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Starre UN-Drogenpolitik – der US-Krieg gegen Rauschmittel geht weiter

Warum die globale Suchtpolitik nach der UN-Drogenkonferenz (UNGASS 2016) gefährlich und unfair bleibt

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Logo der globalen Anti-Drogenkampagne des Büros der UN für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC): "Lasst uns unsere Leben, unsere Gemeinschaften, unsere Idesntitäten ohne Drogen entwickeln"
Logo der globalen Anti-Drogenkampagne des Büros der UN für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC): "Lasst uns unsere Leben, unsere Gemeinschaften, unsere Idesntitäten ohne Drogen entwickeln"

Als Chance für einen Kurswechsel in der internationalen Drogenpolitik wurde der dritten UN-Sondersitzung der Vereinten Nationen über Rauschmittel entgegengesehen. Nun hat die Weltgemeinschaft in New York über eine Lösung des Weltdrogenproblems beraten. Eine starke Reformbewegung, angeführt von lateinamerikanischen Ländern, stellt die Prohibitionspolitik infrage, die seit einem halben Jahrhundert Konsumenten kriminalisiert, Kleinbauern die Existenzgrundlage zerstört und den illegalen Drogenmarkt immer mächtiger werden lässt. Obwohl die Gründe für ein Umdenken scheinbar auf der Hand liegen, haben sich in New York die orthodoxen Stimmen durchgesetzt.

Der Auftakt des Gipfels vom 19. bis 21. April nahm wie üblich das Ergebnis vorweg. Seit vergangenem März steht das von der UN-Drogenkommission (CND) in Wien erarbeitete Konsenspapier fest. Fortschrittlich daran ist nur, dass es Drogenkonsum und Missbrauch als Problem der öffentlichen Gesundheit anerkennt. Immerhin ist der Anspruch der vorherigen UN-Drogenkonferenz von 1998 aufgeweicht. Statt der damals angestrebten "drogenfreien Welt" strebt die Staatengemeinschaft nun nach einer "Gesellschaft frei von Drogenmissbrauch".

Drogenkonsum ist jedoch normal. Daran hat sich wenig geändert. Nur dass die Rauschmittel mal mehr, mal weniger in Mode kommen. Laut aktuellem UN-Drogenbericht ist Cannabis die am meisten verbreitete bewusstseinsverändernde Substanz. Rund 180 Millionen konsumieren es weltweit. Der THC-Wert der Droge ist von 3,7 Prozent im Jahr 1993 in den vergangenen zehn Jahren auf 12,6 Prozent gestiegen. Das zeigen US-amerikanische Studien. Die Opiumproduktion erreichte 2013 und 2014 den zweithöchsten Stand seit 1930. Kokain nehmen zwar weniger Menschen, allerdings ist die Tendenz in Südamerika seit 2010 wieder steigend, entgegen des globalen Trends.

Diese Realität steht im Kontrast zu den weltweit hegemonialen Prohibitionspolitiken. Sie zielen darauf ab, Produktion, Handel und Konsum aus der Welt zu schaffen. Doch weder die Nachfrage nimmt ab, noch konnten illegale Drogen umfassend aus dem Verkehr gezogen werden. Die Menge der Beschlagnahmungen beweist das Gegenteil: Nie zuvor waren mehr Drogen mit reinem Gehalt erhältlich.

Zeiten ändern sich

Längst herrscht auch über die Region hinaus innerhalb gesellschaftlicher Gruppen, ehemaliger und aktiver Regierungsmitglieder sowie unabhängiger Expertenkommissionen Einsicht darüber, dass der "Krieg gegen die Drogen" nicht funktioniert. Dank des Aufrufs zur offenen und evidenzbasierten Debatte der Länder Mexiko, Kolumbien und Guatemala 2012 wurde die Sondersitzung immerhin in diesem Jahr abgehalten – drei Jahre früher als geplant.

Der UNGASS-Beschluss spricht dennoch weiter andere Worte. Bei den Verhandlungen während der Jahrestagung der CND wurden alle Terminologien vermieden, geschmälert oder ignoriert, die die Mängel und Misserfolge der Verbotspolitiken herausstellen. Wie weit die Debatte und die Handlungsabsichten der Weltgemeinschaft tatsächlich auseinanderfallen, wurde auch in New York deutlich. So stützte sich der Redebeitrag der uruguayischen Delegation auf den vormaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan. "Drogen zerstören das Leben vieler Menschen, aber die schädlichen Regierungspolitiken haben noch mehr Menschenleben gefordert."

Drogenpolitik ist Gesundheitspolitik

Zeitnah zu UNGASS ersuchten rund 1.000 Befürworter alternativer Drogenpolitiken aller fünf Kontinente den amtierenden UN-Generalsekretär Ban Ki-moon in einem offenen Brief die weltweite Drogenkontrollpolitik zu beenden. Denn die Repression stigmatisiert und kriminalisiert die Konsumenten. Abhängigen wird der Zugang zu Medikamenten und Substitution erschwert und massenhafte Verhaftungen führen zu überbevölkerten Gefängnissen.

Brasilien führt dabei die Statistiken an. Die Gefängnisbevölkerung ist zwischen 2000 und 2014 um über 500 Prozent gestiegen. Bei mehr als der Hälfte der inhaftierten Frauen sind gewaltfreie Kleindelikte, wie Handel und Lagerung illegaler Drogen der Grund. Gerade für Frauen und ihr soziales Umfeld ziehen Gefängnisstrafen enorme Probleme nach sich, da sie oft mehrere Familienmitglieder alleine ernähren. Dazu kommen unzulängliche Hygiene, Gewalt gegenüber den Insassen und Mangelernährung. Kurz: Wer Drogen nimmt, sollte gerüstet sein, das Menschenrecht auf Gesundheit zu verlieren.

Daher fordern Experten einen Ansatz der Schadensminderung (harm reduction) in der Drogenpolitik. Eine gesetzliche Regulierung von Rauschmitteln, je nach deren Schädlichkeit und Risiken, könnte die von Drogenkonsum, Handel und der Produktion verursachten Schäden sowohl für die Konsumenten, als auch für die Gesellschaften reduzieren.

Hinzukommt, dass Drogenkonsum nicht durch Verbote ausgemerzt werden kann und nicht jeder Konsument eine Therapie braucht. Vielmehr gehen auch die UN in ihrem Drogenreport davon aus, dass von den etwas mehr als fünf Prozent der drogenkonsumierenden Weltbevölkerung, nur rund 0,6 Prozent problematisch konsumieren.

Die Verantwortung liegt beim Staat

Prohibition und Repression lassen keine differenzierten Gesundheitsmaßnahmen zu. Bei verbotenen Produkten gibt es keine Qualitätskontrolle. Entsprechend können User giftige Verunreinigungen und ungewollte Überdosierung nicht vermeiden. Zudem kauft es sich besser in ausgewiesenen Fachgeschäften ein, als auf dem Schwarzmarkt. Der Preis einer staatlich kontrollierten Substanz ist transparent und unterliegt in der Regel geringeren Schwankungen. Auch können über die Besteuerung Präventions- und Aufklärungsprogramme refinanziert werden. Schließlich kann sich ein informierter Konsument schützen.

Somit konkurriert eine staatliche Regulierung in mehrfacher Hinsicht mit dem illegalen Drogenmarkt. Die Wirtschaftsexperten der London School of Economics gehen gar von 16 bis 20 Prozent aus, die dem illegalen Drogengeschäft weltweit allein durch den Handel mit Marihuana entgehen würden.

In Uruguay darf Cannabis seit 2013 legal angebaut und gekauft werden. Mit dem Marihuana-Gesetz und seinem Dekret über Anbau und Abgabe hat das Land die erste umfassende staatliche Regulierung eingeführt. Dies bedeutet gleichzeitig einen Bruch mit den internationalen Konventionen. Die zuständige Regierungsbehörde (IRCCA) überwacht die Herstellung der Marihuana-Produktion. Das IRCCA legt den Reinheitsgrad der zirkulierenden Samen und Ableger fest und privatwirtschaftliche Agrarunternehmen übernehmen den Anbau und Teile des Vertriebs an die lizensierten Apotheken. Somit wird auch dem Konsumenten sein Recht auf eine freie Konsumentscheidung zugesichert, ohne sich strafbar zu machen.

Nach uruguayischem Recht dürfen Erwachsene mit bis zu sechs Pflanzen selbst anbauen, in Cannabis-Clubs gemeinschaftlich maximal 40 Gramm im Monat ernten oder die gleiche Menge in den lizensierten Apotheken kaufen. Durch die Legalisierung dieser drei Zugangswege und der klaren Mengenangaben wird die gesetzliche Grauzone möglicher Verstöße aufgehoben. Denn zuvor blieb es dem richterlichen Ermessen überlassen, ob die gefundene Menge dem eigenen Bedarf oder dem Handel mit der Droge dient. Damit zielt die Richtlinie auf die Entkriminalisierung der Konsumenten ab.

Andere Beispiele für den staatlichen Umgang mit Cannabis zeigten sich auch in New York. Kanada will ab dem Frühjahr 2017 auf nationaler Ebene Verantwortung für eine konsumentenfreundliche Drogenpolitik übernehmen. Die Delegation kündigte an, "Marihuana aus Kinderhänden fern zu halten und den Kriminellen ihre Profite zu entziehen". Im US-Bundesstaat Colorado boomt die Green Economy durch den freien Verkauf in Cannabis-Fachgeschäften. Auch Spanien und Portugal bauen längst auf durchlässigere Gesetze, die den straffreien Kauf und Konsum ermöglichen.

Sicherheitspolitische Fragen führen in eine Sackgasse

Trotz des bröckelnden Konsenses glauben viele Regierungen weiterhin, dass repressive Politiken das beste Mittel sei. So hat Argentiniens Präsident Macri eines seiner drei Wahlversprechen wahrgemacht: Per Dekret wurde der nationale Ausnahmezustand ausgerufen und kurzerhand der Abschuss vermeintlicher Drogenkurierflugzeuge über argentinischem Staatsgebiet verfügt. Menschenrechtsorganisationen mahnen an, dies gleiche einem Todesurteil ohne Prozess und würde unschuldige Leben kosten.

1971 hatte der damalige US-amerikanische Präsident Richard Nixon den Drogenmissbrauch zum Staatsfeind Nummer eins erklärt. Infolgedessen etablierten die USA ihre militärischen und geheimdienstlichen Strafverfolgungsstrategien im In- und Ausland. Die größte Polizeibehörde, die Drug Enforcement Administration (DEA), wurde geschaffen. Die DEA ist inzwischen in Verruf geraten, da Beamte der Behörde auf den Gehaltslisten der Drogenkartelle stehen. So gelangten die Informationen über großangelegte Ermittlungen und Razzien zuallererst an die Drahtzieher im Drogengeschäft.

Es folgten Jahrzehnte der kostspieligen Interventionen, die die heutige Kriegslogik erklären, mit der auch die lateinamerikanischen Länder ihre repressiven Drogenpolitiken rechtfertigen. Aus der Tendenz, die Suchtpolitik zu einer Frage der nationalen Sicherheitspolitik zu machen, ergibt sich die Militarisierung in der Umsetzung. So zeigt sich in Staaten wie Mexiko, wo militärische Einheiten im urbanen Gebiet gegen das organisierte Verbrechen kämpfen, dass dies nur mehr Tote fordert

Erst durch die Illegalität wird der Drogenmarkt mächtig. Die höchsten Gewinnmargen ergeben sich durch den Vertrieb von Kokain und Heroin über internationale Handelswege. Die Bereitschaft der europäischen und US-amerikanischen Banken, Gelder ungeklärter Herkunft zu verwalten und die Zurückhaltung der Finanzaufsichten befördern die Geldwäsche. Die daraus erzielten Rückflüsse der Drogengelder in die traditionellen Produktionsländer Lateinamerikas unterspülen massiv die demokratischen Institutionen und führen zu Korruption in allen Hierarchieebenen.

Was kommt nach UNGASS?

Welche Möglichkeiten haben Regierungen, legale Regulierungen einzuführen? Auch diese Frage wurde in New York zumindest an einem Nebenschauplatz diskutiert. Im Forum "Cannabis und die Konventionen: Jenseits von UNGASS" waren die progressiven Stimmen aus Uruguay, Jamaika und den reformorientierten Thinktanks wie dem Transnational Institute oder dem Washington Office on Latin America unter sich.

Heute, da die Positionen zwischen orthodoxer Politik und Reformbewegung weit auseinander liegen, ist eine Änderung des internationalen Regelwerks schwer vorstellbar. Eine Reforminitiative einzelner Mitgliedstaaten könnte relativ einfach auch von einer Minderheit der 193 Länder blockiert werden. Eine zweite Möglichkeit wäre die Neubeurteilung von Cannabis in seiner Gefährlichkeit, wie die Weltgesundheitsorganisation bereits gefordert hat. Bislang werden seine Risiken nach den Konventionen ähnlich wie Kokain eingestuft. Dies könnte mit einer einfachen Mehrheit im CND beschlossen werden. Und ein anderer politischer Umgang mit Cannabis würde möglich.

Historischer Moment oder verpasste Chance?

Obwohl die Realität und die politische Handlungsbereitschaft auseinanderklaffen symbolisiert UNGASS einen wesentlichen Moment in der internationalen Debatte über Drogenpolitik. Die UN-Sondersitzung hat den "abtrünnigen" Mitgliedsstaaten eine Plattform geboten und die orthodoxen Stimmen zu einem Augenblick des pragmatischen Denkens gezwungen.

Die politischen Bemühungen, die Drogenströme und Geldflüsse aus dem illegalen Handel zu stoppen, haben versagt und bleibende Schäden angerichtet. Mehr als der Konsum illegaler Rauschmittel an sich. Diese Einsicht ist aus der Debatte nicht mehr wegzudenken. Die Qualität einer alternativen Drogenpolitik wäre es, die Schäden und Risiken für die Konsumenten und Gesellschaften zu mindern, damit Menschen ihr Recht auf Unversehrtheit wahren können. Einigkeit herrschte in New York auch darüber, dass die geltenden Politiken ihren Erfolg an den Vorteilen für die Menschen messen sollten, anstatt die Substanzen zu verfolgen.

Die UN-Konventionen haben realpolitische Entwicklungen wie in Uruguay nicht länger verhindern können. Durch die laxere Handhabung der von den UN- Abkommen unter Verschluss gebrachten Substanzen hat sich auch die Diskussion in New York verschoben. Nicht mehr bei der Frage ob, sondern wie die rechtmäßigen Brüche mit den internationalen Verträgen zu managen sind, ist diese nun angekommen. Das ist zweifelsohne ein Fortschritt.

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