabhängig Beschäftigten und Rentner:innen von der Einkommenssteuer zu befreien und die sogenannte "vierte Kategorie" der argentinischen Einkommenssteuertabelle abzuschaffen. Daneben verfügte Massa bis Jahresende eine Mehrwertsteuerbefreiung für die Lebensmittel und Hygieneprodukte des täglichen Gebrauchs (sogenannter "Basiskorb").

Die relativ hohe Besteuerung der unteren und mittleren Einkommen wird in Argentinien seit langem als Schräglage wahrgenommen. Selbst der konservative Präsident Mauricio Macri (Amtszeit 2015-2019) hatte mit der Ankündigung nach deren Abschaffung einst Wahlkampf gemacht, sie aber nicht umgesetzt.

Die Entscheidung Massas wurde im Einvernehmen mit den Führungen der drei größten Gewerkschaften des Landes sowie den peronistisch regierten Provinzen getroffen. Die Gewerkschaften hatten seit langem für das Anliegen geworben und feierten die Entscheidung mit einer Kundgebung vor dem Hauptsitz des Wirtschaftsministeriums.

Auch Parteigrößen aus dem peronistischen Lager begrüßten die Maßnahme. "Es ist ein bisschen Hoffnung", sagte etwa Máximo Kirchner, Abgeordneter und Vorsitzender der peronistischen "Frente de Todos" im Parlament. "Alles, was die Kaufkraft unserer Leute steigert, ist gut", kommentierte Kirchner, der auch Sohn der ehemaligen Präsident:innen Néstor Kirchner (2003-2007) und Cristina Fernández (2007-2015) ist.

Die Maßnahmen sind in haushaltspolitischer Hinsicht umstritten. Massa argumentiert mit der Notwendigkeit, die mit dem IWF vereinbarte Abwertung der Landeswährung Peso auszugleichen, sowie mit dem geringen Stellenwert der Einkommenssteuer an den gesamten Steuereinnahmen. Kritiker gehen davon aus, dass die staatliche Mindereinnahme die Inflationsspirale anheizen wird.

Da die Einnahmen aus der Einkommens- und Mehrwertsteuer im Verhältnis von rund 40 zu 60 zwischen Zentral- und Provinzregierungen sowie Kommunen aufgeteilt wird, hat die Maßnahme für die Provinzen beträchtliche Mindereinnahmen zur Folge. Sie ließen sich von der Hoffnung überzeugen, dass diese durch höhere Einnahmen bei der Mehrwertsteuer infolge eines erwarteten erhöhten Konsums ausgeglichen werden.

Zwar war die Inflation allein im August mit 12,4 Prozent so hoch wie seit 32 Jahren nicht mehr, doch verzeichnete auch der Binnenkonsum mit 5,2 Prozent im Vergleich zum Vormonat die größte Steigerung seit mehr als einem Jahr.

Die konservative Opposition hat Massas Maßnahme scharf kritisiert. Der Bürgermeister von Buenos Aires, Horacio Rodrigues Larreta, sprach von einem "Flicken einer gescheiterten Regierung".

Auch der Gouverneur der wirtschaftlich bedeutenden Provinz Córdoba, Juan Schiaretti, der selbst als Präsidentschaftskandidat antritt und bei den Vorwahlen beachtliche 3,7 Prozent der Stimmen errungen hatte, beschwerte sich vehement: "Massa spielt Weihnachtsmann mit dem Geld der Provinzen und Kommunen". Er kündigte mit anderen oppositionellen Gouverneuren eine einstweilige Verfügung vor dem Obersten Gerichtshof an.

Massa und die peronistischen Gouverneur:innen dagegen versuchen mit den Steuererleichterungen, dem in allen Umfragen führenden selbsternannten "Anarcho-Kapitalisten" und wirtschaftspolitisch ultra-liberalen Javier Milei (Parteienbündnis "La Libertad Avanza") Stimmen abzunehmen. Die Regierung macht es sich dabei zunutze, dass die steuerpolitischen Maßnahmen der Provinzen weniger stark vom IWF kontrolliert werden als die der Zentralregierung.

Die Maßnahmen erlauben es Massa, nicht wie bisher meist als Sparminister, sondern als wohltätiger Sozialpolitiker aufzutreten und sein fehlendes Charisma auszugleichen. Es bleibt abzuwarten, ob sie bis zum ersten Wahlgang am 22. Oktober eine Mobilisierung über die peronistischen Wählerschichten hinaus erlauben, das Vertrauen der Wähler:innen in den Staat und seine Institutionen stärken und den Vormarsch Mileis stoppen werden.