Bogotá. Am Samstag um Mitternacht ist der bilaterale Waffenstillstand zwischen der Regierung Kolumbiens und der Guerilla der Nationalen Befreiungsarmee (ELN) beendet worden.
Wenige Stunden vor Auslaufen des Waffenstillstands schlugen die Vereinten Nationen und die Bischofskonferenz eine "technische" Verlängerung um einige Wochen vor, um Zeit für weitere Gespräche zu gewinnen. Die Regierungsdelegation hat den Vorschlag am Samstag zuerst akzeptiert. "Wir stimmen einer technischen Verlängerung des Waffenstillstands zu, um ein Treffen der Verhandlungspartner zu ermöglichen", erklärte die Regierung. Die ELN allerdings wollte dieser Verlängerung nur unter der Bedingung zustimmen, dass sie per Präsidialdekret von der Liste der organisierten bewaffneten Gruppen (GAO) gestrichen und ihr politischer Charakter anerkannt wird.
Die Waffenruhe wurde im August letzten Jahres zunächst für sechs Monate beschlossen und im Februar um weitere sechs Monate verlängert. Er galt nur zwischen der Regierung und der ELN. Das bedeutet, dass kriegerische Auseinandersetzungen und Kämpfe zwischen der ELN und anderen bewaffneten Gruppen sowie zwischen der Regierung und anderen Gruppen davon nicht betroffen waren.
Die temporäre, landesweite, bilaterale Waffenruhe war Teil der Friedensdialoge und sollte sowohl die Gespräche zwischen beiden Parteien ermöglichen als auch die humanitäre Notlage in vielen Regionen des Landes entspannen. Damit sollte die Zivilbevölkerung geschützt werden.
Eine Verlängerung des Waffenstillstands steht allerdings in Frage. Die Friedensgespräche sind seit zwei Monaten eingefroren, und es besteht eine tiefe Kluft zwischen den Parteien. Die Krise der Gespräche begann im April dieses Jahres, als eine Dissidentengruppe in der ELN auftauchte: die Front Comuneros del Sur in Nariño. Diese Splittergruppe widersetzte sich dem Zentralkommando der ELN und strebt einen eigenen regionalen Friedensprozess an. Laut Antonio García, Kommandeur der Guerilla, ist diese angebliche Dissidenz Teil eines Komplotts des militärischen Geheimdienstes, um die Guerilla zu schwächen.
Juan Carlos Cuellar von der Verhandlungsdelegation der ELN sagte gegenüber amerika21, dass die Regierung mehrfach gegen die Abkommen verstoßen habe und erwähnte vor allem diese Spaltungsversuche. Zudem habe die Regierung politische Gefangene der Aufständischen unter Druck gesetzt.
Am 30. Mai stellte die ELN vier Bedingungen, um die Gespräche wieder in Gang zu bringen: Die Streichung der ELN von der Liste der terroristischen Gruppen und Anerkennung des politischen Charakters der Organisation; Bereitstellung von Fonds zur Finanzierung der ELN als Gegenleistung für die Beendigung der Entführungen; Aussetzung der Gespräche mit der Front Comuneros del Sur und Beendigung der Offensivaktionen der Streitkräfte sowie der paramilitärischen Gruppen gegen die ELN.
Die Regierungsdelegation erklärte in den letzten Tagen, dass sie sich bemühen werde, den mit der Guerilla vereinbarten bilateralen Waffenstillstand zu verlängern. Allerdings stellte sie in Frage, ob die ELN "die eindeutige Absicht hat, Frieden zu schließen".
Die Guerilla bestätigte ebenfalls ihren Willen zur Fortsetzung, mahnte jedoch an: "Die Regierung muss Klarheit schaffen, damit der Weg zum Frieden geebnet wird und wir dem Land und der Welt gegenüber eine kohärente Sprache sprechen können".
Während beide Parteien ihren Willen zum Friedensdialog bekunden, hat sich die Ungewissheit über die Zukunft des Waffenstillstands bereits in vielen Landesteilen bemerkbar gemacht. Das Conflict Analysis Resource Centre (Cerac) berichtete, dass die ELN ihre Präsenz und Aktionen verstärkt habe.
Das Land leidet nicht nur unter der Unsicherheit dieser Dialoge, sondern auch unter einer komplexen Konfliktkonstellation, die viele Landesteile betrifft. Es wird eine dramatische Zunahme von Massakern, Ermordungen von Aktivist:innen, Offensiven von Paramilitärs und Farc-Dissidenten, Entführungen, Zunahme des Drogenanbaus, Erpressungen sowie organisierter Kriminalität in den Städten des Landes verzeichnet. Die Dialoge mit der ELN sind nur ein kleiner Teil dieser komplexen Situation.
Die ELN griff 1964 zu den Waffen, inspiriert von der kubanischen Revolution und der Befreiungstheologie. Seitdem hat sie fünfmal erfolglos versucht, mit den jeweils amtierenden Regierungen zu verhandeln.