Georgetown. Seit der Entdeckung enormer Ölvorkommen durch die US-amerikanische Firma Exxon Mobil im Jahr 2015 erlebt Guyana, einst eine der ärmsten Nationen Südamerikas, einen wirtschaftlichen Aufstieg. Dieser spiegelt sich im Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit einer Verdreifachung seit 2020 wider. Heute produziert der Karibikstaat mit nur 800.000 Einwohnern rund 650.000 Barrel Öl pro Tag und könnte in Zukunft der drittgrößte Erdölproduzent Lateinamerikas werden, hinter Brasilien und Mexiko.
2023 erzielte Guyana durch Ölförderlizenzen und Exporte einen Umsatz von 1,62 Milliarden US-Dollar – ein hoher Zuwachs im Hinblick auf ein geschätztes nationales Budget von 5,4 Milliarden US-Dollar für 2024. Mit neuen Förderlizenzen plant Exxon, die Produktion auf 1,3 Millionen Barrel pro Tag zu steigern, womit Guyana gleichauf mit Katar stünde. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet bis mindestens 2028 mit einem weiteren BIP-Wachstum von durchschnittlich zwanzig Prozent pro Jahr.
Trotz des gesamtwirtschaftlichen Wachstums klagen viele Bürger:innen über steigende Lebenshaltungskosten, hohe Arbeitslosigkeit und eine fehlende Übertragung des Reichtums auf die Bevölkerung. Guyana wirbt zudem ausländische Arbeitskräfte aus den südamerikanischen und karibischen Nachbarstaaten an. Auch die Ölförderindustrie wird von internationalen Unternehmen dominiert. Präsident Irfaan Alis Wachstumspläne beinhalten, ausländischen Investoren den Weg zu ebnen und eine aktive Einwanderungspolitik zur Besetzung von Arbeitsplätzen wie beispielsweise im Gesundheitswesen zu fördern. Besonders qualifizierte Einwohner:innen wandern häufig ab.
Eine weitere Gefahr für den Karibikstaat besteht in der sogenannten "holländischen Krankheit". So wird die einseitige Abhängigkeit von Rohstoffexporten bezeichnet. Diese Abhändigkeit löst Überteuerung anderer Produkte zum Export aus. Um dieser Gefahr zu begegnen, hat die Regierung einen Staatsfonds eingerichtet, der die Öleinnahmen im Ausland anlegen soll. Dieser steht jedoch in der Kritik, da er unter der Kontrolle der Regierung steht.
Eine weitere Herausforderung in Anbetracht der erhöhten Ölförderung ist die notwendige Bemühung der guyanischen Regierung um die Finanzierung des Naturschutzes durch einen Naturschutzfonds, der bereits vor der Ölentdeckung 2015 eingerichtet wurde. Angesichts der Aussage des UN-Koordinators in Georgetown, dass 97 Prozent des Regenwaldes intakt sind, scheinen die Maßnahmen zum Schutz der Natur bislang zu funktionieren. Organisationen und Bürger beklagen jedoch weiterhin die Nichteinhaltung des Gesetzes seitens der Regierung wie auch das Handeln der staatlichen Naturschutzagentur. Diese stellten sich auf die Seite der Ölunternehmen, um beispielsweise über Landenteignungen Gaspipelines durch Flächen privater Personen zu verlegen.
Geopolitische Spannungen erschweren ebenfalls den Aufschwung Guyanas (amerika21 berichtete). Unter Venezuelas Präsidentschaft von Nicolás Maduro ist der Grenzkonflikt mit Guyana durch die Entdeckung der Ölfelder 2015 wieder aufgeflammt.
Seinen Ursprung nahm der Konflikt bereits im 19. Jahrhundert mit Lösungsversuchen zwischen Venezuela und Guyanas vorherigem Kolonialherren Großbritannien im Jahr 1966. Die Regierung Venezuelas beansprucht zwei Drittel des guyanischen Territoriums, einschließlich der dort liegenden Ölvorkommen. Seitdem hat Guyana ohne Absprache mit Venezuela Ausschreibungen für die Ölexploration in den undefinierten Hoheitsgewässern durchgeführt und 2018 den Internationalen Gerichtshof ersucht, über den Territorialstreit zu entscheiden.
Venezuela hingegen erkennt die Zuständigkeit des Gerichts nicht an und macht geltend, dass das Abkommen von 1966 das einzige verbindliche Instrument zur Lösung des Streits sei. Diese Bedrohungslage mit seinem Nachbarland Venezuela könnte Investoren in Guyana verunsichern, vor allem da sich hierbei auch die geopolitischen Interessen der USA und Chinas überschneiden, deren Unternehmen mehrheitlich an der Ölförderung beteiligt sind.