Ecuador / Politik / Militär

Putschversuch in Ecuador (1)

Staatschef Correa zieht Bilanz des Versuchten Umsturzes Ende September 2010: Ex-Präsident Gutiérrez im Verdacht

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Auf der Avenida Mariana de Jesus auf der Höhe des Hospital Metropolitano ziehen sich Protestierende in Tränengasschwaden zurück
Auf der Avenida Mariana de Jesus auf der Höhe des Hospital Metropolitano ziehen sich Protestierende in Tränengasschwaden zurück

Mit viel Spannung erwartete man in Ecuador mehrere Tage nach dem Putschversuch nun den wöchentlichen Rechenschaftsbericht der Regierung und die dazugehörende Ansprache des Präsidenten Rafael Correa in der Sendung “Cadena Nacional”. Diese mehrstündige Sendung wird jeden Samstag ausgestrahlt, an diesem 2. Oktober war es Nr. 190.

Vor allem der Bericht der unmittelbaren Situation des Präsidenten während des Putschversuches am vergangenen Donnerstag sowie die ausführliche Erläuterung des am Mittwoch letzter Woche verabschiedeten Gesetzes zur Neuregelung des öffentlichen Dienstes (Ley Orgánica de Servicio Público) bestimmte die Ausstrahlung.

Schläge, Tränengas, Schüsse und Entführung

Als “traurigsten Tag” seiner Amtszeit bezeichnete Correa den 30. September 2010. Während er der Bevölkerung dankte, bezeichnete er die Spezialeinheiten GOE (Grupos Operativos Especiales) und GIR (Grupo de Intervention y Rescate) als heldenhaft. Beide hatten den Staatschef aus der Gefangenschaft putschistischer Polizisten befreit.

Parallel liefen schier unglaubliche Bilder über den Bildschirm: Tumulte, Tränengasangriffe, Schläge und Schüsse begleiteten die Entführung des Präsidenten und einiger Minister, darunter auch Innenminister Gustavo Jalkh.

Der erste Versuch Correas und seines Ministerstabes, am Morgen des 30. Septembers in Dialog mit den aufständischen Polizeieinheiten zu treten, endete in einem Desaster. Der Staatschef wurde aus unmittelbarer Nähe angegriffen. Ort dieses Geschehens war das Regimiento Quito, die zentrale Polizeikaserne unweit des Polizeikrankenhauses, in dem Correa später festgesetzt wurde.

Nach einem Rückzug im gepanzerten Präsidentenauto versuchte Correa keine halbe Stunde später, wegen seiner Knieoperation auf eine Krücke gestützt, einen zweiten Versuch, mit den aufgebrachten Polizeikräften ins Gespräch zu kommen. Diesmal war er mit einer Gasmaske ausgerüstet. Auch dieser Versuch endete in Schlägen, Tritten gegen sein verletztes Bein und massivem Tränengasbeschuss.

Als Correa im Getümmel und unter der Gasmaske das Bewusstsein verlor, wurde er ins nahegelegene Polizeikrankenhaus gebracht. Als Grund dafür wurde auch der Zustand nach seiner Operation angegeben.

Im dritten Stock des Polizeikrankenhauses wurde er einerseits von rund 50 Mitgliedern GOE-Spezialkräfte beschützt, andererseits versuchten rund 200 Polizisten, zu seinem Zimmer vorzudringen. Scheiben gingen zu Bruch, Tränengas wurde im Krankenhaus verschossen. Auch eine Fensterrede Correas, an dessen Seite sich die gesamte Zeit über Innenminister Gustavo Jalkh befand, konnte die wütenden Polizeieinheiten nicht beruhigen.

Die nun ausgestrahlten Bilder belegen auch, dass die Putschisten nicht nur Scharfschützen auf den Dächern postiert hatten. Auch Einschussspuren sind am gepanzerten Wagen des Präsidenten sichtbar.

Während Correa und seine Minister im Krankenhaus festgesetzt waren, lieferte sich die Polizei auf der Avenida Mariana de Jesus Straßenschlachten mit der Bevölkerung. Zwischen 6000 und 10.000 Menschen zogen zum Krankenhaus, errichteten brennende Barrikaden und versuchten die putschistische Polizei mit Steinen zurückzutreiben. Die Polizei auch mit scharfer Munition gegen die dem Präsidenten zu Hilfe eilenden Menschen vor.

Auffällig war die Zusammensetzung der Demonstranten auf der Avenida Mariana de Jesus. Von Kindern bis zu Rentnern, von Studentinnen bis politischen Aktivisten, von Indigenen bis Parteigängern waren alle Teile der Bevölkerung vertreten. So etwas ist in Deutschland fast unbekannt.

Die Befreiung Correas

Erst gegen 20.30 Uhr trat das Militär auf den Plan. Nach stundelangem Ausharren der Menschenmenge in der Avenida Mariana de Jesus, trotz beißender Tränengasschwaden, setzten die Spezialeinheiten der GOE und GIR mit Rückendeckung des Militärs zur Befreiung des Präsidenten an. Die interne Anweisung des Leiters der Aktion war, keine Schüsse während der Befreiung abzufeuern, da das Leben des Präsidenten und der Minister oberste Priorität habe. Während die Befreiungsaktion live im Fernsehen zu sehen war, starb ein Polizist der Spezialeinheit durch Schüsse der Polizei, die besondere Projektile verwendete. Diese Geschosse mit der Bezeichnung 2-23 durchdrangen die schusssichere Weste des 24-jährigen GOE-Mitgliedes, der noch vor Ort verstarb.

Fernsehbilder zeigten, wie die GIR Correa und die anwesenden Minister aus dem 3. Stockwerk des Polizeikrankenhauses trotz massiver Angriffe befreiten, ihn in eine Auto brachten, welches anschließend zum Präsidentenpalast fuhr. Auf der dortigen Plaza Grande warteten bereits 10.000 Menschen auf den Präsidenten, der frenetisch empfanden wurde.

Noch während Correa zunächst seine Worte vom Präsidentenpalast an die Bevölkerung richtet und während der anschließenden Fernsehansprache, wurden die Kämpfe zwischen loyalen Militäreinheiten und putschenden Polizeiverbänden weiter live im Fernsehen übertragen.

Bilanz und Folgen

Correa trat einerseits kämpferisch und entschlossen auf, war aber sichtlich mitgenommen und kündigte rückhaltlose Aufklärung an. Er ließ Bilder einspielen, in denen der ehemalige Anwalt von Ex-Präsident Lucio Gutiérrez während des Putsches in der Nähe des Krankenhauses telefonierend zu sehen war. Er gehe davon aus, so Correa, dass die rechten Kreise um Gutiérrez (der 2005 als Präsident Ecuadors von sozialen Protestbewegungen gestürzt wurde), Teile der Polizei und des Militärs die Hintergrundfiguren dieser “Konspiration” seien.

Correa sprach von vier Toten und 193 Verletzten. Diese Zahlen wurden jedoch bereits am Abend korrigiert. Der derzeitige Informationsstand geht von acht Toten (drei in Quito, 5 in Guayaquil) aus und 274 Verletzten.

Zu den Schließungen der Flughäfen durch die Luftwaffe, dem Kappen von Kabeln von Fernsehstationen sowie der Besetzung von Sendemasten, äußerte sich Correa nur am Rande. Diese Ereignisse verweisen doch eindeutig auf eine entsprechende Vorbereitung und Beteiligung von Teilen des Militärs am Putschversuch. Es bleibt abzuwarten, wie die konkreten Maßnahmen im gesamten Sicherheitsapparates aussehen werden.