Zapatistische Gemeinden in Mexiko geben sich neue Struktur

Eskalierende Gewalt in Chiapas und weitere Bedrohungen für die indigenen Gemeinschaften veranlassen Zapatisten, die Organisierung für das "Überleben unserer Völker" neu zu bestimmen

ezln_marsch_2012.jpeg

Ein Marsch der Zapatisten im Jahr 2012
Ein Marsch der Zapatisten im Jahr 2012

San Cristobal de las Casas. "Wir haben die Pyramide an der Spitze abgeschnitten. Oder besser gesagt, wir haben sie auf den Kopf gestellt." Mit diesen Worten kündigte Subcomandante Moises, Sprecher der EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional – Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung) weitreichende Änderungen in der Organisationsstruktur der Zapatistischen Selbstverwaltung an.

Die EZLN hatte zunächst in einem Kommuniqué die Auflösung ihrer alten Strukturen und dann vergangene Woche, zum 40. Jahrestag der Gründung der Guerilla, umfangreiche Veränderungen bekannt gegeben. Die Kompetenzen der im Süden Mexikos beheimateten Bewegung sollen fortan stärker von den Basisgemeinden ausgeübt werden. Diese sollen in diesem Rahmen beispielsweise die organisatorische Kontrolle über Schulen und Kliniken übernehmen.

Subcomandante Moises begründete die Veränderungen damit, dass durch die neue Struktur die Unabhängigkeit der einzelnen Gemeinden gestärkt würde. Seit Monaten warnen die Zapatist:innen vor der eskalierenden Gewalt in Chiapas. Sie machen dafür kriminelle Gruppen, aber auch Akteure des Staates, verantwortlich.

Im weiteren Kontext dieser Lage rechnet die EZLN mit einer Zunahme von Bedrohungen wie Kriegen, Epidemien und Naturkatastrophen, die durch das kapitalistische System forciert würden: "Diese neue Stufe der Autonomie ist dazu da, dem Schlimmsten der Hydra entgegenzutreten, ihrer schändlichen Bestialität und ihrem zerstörerischen Wahnsinn […] Wir haben uns auf das Überleben unserer Völker vorbereitet, auch wenn sie voneinander isoliert sind", so der Subcomandante.

Die EZLN zählt zu den bekanntesten sozialen Bewegungen auf der Welt. Sie wurde 1983 durch eine Gruppe mexikanischer Intellektueller gegründet, die durch die Kubanische Revolution beeinflusst wurden. Gleichzeitig haben die Zapatist:innen eine tiefe Verwurzelung in verschiedenen Maya-Völkern im südlichen Bundesstaat Chiapas. Diese waren bereits vor Gründung der EZLN stark politisiert und forderten ein Ende der Diskriminierung und Ausbeutung der indigenen Bevölkerung sowie eine Landreform.

Artikuliert wurden diese Forderungen am 1. Januar 1994 durch einen wahren Paukenschlag: Tausende indigene Anhänger:innen der EZLN besetzten verschiedene Kommunen und Städte in Chiapas. Ein Auslöser dafür war das Inkrafttreten des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (Nafta), welches von ihnen als zunehmender Ausverkauf des Landes verstanden wurde.

Nach zwölf Tagen bewaffneter Kämpfe wurde auf gesellschaftlichen Druck hin ein Waffenstillstand erreicht. Die EZLN zog sich in den lakadonischen Regenwald an der Grenze zu Guatemala zurück. Unter Vermittlung des katholischen Bischofs Samuel Ruiz kam es zu Verhandlungen, die zwei Jahre später zur Unterzeichnung der Verträge von San Andrés führten. Diese sahen die Aufnahme von Autonomierechten für die indigene Bevölkerung in die Verfassung vor. Allerdings wurde dies nie umgesetzt. Die EZLN schuf schließlich im Osten von Chiapas eine De-facto-Autonomie (Municipios Autónomos Rebeldes Zapatistas - Marez).

Zehn Jahre später wurde der Autonomieprozess durch die Zusammenfassung der Marez in fünf Zonen, den sogenannten Caracoles, vorangetrieben. In diesen wurde jeweils ein JBG (Juntas de Buen Gobierno – Rat der Guten Regierung) eingerichtet, welcher auf übergeordneter Ebene die Aktivitäten der entsprechenden Marez koordinieren sollte.

In dem jetzt vollzogenen Strukturwandel werden sowohl die Marez als auch die JBG aufgelöst. Der Zapatismus soll von nun an noch stärker auf die lokale Ebene ausgerichtet sein. Überall dort, wo sich zapatistische Unterstützungsbasen befinden, sollen Lokale Autonome Regierungen (Gobiernos Autónomos Locales - Gal) gegründet werden, welche der Kontrolle der jeweiligen Versammlungen der Dörfer, Gemeinden oder Stadtviertel unterliegen und für die Befriedigung der lokalen Bedürfnisse in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Ernährung und Justiz verantwortlich sind.

In einem von unten ausgehenden Ansatz soll von dieser lokalen Ebene aus die weitere Arbeit delegiert werden. Die lokalen Regierungen verfügen über die Möglichkeit, Bedürfnisse, welche ihre eigenen Kapazitäten übersteigen, in den Kollektiven der zapatistischen Autonomen Regierungen (Colectivos de Gobiernos Autónomos Zapatistas – CGAZ) zu koordinieren. Diese Plattformen dienen dem Austausch und der Organisation von Aktivitäten wie beispielsweise der Durchführung von Impf- oder Alphabetisierungskampagnen sowie größeren Kultur- und Sportveranstaltungen.

Noch größere Reichweite haben die Versammlungen der Kollektive der Autonomen Regierungen der Zapatist:innen (Asambleas de Colectivos de Gobiernos Autónomos Zapatistas). Sie ersetzen in gewisser Weise die früheren Zonen und berufen Versammlungen ein, wenn die Gal oder CGAZ es wünschen.