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"Unser Projekt unter neuen Bedingungen verteidigen"

Iroel Sánchez über Chancen und Gefahren der Annäherung zwischen Kuba und den USA

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Iroel Sánchez
Iroel Sánchez

Iroel Sánchez ist ein kubanischer Ingenieur und Journalist. Er war Präsident des Kubanischen Buchinstituts. Derzeit arbeitet er in Havanna im Kommunikationsministerium und betreibt den Internetblog "La pupila insomne".


Herr Sánchez, was erleben wir derzeit in den Beziehungen zwischen Kuba und den USA -  eine Wiederaufnahme der Beziehungen, eine Annäherung oder gar eine Normalisierung?

Zunächst eine Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen. Vielleicht einen ersten Schritt in einem langen Prozess zur Normalisierung. Noch gibt es diese Normalisierung nicht, weil es keine normalen Beziehungen zwischen zwei Ländern geben kann, wenn ein Land eine Blockade gegen das andere aufrechterhält, wenn es einen Teil des fremden Territoriums besetzt hält …

Sie beziehen sich auf die US-Marinebasis in Guantánamo.

… oder wenn es Bestimmungen erlassen hat, die den eigenen Bürgern Reisen in das andere Land verwehren. Solange also all das aufrecht erhalten wird und solange von den USA Programme finanziert werden, die auf eine Veränderung der verfassungsmäßigen Ordnung in Kuba abzielen, ist es sehr schwer, von einer Normalisierung zu sprechen.

Was hat die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen, die im vergangenen Dezember ja recht überraschend angekündigt wurde, mit dem Integrationsprozess in Lateinamerika zu tun?

Dieser Prozess war sicherlich einer der Gründe für die Wiederherstellung der Beziehungen. Präsident (Barack) Obama selbst hat eingestanden, dass die USA im Versuch, Kuba zu isolieren, am Ende selber auf dem amerikanischen Kontinent isoliert waren. Kuba ist ja nicht nur ein voll integriertes Land in Lateinamerika, das Beziehungen mit allen Ländern dieser Region unterhält, sondern es führt den Integrationsprozess an. Kuba war Sitz des zweiten Treffens der Gemeinschaft lateinamerikanischer und karibischer Staaten (Celac), Kuba unterhält mit vielen dieser Länder Kooperationsprogramme im Gesundheits- und Bildungswesen und Kuba ist ein Bezugspunkt in allen internationalen Mechanismen, an denen Lateinamerika teilnimmt.

In einem Interview mit der US-Tageszeitung The New York Times Anfang April dieses Jahres hat der US-Präsident in Bezug auf die sogenannte Obama-Doktrin bekräftigt, dass seine Regierung neue Methoden anwenden will, um Kuba zu verändern, Methoden der "soft power". Sollte das nicht funktionieren, könne man jederzeit wieder zu den altgedienten Maßnahmen zurückkehren. Stellt diese "weiche Macht" keine Gefahr für Kuba dar?

Nun, es gab da einen Landsmann von Ihnen, Carl von Clausewitz, von dem der Satz stammt, der Krieg sei die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln. Wir in Kuba stehen vor der Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Ich denke, dass die Vereinigten Staaten im Rahmen ihrer Vormachtspolitik klare Ziele haben, die sie nun gemäß der Rahmenbedingungen und der bestehenden internationalen Kontakte Kubas zu realisieren versuchen. Mich erstaunt das geschilderte Konzept daher nicht, weil es sich bei den USA letztlich um einen imperialen Staat handelt, dessen Machtdoktrin nicht von Obama oder einer bestimmten Regierung abhängt, sondern von Interessengruppen. Die Regierungen in diesem Land können sich im Rahmen eines bestimmten Spektrums verändern, aber die Eliten werden immer ihre Interessen haben und verteidigen. Obama sagte am 19. Dezember vergangenen Jahres, zwei Tage nach der Bekanntgabe der bevorstehenden Wiederaufnahme der Beziehungen mit Kuba, dass er gegenüber Kuba eine Politik von Zuckerbrot und Peitsche verfolgen wird. Ich denke, dass er in späteren Äußerungen intelligenter war, diplomatischer. Aber ich denke auch, dass er sich an diesem Tag sehr ehrlich geäußert hat. Natürlich versucht er mit der Wiederaufnahme der Beziehungen Einfluss auf Kuba auszuüben, auf seine Institutionen und seine politische Führung.

Und das stellt keine Gefahr für die kubanische Revolution dar?

Ich würde sagen, es ist eine Herausforderung. Aber natürlich müssen wir mit beiden Beinen auf der Erde stehen, uns muss klar sein, dass sie ihre Ziele haben und wir unsere. Dass wir jetzt auf dem Weg zu einer Beziehung ohne Blockade sind, das ist meiner Meinung nach eine große Chance für Kuba. Unser Land wird in einer besseren Position sein, um sein Projekt zu verteidigen, selbst angesichts der neuen Herausforderungen. Es kann ja nicht sein, dass wir, nachdem wir fünf Jahrzehnte lang gegen diese Blockade mit all ihren Einschränkungen, Zwängen und Schäden für das kubanische Volk gekämpft haben, diese jetzt entstandene realistische Chance auf ihre Abschaffung nicht als etwas Positives, wenn auch Forderndes sehen. Außerdem glaube ich auch, dass diese Situation die US-Regierung vor Herausforderungen stellt. Denn Kuba hat ja nun auch Möglichkeiten, in den USA und in den internationalen Beziehungen mehr Einfluss auszuüben. In den vergangenen Monaten hat Kuba unter Beweis gestellt, dass es etwa gegenüber Venezuela, Puerto Rico und Europa eine prinzipientreue Linie vertritt. Und wenn die USA glauben, dass sie auf die Außenpolitik Kubas Einfluss nehmen können, dass sie auf die Selbstverpflichtung der kubanischen Regierung gegenüber ihrem Volk und der sozialen Gerechtigkeit Einfluss nehmen kann, um in Kuba einen Kapitalismus wiedereinzuführen, der als Einfallstor für die USA dient, dann kennen sie Kuba nicht. Wir stehen also vor einer sehr großen Herausforderung und wir müssen lernen, unsere Idee und unser Projekt unter neuen Rahmenbedingungen zu verteidigen.

Welche Schritte müsste die U-Regierung also unternehmen, um eine wirkliche Normalisierung in den bilateralen Beziehungen mit Kuba zu erreichen?

Die Blockade beenden. Die Umsturzprogramme und Vorhaben wie Radio und TV Martí beenden. Das Ende der illegalen Besatzung eines Teils des kubanischen Staatsgebietes in Guantánamo. Das wären die wichtigsten Schritte, die den Weg hin zu einer Normalisierung ebnen würden. Und dann gibt es da noch das Cuban Adjustment Act, ein paradoxes US-Gesetz, weil es Personen als politische Flüchtlinge anerkennt, die aus einen Staat kommen, zu dem die USA nun diplomatische Beziehungen unterhalten. Das alles ist meiner Meinung nach nicht vereinbar mit dem Diskurs von Obama und der US-Regierung.

Vor einigen Tagen hat die Odepa, die Panamerikanische Sportorganisation, ihre Solidarität mit Kuba erklärt, nachdem sich eine ganze Reihe Spitzensportler Ihres Landes während eines Aufenthaltes in Toronto, Kanada, abgesetzt haben. Zugleich erklärte die Odepa aber, die individuellen Entscheidungen der Sportler zu respektieren. Dabei haben diese Entscheidungen doch auch einiges mit der US-Politik zu tun, oder?

Sicher. Wenn die Politik der USA nicht darin bestehen würde, diejenigen, die das Land verlassen, zu Helden zu erklären und automatisch jeden Kubaner aufzunehmen, dann gäbe es für diese Leute keine Anreize für ihre Entscheidung. Außerdem ist das ja ein einzigartiges Vorgehen, das nur im Fall von Kuba so stattfindet. Im Fall von anderen Staaten mit sehr viel schwierigeren wirtschaftlichen und sozialen Situationen, aus denen sehr viel mehr Menschen auswandern – von Mexiko bis Haiti – heißt es ja nicht, dass diese Menschen fliehen. In unserem Fall heißt es, die Kubaner würden "vor dem Sozialismus fliehen". Aber wovor fliehen dann die Mexikaner oder Haitianer, Soweit ich weiß, gibt es dort keinen Sozialismus. Das alles ist Ausdruck einer großen Manipulation. Das sind alte Propagandainstrumente, die von den USA über all diese Jahre gegen Kuba verwendet worden sind …

… und die auch die Ärzte betreffen, die im Ausland arbeiten.

Es gibt ein weiteres Programm aus der Präsidentschaft von George W. Bush mit dem Namen "Cuban Medical Professional Parole Program". Diese Initiative ist geradezu kriminell, weil sie darauf abzielt, Millionen bedürftige Menschen in der Welt die medizinische Versorgung zu entziehen. Denn wenn in vielen Regionen keine kubanischen Ärzte anwesend wären, würde es für die Menschen dort keine medizinische Versorgung geben. Und das ist eben ein Widerspruch im offiziellen Diskurs der USA: Auf der einen Seite sagen sie, sie wollen mit Kuba auf diesem Gebiet kooperieren, auf der anderen Seite versuchen sie, die kubanischen Aktivitäten zu sabotieren.

Herr Sánchez, im politischen und medialen Diskurs hier in Europa spielt das Thema der Menschenrechte eine wichtige Rolle. Wa sagen Sie als Blogger: Gibt es Meinungsfreiheit in Kuba?

Nun, da muss man sich nur die Blogs in Kuba ansehen, um diese Frage zu beantworten. Dazu möchte ich sagen, dass es in Kuba keinen inhaftierten Blogger gibt, was in lateinamerikanischen Vergleich keine Selbstverständlichkeit ist. Auch in den USA werden Blogger wegen ihrer Meinungsäußerungen schikaniert. Oft wurde Leute wegen ihres Aktivismus in sozialen Netzwerken der Prozess gemacht. Unlängst erst haben wir in Spanien Proteste gegen das sogenannte Knebelgesetz erlebt, aber davon ist in den übrigen europäischen Staaten kaum die Rede. Was wir auch in anderen Bereichen so erlebt haben: Als in Europa die Existenz der Geheimgefängnisse der CIA herauskam, die benutzt wurden, um Gefangene nach Guantánamo zu schaffen, folgte keine Verurteilung.

Wie wird der Prozess der Annäherung zwischen Kuba und den USA Ihrer Meinung nach die sogenannte interne Opposition beeinflussen?

Da gibt es zwei Tendenzen. Zum einen scheint es, dass die USA sich den gemäßigten Kräften dieses Lagers zuwenden. Zum anderen gibt es Kräfte, die der extremen Rechten in Miami nahestehen. Diese Kräfte versuchen konstant, den Prozess der Annäherung zu torpedieren. Beide Strömungen erhalten Geld direkt aus Miami oder Washington oder von seinen Alliierten, sie sind also völlig abhängig. Es gäbe sie nicht, wenn sie nicht durch politische Entscheidungen außerhalb Kubas alimentiert würden. Die Neupositionierung einiger dieser Personen hat etwas mit einer oft beobachteten Methode zu tun, die wir als Outsourcing der Subversion bezeichnen können. Das heißt, sie bekommen kein Geld mehr direkt aus den USA, sondern von Universitäten oder Stiftungen aus den USA oder aus Staaten Lateinamerikas oder Europas. Es ist eine verschleierte Art, die gleiche Politik weiterzuführen, die aber nicht weniger Einfluss auf die inneren Angelegenheiten Kubas nimmt. Diese Leute sind weiter Marionetten, auch wenn die Hand, die sie führt, nicht mehr so sichtbar ist. All das hat viel damit zu tun, dass die USA die Forderung Kubas nach der Einhaltung der Wiener Konvention über diplomatische Beziehungen akzeptieren musste.

Zu Beginn der 1960 Jahre hat Fidel Castro seine recht bekannt Rede an die Intellektuellen gehalten und dabei den nicht minder berühmten Satz gesagt: "Innerhalb der Revolution, alles; gegen die Revolution, nichts." Was bedeutet dieser Satz unter den heutigen Bedingungen, im Jahr 2015?

Dieser Satz wird bis heute viel zitiert, aber nicht das, was folgte. Er sagte weiter, dass man sich nur von jenen abwenden solle, die unkorrigierbar konterrevolutionär sind. Man hat später versucht, diese Rede als Beleg für politische Ausgrenzung darzustellen. Dabei ist sie das Gegenteil gewesen, weil er sagte, dass die Revolution versuchen müsse, alle zu beteiligen. Ich denke, dass dieser Aufruf zur Einheit weiter Bestand hat. Man muss in diesem Zusammenhang verstehen, dass die Revolution auf zwei Säulen basiert: der nationalen Unabhängigkeit und der sozialen Gerechtigkeit. Wer kann in einem so breit gefassten Projekt gegen die Revolution sein? Eigentlich doch nur diese Personen, die von Zuwendungen aus dem Ausland leben. Wer kann gegen Prinzipien sein, die heute sogar Papst Franziskus verteidigt, wie das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit? Deswegen bin ich der Meinung, dass die Worte von Fidel nicht nur weiter Gültigkeit besitzen, sondern dass sie von der Mehrheit in Lateinamerika angenommen worden sind. Denn am Ende sollte jedes Volk das Recht haben, über sein Schicksal frei zu entscheiden Und jeder Mensch sollte eine Reihe Rechte garantiert bekommen, die es ihm erlauben, in Würde zu leben.