Buenos Aires. Der diesjährige 32. Marsch des Stolzes LGBTIQ+ in Buenos Aires hat unter dem Motto "Lasst uns nicht unsere Rechte nehmen" stattgefunden. Er stand im Zeichen der bevorstehenden Stichwahl der Präsidentschaftswahlen. Geschätzte eine Million Menschen nahmen teil. Auch in anderen Städten des Landes gab es Veranstaltungen. Eine beachtliche Entwicklung für ein Ereignis, das 1992 mit knapp 300 Teilnehmern begann.
Die gegenwärtige Drohung eines Rechtsrucks beim eventuellen Sieg des ultraliberalen Kandidaten Javier Milei am 19. November gab dem Ereignis eine noch größere sozialpolitische Dimension als gewohnt. Zahlreiche Persönlichkeiten des öffentlichen und politischen Lebens Argentiniens nahmen aus Solidarität teil.
Das Organisationskomitee des Marsches des Stolzes (Como), dem mehr als 60 Gruppen angehören, erklärte in einem Dokument: "Wir sagen es sehr deutlich, keine Kürzung mehr, kein Recht weniger, denn unser Kollektiv ist Teil der Gesellschaft, es ist Teil der Menschen, mit ihren Freuden und ihren Problemen. Und deshalb akzeptieren wir in diesen Zeiten der Krise, der Armut und der Ungleichheit nicht, dass die Regierungen und die Mächtigen versuchen, unsere ohnehin schon gebeutelten Taschen noch mehr zu beschneiden, ebenso wenig wie die Budgets der öffentlichen Bereiche, die unsere Rechte garantieren sollen".
Das Land hat eine relativ moderne und offene Gesetzgebung. Die gleichgeschlechtliche Ehe wurde bereits 2010 unter Cristina Fernández de Kirchner eingeführt. Zwei Jahre danach wurde das Gesetz über die Geschlechteridentität verabschiedet, das eine erhebliche Vereinfachung der Änderung des Geschlechts in Ausweisen und sonstigen öffentlichen Dokumenten ermöglichte und Transsexuellen das Recht auf spezifische medizinische Behandlungen zusagte. In Jahr 2021 führte Präsident Alberto Fernández zusätzlich die Möglichkeit ein, einen nicht-binären (geschlechtsneutralen) Ausweis zu erhalten. Die Legalisierung der Abtreibung wurde 2020 verabschiedet.
Auch die Pflicht zur integralen sexuellen Erziehung (ESI) im Schulsystem wurde bereits im Jahr 2006 noch unter Néstor Kirchner eingeführt. Das Gesetz berücksichtigte dabei auch erstmals die Geschlechtervielfalt und rief damit den Widerstand konservativer katholischer Kreise sowie der evangelikalen Kirchen hervor und ist bis heute ein rotes Tuch für rechte Politiker.
Im Zuge der Stärkung konservativer und reaktionärer Strömungen auch in Argentinien, wurde dies zu einem wichtigen Wahlkampfthema. Milei hatte sich gegen die Legalisierung der Abtreibung geäußert. Er selbst war nie verheiratet, auf die Frage nach der gleichgeschlechtlichen Ehe hatte er diese schlicht als "Vertrag" bezeichnet, unabhängig vom Geschlecht der Beteiligten.
Sein erzkonservatives Umfeld sieht das jedoch anders und viel radikaler: Seine Sprecherin und frisch gewählte Abgeordnete, Diana Mondino, verglich die gleichgeschlechtliche Ehe kürzlich damit, "Läuse zu haben". Auch seine Kandidatin zur Vizepräsidentin, Victoria Villarruel hatte sich offen dagegen ausgesprochen und auf den religiösen Gehalt des Begriffs "Ehe" verwiesen.
Bei einem Sieg seiner Partei "La Libertad Avanza" (Die Freiheit schreitet voran) ist mit einer Rücknahme vieler Errungenschaften der sexuellen Vielfalt zu rechnen. Milei selbst hatte die Absicht zur Auflösung des Ministeriums für Frauen, Minderheiten und Diversität ebenso angekündigt wie die Abschaffung der Integralen Sexuellen Erziehung und der Programme zur Betreuung von marginalisierten Gruppen.
Aus diesem Grund haben die Organisationen, die den diesjährigen Marsch organisiert haben, zur Wahl des peronistischen Kandidaten Sergio Massa aufgerufen. Maria Rachid, Mitglied der Kommission der argentinischen LGBT+ Föderation äußerte gegenüber der Zeitung Tiempo Argentino: "Wir setzen unser ganzes Leben in diese Wahl", "Unsere Rechte stehen auf dem Spiel".
"Dieses Jahr feiern wir die Demokratie, die durch ultrarechte Kandidaten wie Milei und [Ex-Präsident Mauricio] Macri in Gefahr ist. Wir sind Teil der Unterstützung, die wir unserem Genossen Sergio Massa geben müssen", sagte Marcela Tobaldi, Gründerin von La Rosa Naranja, gegenüber dem Webportal Télam Digital. La Rosa Naranja ist Teil des Organisationskomitees des Marsches des Stolzes - Historische Linie (OLH), dem mehr als 50 Organisationen angehören.