Brasília. Die Abgeordnetenkammer hat die Bedingungen für den Pestizideinsatz in Brasilien gelockert. Mit 301 Ja- gegen 150 Nein-Stimmen hat das brasilianische Parlament trotz der Ablehnung von Ackergiften durch die Bevölkerung das als "Giftpaket" bezeichnete Gesetzespaket verabschiedet. Die neuen Regelwerke führen zu einer Erhöhung der Menge an Pestiziden in dem südamerikanischen Land und ermöglichen die Freisetzung von krebserregenden Stoffen, die in anderen Ländern verboten sind, klagt Greenpeace.
Während sich Brasilien inmitten einer beispiellosen Gesundheitskrise befinde, zeige der von den großgrundbesitzenden Ruralisten dominierte Nationalkongress eine tiefe Missachtung der Bevölkerung und ihrer Gesundheit, sagt die Greenpeace-Expertin für Landwirtschaft und Ernährung, Marina Lacôrte. Das Beharren auf Profiten und Interessen der Agrarindustrie verwüste weiterhin das Land und führe zu "Krankheit, Entwaldung, Gewalt und Tod".
Greenpeace hebt vier kritische Punkte des "Giftpakets" hervor. Zum einen bekommt das der Agrarindustrie wohlgesinnte Ministerium für Landwirtschaft, Viehzucht und Versorgung (Mapa) die Befugnis, neue Ackergifte zuzulassen. Das Umweltministerium (MMA) und die Nationale Gesundheitsaufsichtsbehörde (Anvisa), die für den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung und die Unversehrtheit der Umwelt zuständig sind, verlieren hingegen ihre Entscheidungsmacht. Bislang waren die zwei Behörden Teile des Bewertungs- und Zulassungsprozesses von Pestiziden. Nun bekommen sie lediglich eine beratende Funktion.
Zum Zweiten ermöglicht das Gesetzespaket die Zulassung von Wirkstoffen, die nachweislich krebserregend sind. Derzeit sind chemische Substanzen, die schwerwiegende gesundheitliche Schäden verursachen beziehungsweise teratogene, karzinogene oder mutagene Wirkungen haben, noch gänzlich verboten. Die alte Regelung verbat solche Wirkstoffe. Es reichten die wissenschaftlichen Nachweise der Schädlichkeit.
Zum Dritten sieht der Gesetzentwurf eine vorübergehende Zulassung ohne ökologische und gesundheitliche Bewertung für solche Pestizide vor, die nicht innerhalb der im neuen Gesetz festgelegten Frist analysiert werden.
Zum Vierten kritisiert Greenpeace, dass das Gesetz den Begriff "agrotóxico" (Ackergift) durch "pesticida" (Pestizide) ersetzt. Dies verschleiere ihre Toxizität und Schädlichkeit und könnte eine Rolle bei dem niedrigen Bildungsniveau spielen, das auf dem Land vorherrscht.
Während das dringlichste Interesse des Kongresses darin bestehe, den Einsatz von Ackergiften auf dem Land noch mehr zu erleichtern, lebten viele Brasilianer:innen in einem Szenario der Covid-19-Pandemie und bei Rückkehr des Hungers. Dies sollte zivilgesellschaftlichen Organisationen zufolge die Priorität der Parlamentsabgeordneten sein. Aber Greenpeace zufolge demonstrieren die Volksvertreter:innen eine komplette Verantwortungslosigkeit gegenüber der Gesellschaft und der Natur.
Seit Beginn der Amtszeit von Präsident Jair Bolsonaro hat die Regierung eine Rekordzahl von bislang 1.589 Pestiziden auf den Markt gebracht. Die meisten von ihnen sind hoch oder extrem giftig und in der Europäischen Union nicht zugelassen. Allein im Jahr 2021 wurden 550 Pestizide zugelassen, insgesamt sind es derzeit 3.655 in Brasilien.