Benzinkrise heizt in Argentinien das politische Klima auf

Erzeuger halten Treibstoff in Erwartung von Ende der Preisbremse zurück. Zu wenig Investitionen in Ausbau der Raffinieren. Spekulationen über Auswirkungen des Mangels auf die Wahl am 19. November

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Lange Schlangen vor der staatlichen YPF in San Miguel de Tucumán, Argentinien
Lange Schlangen vor der staatlichen YPF in San Miguel de Tucumán, Argentinien

Buenos Aires. Montag 30. Oktober, seit mehr als einer Stunde steht Paola, die nicht ihren ganzen Namen nennen will, mit ihrem Auto in der Schlange zur Tankstelle. Seit zwei Tagen mangelt es an Benzin in Argentinien. Sie sagt, "das ist kein Zufall, die Ölgesellschaften wollen kurz vor der Stichwahl die wirtschaftliche Lage destabilisieren". Betroffen waren vom Mangel alle Provinzen des Landes. In der Kleinstadt Concepción in der Provinz Tucumán erzählt das medizinische Personal, dass sie aufgrund des fehlenden Benzins alle Patient:innenfahrten, die nicht unbedingt nötig waren, bis aufs weitere suspendierten.

Bereits am Sonntag den 29. Oktober erklärten die staatliche YPF und Shell, die Mangellage sei einer außergewöhnlich hohen Nachfrage geschuldet. Gleichzeitig erklärte die argentinische Zeitung El Diario AR, sowohl die Unternehmen als auch die Kundschaft würden auf steigende Preise setzen. Für Oktober hatten die Regierung und die größten Ölgesellschaften eine vorübergehende Fixierung des Preises beschlossen. Obwohl selbst die staatliche YPF kleine Preiserhöhungen durchsetzte, wurde die Verabredung weitgehend eingehalten. Kurz vor Ende der Preisfixierung hätten die Unternehmen daher Benzin gehortet und die Kundschaft mehr als üblich eingekauft.

Für Fernando Cabrera, der mit seinem Motorrad ebenfalls in der Schlange zur Tankstelle steht, ist die Regierung direkt verantwortlich für das Debakel. Es sei die schlechte Wirtschaftspolitik, die ihn sauer mache. "Hier arbeitest du nur noch fürs Überleben", meint Cabrera, der mit seinem Motorrad Taxi fährt. Er würde deshalb den rechtslibertären Präsidentschaftskandidaten Javier Milei wählen. "Ich will einen Wandel, schlimmer kann es eh nicht mehr kommen", rechtfertigt er seine Wahlentscheidung. Argentinien hatte für Oktober eine Inflation von zwölf Prozent, mittlerweile leben über 40 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze.

Nachdem sich am Mittwoch den 2. November bereits eine Normalisierung ankündigte, erhöhten die Unternehmen den Preis um rund zehn Prozent. Trotzdem liegt der Benzinpreis mit 40 Eurocents weiter unter dem südamerikanischen Durchschnitt. Dies auch dank weiteren Preisregulierungen und Steuersenkungen von Seiten der Regierung, um die Inflation im Transport etwas zu dämpfen. Dies trifft nicht nur das Benzin. In Buenos Aires kostet etwa ein Busticket derzeit sechs Eurocents. Viele dieser Maßnahmen sind auf lange Zeit nicht haltbar.

Der rechtslibertäre Kandidat Milei, der in der ersten Wahlrunde am 22. Oktober knapp 30 Prozent der Stimmen holte, möchte genau diese Subventionen und fixierten Preise abschaffen. Die Regierung nutzt diesen Vorschlag für eine Angstkampagne: Seit Mitte Oktober dürfen Reisende freiwillig auf die Subventionen für Bus und Bahn verzichten. Dadurch erhöhte sich der Fahrpreis ums zehnfache.

Doch die Fixpreise haben auch zur Folge, dass seit Jahren zu wenig Investitionen in den Ausbau der Raffinieren gesteckt werden. Argentinien exportiert derzeit Rohöl ins benachbarte Chile und per Schiff für den Weltmarkt, die heimische Benzinproduktion deckt jedoch nicht die eigene Nachfrage. Etwa 20 bis 30 Prozent müssen importiert werden.

Obwohl theoretisch der amtierende Wirtschaftsminister und gleichzeitige Präsidentschaftskandidat Sergio Massa direkt für das Problem verantwortlich gemacht werden könnte, zweifelt der Politikwissenschaftlicher Diego Genoud gegenüber amerika21 daran, dass die aktuelle Krise Massa Stimmen kosten würde. "Er hat seine Wähler:innen erfolgreich davon überzeugt, dass er nichts mit der wirtschaftlichen Realität zu tun habe, dass er wie alle Menschen in Argentinien ein Opfer der allgemeinen Situation und der schlechten vorherigen Verwaltung sei", erklärt der Politikwissenschaftler.

Dies liege auch daran, dass die Alternative für viele Menschen zu gefährlich ist. Die Autofahrerin Paola zeigt sich besorgt über die Zukunft: "Ich habe Angst vor dem was Milei bedeuten könnte". In den Umfragen führt derzeit Massa mit knapp 49 Prozent der Stimmen gegenüber knapp 47 Prozent für Milei.