Das lukrative Geschäft mit Kokain wächst weltweit weiter ungebremst, nachdem es wegen der Covid-19-Pandemie zeitweise zurückgegangen war. Über die interessanten Positionen einiger Länder der Region hinaus muss Lateinamerika seine Politik im Kampf gegen die Drogen ernsthaft diskutieren und ein für alle Mal die prohibitionistischen und militaristischen Rezepte der USA – des Hauptkonsumenten – aufgeben.
Was dieses ernste Phänomen auf unserem Kontinent auch hervorgebracht hat, ist eine skandalöse soziale Ungleichheit. So sind beispielsweise die Randgebiete der Großstädte überfüllt mit Menschen, die auf dem legalen Arbeitsmarkt keine Chance auf Beschäftigung haben und im Drogenhandel einen Ausweg sehen.
Geschäft? Ein großes Geschäft: Eine Tonne Kokain kauft man für 1.000 US-Dollar in Bolivien und verkauft sie für 35.000 in den europäischen Häfen.
Die Probleme im Zusammenhang mit der Produktion, dem illegalen Handel und dem Konsum von Drogen beeinträchtigen die Lebensqualität der Bevölkerung, sind mit Formen der sozialen Ausgrenzung und der Schwäche der Institutionen verbunden, führen zu mehr Gewalt und Unsicherheit und untergraben in einigen Ländern die Regierbarkeit ‒ so ein kürzlich veröffentlichter Bericht der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Lateinamerika (Cepal).
Auf der Produktionsseite konzentriert sich in Lateinamerika die gesamte Weltproduktion von Kokablättern, Kokainpaste und Kokainhydrochlorid. Auch Marihuana wird in verschiedenen Ländern und Gebieten sowohl für den Binnenmarkt als auch für den Export produziert. Darüber hinaus wird in der Region zunehmend Mohn angebaut und Opium und Heroin hergestellt.
Was den Handel betrifft, so ist der karibische Raum nach wie vor die Hauptroute für den Transport von Drogen in die USA, obwohl die Pazifikroute durch Mittelamerika relativ an Bedeutung gewonnen hat. In jüngster Zeit hat auch der Transport auf dem Wasserweg aus den Kokaanbauländern über Brasilien an Bedeutung gewonnen.
Das Problem des Konsums betrifft vor allem die jugendliche Bevölkerung, wobei junge Männer stärker betroffen sind als Frauen. Marihuana, gefolgt von Kokainpaste, Crack und Kokainhydrochlorid sind die am meisten konsumierten illegalen Drogen in der Region und verursachen große Probleme bei Jugendlichen mit hoher sozialer Vulnerabilität - fügt Cepal hinzu.
Der Prohibitionismus etablierte sich vor über 100 Jahren als eine Form der Ausübung von Kontrolle über gefährliche Substanzen, in der Regel mittels Militarisierung, Polizeigewalt, Unterdrückung und Gefängnissen. Im großen Ganzen liegt das Gefährliche der Substanzen letzlich in der militarisierten Antwort auf diese und nicht so sehr in den Substanzen selbst.
Dieser Krieg, der aus einer US-amerikanischen Sicht auf das Problem heraus geführt wird, ist nicht der Ausweg für die Region, die diesen Krieg seit mindestens vier Jahrzehnten führt und nichts erreicht hat, für den aber viel Geld ausgegeben (nicht investiert) wird. Die Nutznießer dieser Politik und dieser Maßnahmen sind die Rüstungsindustrie und die "Heere" von Arbeitern im Drogenhandel, die darin ihre Form der Existenzsicherung sehen.
Heutzutage sind die Kriminellen sehr viel besser organisiert, verkehren in der High Society und binden gleichzeitig die armen Menschen an sich, damit sie – mangels einer wirtschaftlichen Perspektive – für sie die Drecksarbeit erledigen.
In Südamerika gibt es zwei große Routen für den Drogenschmuggel. Die Südroute über Paraguay, die südliche Mitte über Brasilien, Argentinien und Uruguay ist wichtig. Letztere vor allem deshalb, weil sie größere urbane Zentren und auch eine größere Struktur von Häfen und Flughäfen sowie eine logistische Erschließung wie ein gut strukturierten Fernstraßennetzes umfasst. Dies erleichtert den Transport der Drogen und den Export des Kokains nach Europa, was gegenwärtig das große Geschäft ist.
Die zweite Route ist die Amazonas-Route, die von Peru und Kolumbien aus in Richtung Pazifik führt und dabei Wegen folgt wie früher von Ecuador nach Costa Rica und von dort in die Karibik. Es ist eine mehr auf die USA ausgerichtete Route.
Uruguay, das einige gute Gesetze zur Bekämpfung des Drogenschmuggels und der Geldwäsche hat, zeigt Schwäche, wenn es um die Anwendung von Kontrollen geht. Zu den traditionellen nationalen Diensten bei der Geldwäsche und dem Drogentransit kamen noch das Wachstum des internen Marktes und das Refugium hinzu, das Flüchtige aus anderen Ecken der Welt für sich in dem Land finden konnten, oftmals geschützt von korrupten Regierungsbeamten.
Uruguay hat eine immer wichtigere Position bei der internationalen Verteilung des Drogenmarktes eingenommen. Es ist kein Produktionsland und hat auch keine große Nachfrage (obwohl es beim Pro-Kopf-Verbrauch zu den Spitzenreitern gehört). Es befindet sich aber in einer strategischen Lage, um große Ladungen nach Europa zu bringen. Und es gibt große Mängel in den Kontrollsystemen und beim Aufspüren der illegalen Ladungen.
Beim massenhaften Konsum von Informationen über die Welt der Drogen werden viele Dinge als "gegeben" betrachtet: die kriminellen Gruppen bekämpfen, korrumpieren oder betrügen aus der Illegalität heraus die Staaten, die ihrerseits immer willens sind, ihnen entgegenzutreten. Jedoch ist außerhalb dieser vorherrschenden diskursiven Linien sogar der Name, unter dem man das Phänomen kennt, umstritten.
Der Begriff "Drogenhandel" leitet sich nur von zwei Komponenten der Aktivität ab: Betäubungsmittel (die nur Droge aus der Familie der Drogen sind) und der Handel oder Transit (ein Glied in einer Produktionskette, die auch die Erzeugung, Abnahme, Vermarktung usw. umfasst).
Allan De Abreu, brasilianischer Journalist der Zeitschrift Piauí, der sich schon seit zwei Jahrzehnten mit der Erforschung der organisierten Kriminalität beschäftigt, weist darauf hin, dass die Route Caipira anfangs, in den 1970er Jahren, für den Schmuggel von Kaffee benutzt wurde. In jener Zeit erhob Brasilien sehr hohe Steuern auf den Export von Kaffee. Die Steuern in Paraguay waren hingegen unbedeutend. Deshalb schmuggelten die Kaffee-Anbauer den Kaffee nach Paraguay, um ihn von dort aus zu exportieren.
In den 1990er Jahren, als dieses Geschäft nicht mehr interessant war, weil sich die Besteuerung geändert hatte, drehte sich die Wegrichtung um. So bringt man auf derselben Route nun von Paraguay aus das Kokaín nach Brasilien; ein Warenverkehr mit Schwerpunkt in den Städten Punta Porá auf der brasilianischen Seite und Pedro Juan Caballero auf der paraguayischen Seite der Grenze – praktisch eine einzige Stadt. Über diesen Weg gelangt ein großer Teil des Kokains, das Paraguay aus Peru und Bolivien erhält, nach Brasilien.
Diese Region zu beherrschen heißt die Route zu beherrschen. Das brasilianische Kartell Primeiro Comando da Capital (PCC) versuchte sie zu kontrollieren, was zum Konflikt mit Pedro Jorge Rafaat führte, der der große Boss an dieser Grenze war. Die Geschichte endete mit der Ermordung von Rafaat im Jahr 2016. Ebenfalls sehr etabliert und sehr viel benutzt ist die Route des Río Paraguay, der in den Paraná mündet und zum Rio de la Plata in Uruguay führt. Sebastian Marset operiert auf dieser Route, die im Hafen von Montevideo endet. Von dort geht das Kokain in Richtung Europa.
Das Comando Vermelho – die älteste kriminelle Organisation Brasiliens - verdrängte die lokalen Mafia-Strukturen aus dem Amazonas-Grenz-Dreieck und übernahm die Kontrolle der Kokain-Produktion auf der peruanischen Seite. Das Amazonas-Grenz-Dreieck ist zu einem Gebiet geworden, das sich verschiedene bewaffnete, aus Brasilien stammende Gruppen, die sich gegenüber den lokalen peruanischen und kolumbianischen Mafia-Strukturen durchgesetzt haben, untereinander streitig machen.
Eine Recherche von Ojo Público enthüllt, wie diese Bande die Amazonas-Flußroute betreibt, im Bündnis mit kriminellen Gruppen aus Kolumbien und durch Anwerbung von Bewohnern der Flussufer und von peruanischen Indigenen für die Drogenproduktion. So geschah es mitten in einem Krieg mit Los Crías, einer lokalen Abspaltung von Tabatinga, die sich im Streit um die territoriale Kontrolle mit dem mächtigen brasilianischen Primeiro Comando da Capital verbündet hat.
Aber letztlich hat das Comando Vermelho die Vorherrschaft errungen – so wie auch weiter im Süden, an der Grenze von Ucayali (Perú) und Arce (Brasilien); es geht dabei um einen großen Teil der Routen in diesem Amazonas-Gebiet, wo das Comando Vermelho nicht nur den Drogenhandel beherrscht, sondern auch die Abholzung und den illegalen Fischfang.
Währenddessen bietet der südlich gelegene Hafen von Montevideo, der uruguayischen Hauptstadt am Río de la Plata, dem Drogenhandel den Vorteil, aufgrund seiner größeren Entfernung zu den Ankunftshäfen ein eigentlich "widersinniger" Ausgangspunkt für den Export nach Europa zu sein. Und weil Paraguay keinerlei Kontrolle darüber hat, was über den Fluss geht.
Änderungen im Geschäft
In diesem Geschäft mit den Drogen kam es zu Veränderungen. Die Bemerkenswerteste dabei ist, dass der Bandenchef sich jetzt von den Drogen fernhalten muss und eine Aufteilung des Geschäfts notwendig ist. Die ersten Drogenhändler haben noch persönlich in den Transport eingegriffen und trugen so immer das Risiko, gefangen genommen zu werden. Mit der Aufteilung der verschiedenen Teile des Geschäftes voneinander, wissen die unteren Ebenen der Bande nicht mehr, für wen sie arbeiten – und das schützt den Kopf der Struktur.
Nach Expertenmeinung besteht die dritte Veränderung (oder die im Laufe der Jahre gelernte Lektion) darin, sich vor dem Risiko einer vertikalen Struktur zu schützen. Zum Beispiel hing im Medellin-Kartell alles von Pablo Escobar ab und als er fiel, brach alles zusammen.
Das brasilianische PCC lernte diese Lektionen der Geschichte und verfügt heute über eine horizontale Struktur, organisiert in aufeinander abgestimmten Bereichen: den Bereich der Krawatten (die Anwälte), den des Transports, der Finanzen und den der Kommunikation (Verschlüsselung der Nachrichten, wodurch das Abhören der Vergangenheit angehört).
In der PCC ist der Kopf eine sich abstimmende Struktur, nicht im eigentlichen Sinne der "Boss" Marcos Williams Herbas Camacho (besser bekannt als Marcola), obwohl niemand daran zweifelt, dass er der große Chef ist. Aber wenn er stirbt oder in Gefangenschaft gerät, besteht die Struktur trotzdem weiter.
In Brasilien beherrscht und regelt das PCC das Verbrechen in São Paulo und vermeidet es, die Aufmerksamkeit der Medien und der Polizei auf sich zu lenken, während sich die Milizen, das Comando Vermelho und das Terceiro Comando Puro Río untereinander streiten.
Fest steht, dass das PCC als eine Art "Gefangenen-Gewerkschaft" nach dem Massaker in der Haftanstalt von Carandiru, bei dem es 111 tote Gefangene gab, entstand. Damals erkannten die Gefangenen, dass sie sich gegen einen korrupten Staat und eine mordende Polizei zusammenschließen müssen.
Das PCC entstand in den Gefängnissen und von dort breitet es sich weiter aus: es ist die Frucht massenhafter Inhaftierungen, das Ergebnis der von mit kleinen Drogenhändlern überfüllten Gefängnisse, der dort herrschenden absolut unmenschlichen gesundheitlichen Bedingungen. Macht es einen Sinn, einen Mini-Drogendealer festzuhalten und einzusperren, damit er später mit einem postgraduierten Abschluss in Kriminalität rauskommt?
Mit dem neuen Jahrhundert wendet sich das PCC gen Westen, um sich an den Grenzen von Paraguay und Bolivien zu etablieren und Kokain-Lieferanten für die Versorgung seiner Verkaufsstützpunkte in São Paulo zu suchen. Nach dem Tod von Rafaat dringt es in Paraguay und Bolivien ein und dominiert heute die gesamte Kette von der Produktion im bolivianischen Urwald bis zum Export.
Um zu einer "echten Mafia" zu werden, fehlt ihm nur noch die dauerhafte Infiltration des Staates. Aber im Unterschied zu Pablo Escobar hat das PCC keine politischen Ambitionen... zumindest derzeit nicht, wohl aber Rituale nach Art der italienischen Mafia.
Es ist auffällig, dass die dem PCC angehörenden brasilianischen Gefangenen in den uruguayischen Gefängnissen dort ihre Ideologie verbreiten, die aus einer Reihe von strikten Regeln besteht. Um in das PCC einzutreten, muss man getauft werden. Dafür muss man einen Paten haben. Das heißt, dass ein Mitglied des PCC den Kandidaten empfiehlt und die Verantwortung für dessen Handeln übernimmt. Es ist erlaubt, dass die Mitglieder eigene illegale Geschäfte betreiben, aber niemals dürfen sie die Erfüllung der ihnen übertragenen Aufträge vernachlässigen und auch kein Geld oder Waffen der Organisation abzweigen. Es gibt sogar interne Gerichte.
Es gibt aber auch ein anderes Unternehmensmodell, nämlich das von Cabeça Branca, einem Kokain-Großhändler, das über diesen Organisationen stand. Er schuf ein bedeutendes logistisches System in Transitländern wie Brasilien und Uruguay. Der Großhändler kauft das Kokain und bringt es zu seinem Abgangsort: Seine Macht wird umso größer, über je mehr Routen er dafür verfügt.
Cabeça Branca, der über 30 Jahre lang ungestraft davonkam (die Bundespolizei hatte nicht einmal ein Foto von ihm), verfügte über eine Flugzeugflotte, eine LKW-Flotte, Beamte in fast allen brasilianischen Häfen, Landgüter in Mato Grosso, die als Lager für das Kokain dienten, das dort per Flugzeug eintraf und von dort per LKW in die großen Zentren weitertransportiert wurde.
Die Operation, die ihn ins Gefängnis brachte, war an einer Politik ausgerichtet, die nicht auf die Sicherstellung und Beschlagnahmung von Drogen fokussiert war, sondern auf die Untersuchung von Geldwäsche und anschließende Beschlagnahme der Vermögenswerte des Kriminellen.
Ecuador ist unterdessen zu einem der größten Drogenexporteure geworden. Die Ermordung des Präsidentschaftskandidaten Fernando Villavicencio ist eine der vorhersehbaren Folgen der neuen Lage gewesen.
Das Land verfügt über vier geografische Regionen: Küste, Sierra, Amazonas-Gebiet und die Galápagos-Inseln. Die Küste steht unter der Herrschaft der mit dem Drogenhandel verbundenen kriminellen Banden. Diese Banden sind zwar auch in die Sierra und das Amazonas-Gebiet eingezogen, aber sie haben dort noch nicht die Kontrolle erlangt, die sie im Küstenstreifen ausüben. Von den Grenzen transportieren sie die Drogen, die sie über das Meer oder mit kleinen Flugzeugen außer Landes bringen. Ihre mexikanischen und europäischen Partner übernehmen die Drogen auf hoher See, auf Autobahnen in Mittel- und Nordamerika oder in den Häfen Europas. Das heißt, Ecuador ist ein Rad im weltweiten Getriebe von Produktion, Transport und Verkauf der Drogen.
Bevor Ecuador dazu wurde, war es schon ein Gebiet, in dem das Geld aus dem Drogenhandel gewaschen wurde. Das Land nutzt US-Dollar als nationale Währung, was die Einschleusung von Dollar in das Finanzsystem und in jede Art von Investitionen sehr viel einfacher macht. Ecuador wusch bereits die Dollar, bevor es zum Haupt-Ausfuhrkanal für Kokain wurde.
Während der letzten Jahre ist die Modernisierung des Landes atemberaubend gewesen. Es ist sogar so weit gekommen, dass private Bauunternehmer selbst die Vorhaben finanzieren, die sie sowohl für die Regionalregierungen als auch für Kommunen und Präfekturen errichten. Es gab Geld, das diskret zirkulierte, um alle möglichen Unternehmen zu finanzieren ‒ unter Bedingungen, die unerklärlich wären, wenn es nicht darum ginge, mit dem Geld keinen Gewinn zu erzielen, sondern es einfach in Umlauf zu bringen. Allerdings: wenn eine Person einmal Geld angenommen hat, kann sie es beim nächsten Mal nicht mehr ablehnen.
Ecuador ist geografisch gesehen im Vergleich zu seinen Nachbarn ein kleines Land: Es hat nur ein Viertel des Territoriums von Peru oder Kolumbien. Während der vergangenen 20 Jahre bauten und verbesserten die Zentralregierungen und Regierungen der Teilstaaten die Fernstraßen und Autobahnen, Flughäfen und Häfen und machten so das Land viel besser passierbar und erreichbar als früher. Diese gesamte Infrastruktur haben sich die kriminellen Banden zunutze gemacht.
Die Fälle von Drogenhandel waren nicht losgelöst von der Kriminalgeschichte der Republik. Während der 1990er Jahre und in den ersten Jahren des neuen Jahrtausends wurden lokale Drogenhändler verhaftet und ihnen der Prozess gemacht; das waren noch kleine Beispiele für das, was Drogenhandel bedeutete. Jedoch war schon der Mord an dem Abgeordneten Jaime Hurtado im Jahr 1999 verbunden mit seinen Recherchen zu Geldwäsche im Finanzsystem jener Jahre.
Das heutige System, die beispiellose Macht der kriminellen Banden, hat sich in den letzten 20 Jahren herausgebildet. In Ecuador wurden immer mehr Fälle von Komplizenschaft zwischen Politikern und Drogenhändlern aufgedeckt. Geheime Straßen und Anlegestellen wurden in Komplizenschaft zwischen Drogenhändlern und Politikern der Grenzregionen geschaffen. Ein Vorfall lässt erahnen, wie weit die Drogenhändler in den Staatsapparat vorgedrungen sind: 2013 wurde ein Diplomatenkoffer voller Drogen nach Italien geschickt. Der Skandal belastete schließlich das Außenministerium und zeigte die Art der Beziehungen zwischen Drogenhändlern und Politikern.
Die friedliche Koexistenz zwischen Drogenhandel und Politik endete mit dem Amtsantritt von Lenín Moreno im Jahr 2017, als dieser total mit seiner revolutionären Vergangenheit brach und sich der Verfolgung der Korruptionsfälle seiner alten Partner widmete: gegen Jorge Glas, seinen Vizepräsidenten, wurden Untersuchungen eingeleitet, er wurde vor Gericht gestellt und wegen Korruption verurteilt. Unter anderem wurde er der Annahme von Bestechungsgeldern des brasilianischen Unternehmens Odebrecht angeklagt. Erst kürzlich hat die Justiz die Anklagen gegen Glas zurückgezogen.
Moreno und sein Nachfolger, Guillermo Lasso, beendeten Bündnisse mit Russland und froren die Beziehungen zu China ein. Moreno lieferte Julian Assange aus und in kurzer Zeit hatten die USA einen alten Verbündeten in der Region wiedergewonnen. Damit war der Boden bereitet, um den Krieg gegen den Drogenhandel zu beginnen, in dem die USA der Hauptverbündete des Landes sind. Der Krieg gegen die Drogen begann mit Moreno und hat sich mit Lasso fortgesetzt. Dieser Krieg bedeutet den Zustrom von Millionen von Dollar und riesigen Mengen an Waffen für die Polizei und die Armee.
Wie alle wissen, hat der Krieg gegen den Drogenhandel mit US-amerikanischer "Technologie" und "geheimdienstlicher Aufklärung" weder in Kolumbien noch in Mexiko funktioniert. Wieso sollte er also in Ecuador funktionieren?
Vor wenigen Monaten bezichtigte der US-Botschafter in Quito mehrere Polizeigeneräle, mit dem Drogenhandel zusammenarbeiten. Die US-Botschaft entzog ihnen das Visum, aber die Regierung Lasso entließ sie weder, noch ermittelte die Justiz gegen sie oder brachte sie vor Gericht. Man machte nichts. Warum kann niemand gegen die Polizei vorgehen? Das ist eine Frage, die gleich zur nächsten führt: Warum kann niemand gegen die Drogenhändler vorgehen?
Der Vorwurf, dass Ecuador von einem Drogenstaat (narcoestado) regiert wird, erlangt volle Berechtigung angesichts der Ermordung von Fernando Villavicencio. Letztlich ist es so, dass diejenigen, die das Verbrechen unter Kontrolle bringen sollen, tatsächlich mit ihm zusammenarbeiten. Die kriminellen Banden kontrollieren nicht nur bereits komplett Städte wie Daule, wo sie versuchten, den Bürgermeister zu ermorden, und andere wie Manta, wo sie den Bürgermeister im vergangenen Juli tatsächlich umbrachten. Zwei Küstenstädte.
Für die Ermordung von Fernando Villavicencio gibt es bislang kein erkennbares Motiv. Der Journalist und Politiker hatte sich in den Jahren der Bürgerrevolution für die Aufdeckung von Korruptionsfällen eingesetzt. Und in den letzten Wochen hatte er sich gegen die kriminellen Banden gestellt. Es gelang ihm sogar, eine politische Veranstaltung in einer Stadt abzuhalten, die als Wiege dieser Banden bekannt ist. Villavicencios Angehörige und Mitstreiter behaupten, die Polizei habe den Schutz, den sie ihm gewähren sollte, vernachlässigt.
Zum Zeitpunkt seiner Ermordung war es nicht sicher, ob er in die Stichwahl kommen könnte. Seine Ermordung hat Terror in der Hauptstadt verbreitet und das Gefühl vertieft, dass es keine Möglichkeit gibt, um die Gewalt des Drogenhandels gegen den Staat und die Gesellschaft zu stoppen.
Pablo Cuvi, Herausgeber des Portals Primicias, spricht schon offen davon, einige Drogen zu legalisieren. Das Grundproblem ist, dass die Mafia-Organisationen gar nicht in die Legalität wollen, weil sie dann für ihre mit dem Drogenhandel verbundenen Verbrechen bezahlen müssten und weil es für sie rentabler ist, wenn das Geschäft klandestin bleibt. Wie sagte Clausewitz, der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln: Viele Akteure ziehen es vor, den Krieg aufrechtzuerhalten. So erlangen sie eine Macht, die sie mit politschen Mitteln nicht erreichen könnten.
Wer sind also die Verantwortlichen und Schuldigen für die Ermordung von Fernando Villavicencio? Man muss bedenken, dass die kriminellen Banden Verbindungen zum Correísmus und auch zur aktuellen Regierung haben. Erst kürzlich wurden die Beziehungen zwischen albanischen Drogenhändlern und hohen Regierungsbeamten aufgedeckt, die für Beschaffungen der öffentlichen Hand zuständig sind. Die Ermordung von Rubén Chérrez, Freund und Berater des Schwagers von Lasso, weist in diese Richtung.
Verónica Sarauz, die Witwe von Fernando Villavicencio, hat den Correísmus und die Regierung als Verantwortliche bezeichnet, obwohl es ihr an Beweisen für eine solche Behauptung fehlt. Lasso hat die gegen ihn laufende Ermittlung praktisch unbeschadet überstanden; er wurde beschuldigt, einer der Protagonisten des "Bankfeiertages" gewesen zu sein, das heißt, des Zusammenbruchs des Finanzsystems, der für Hunderttausende von Bankkunden den Verlust ihrer Ersparnisse bedeutete.
Die Polizei beschützte Villavicencio nicht so, wie sie es hätte tun müssen. Und einer der Schützen, den sie ins Krankenhaus bringen sollten, starb in den Händen der Polizei: sie brachten ihn auf ein Polizeirevier. Das heißt: Politiker und Mörder agierten in Sichtweite der Ordnungskräfte, die sie gewähren ließen. Es ist wie im Film "Z" von Costa Cavras.
Letztlich muss man sich fragen, ob Fernando Villavicencio ein Agent des US-Auslandsgeheimdienstes CIA war, wie Ex-Präsident Rafael Correa sagte und wie Telesur enthüllte. Wenn sich das eines Tages beweisen sollte, würden hinter seiner Ermordung nicht nur die lokalen Politiker sondern Regierungen der Region und auch jene Macht stecken, die in Europa einen Krieg führt.