Kuba / Politik

Kubas Dialog mit seinen Emigranten

Seit 1978 haben sich die Beziehungen zwischen der sozialistischen Regierung und den kubanischen Auswanderern grundlegend verändert

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Fidel Castro bei einer Ansprache in Havanna im Jahr 1978
Fidel Castro bei einer Ansprache in Havanna im Jahr 1978

Hunderttausende im Ausland lebende Bürger aus Kuba nehmen heute an der Debatte über das Verfassungsprojekt teil, das die sozialistische, demokratische und nachhaltige Zukunft bestimmen wird, die im Bestreben der weit überwiegenden Mehrheit der Kubaner liegt. Dies ist zweifelsohne ein Erfolg für die Nation.

Die Beziehung Kubas zu seinen Auswanderern war kein Randproblem des historischen Konfliktes mit den USA und der bedingungslosen Unterstützung Washingtons für Emigrantengruppen, die zum Sturz der Revolution seit jenem 1. Januar 1959 auf Terrorismus und Aggression setzten.

Am 6. September 1978 gab der kubanische Revolutionsführer Fidel Castro der Situation eine neue Wendung. Er lud während eines Interviews mit einer Gruppe kubanischer und nordamerikanischer Journalisten repräsentative Persönlichkeiten der kubanischen Gemeinschaft in den USA ein, einen offenen Dialog über Themen gemeinsamen Interesses aufzunehmen.

Auf Nachfragen betonte Fidel, dass er diese Angelegenheiten nicht mit der US-Regierung, sondern nur mit der Gemeinschaft der Emigranten diskutieren werde:

"Diese Probleme werden wir aus Gründen der nationalen Würde und der nationalen Souveränität nicht mit der Regierung der USA diskutieren und werden dies auch niemals tun, weil es sich um innere Angelegenheiten unseres Landes handelt".

Der Revolutionsführer stellte dabei nur zwei Bedingungen für eine Beteiligung: Es sollten repräsentative Persönlichkeiten der Exilgemeinde und keine Mitglieder konterrevolutionärer Gruppen sein:

"Wir sind weder heute noch jemals bereit, mit Rädelsführern der Konterrevolution auch nur irgendetwas zu diskutieren oder zu besprechen. Wir sind aber sehr wohl bereit, mit Persönlichkeiten der kubanischen Gemeinde die Probleme zu besprechen und zu diskutieren, die für die Gemeinschaft der Kubaner von Interesse sind", sagte er.

Carter und die Entspannung an der Floridastraße

Der Beginn eines Dialoges und der Aufbau einer Beziehung zur Emigration wäre ohne das Zusammenwirken mehrerer Faktoren, darunter der Amtsantritt der Regierung von James Carter, nicht möglich gewesen. Darauf weist der kubanische Politologe Ramón Sánchez Parodi hin, der im Jahr 1978 erster Leiter der neu geschaffenen Interessenvertretung Kubas in Washington war.

Die Regierung Carter hatte sich die Modifizierung der Konfrontationspolitik zwischen beiden Ländern zum Ziel gesetzt. Dies ermöglichte die Eröffnung von Interessenvertretungen in beiden Hauptstädten und sollte schließlich die bilateralen diplomatischen Beziehungen wieder herstellen, auch wenn dies, wie Parodi anmerkt, am Ende nicht erreicht wurde.

Obwohl sich verschiedene Sektoren den Veränderungen der Politik gegenüber Kuba rasch widersetzten und einige der Maßnahmen Carters sogar innerhalb seiner eigenen Regierung boykottiert wurden, erkannte Fidel die Bedeutung der Veränderung des Umfeldes an:

"Dies konnte nicht vorher getan werden, daran war nicht einmal zu denken! In den USA gab es eine sehr ernste Situation, es war die Epoche, in der die CIA und die US-Regierung die Ermordung der Führer der Revolution, die Sabotagakte, die Konterrevolution, die Waffenlieferungen vorbereiteten, mit denen sie aktiv einen Krieg gegen die Kubanische Revolution führten", sagte er bei einer Pressekonferenz am 21. November 1978.

In Kuba hatte eine Etappe der Institutionalisierung ihren Höhepunkt erreicht und nach fast 20 Jahren durchgreifender Veränderungen war die Revolution sehr viel gefestigter als 1959.

Der 1. Kongress der Kommunistischen Partei war abgehalten, die Verfassung von 1976 in einer Volksabstimmung angenommen und die Volksmacht mit der Bildung der Nationalversammlung als einheitlichem Machtorgan etabliert worden. All dies im Rahmen der erreichten Stabilität in den Wirtschaftsbeziehungen mit dem sozialistischen Lager und besonders mit der Sowjetunion seit dem Beitritt zum Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe.

Dieses Szenario brachte der revolutionären Regierung politische und wirtschaftliche Stabilität in einem Kontext größerer internationaler Sicherheit.

Eine sich verändernde Gemeinschaft

Berechnungen des Pew Hispanic Center zufolge belief sich die Zahl der aus Kuba in die USA emigrierten Bevölkerung im Jahr 1978 auf 431.429 Personen. Einbezogen sind dabei auch die Kubaner, die sich bereits vor 1959 dort aufhielten. Antonio Aja, ein Fachmann in der Thematik, beziffert sie nach der Rückkehr von etwa 100.000 Menschen nach dem Sieg der Revolution noch auf etwas über 50.000.

Laut einer Umfrage des Miami Herald 1 im Dezember 1975 lehnten 53 Prozent der Befragten die Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen den USA und Kuba ab, während sich 47 Prozent mit einer Normalisierung einverstanden erklärten. Dies brachte eine bedeutsame Tendenz zum Ausdruck, die heute insgesamt günstig ist.

Dem Artikel des kubanischen Historikers Elier Ramírez Cañedo "Der erste Dialog" (El primer diálogo) zufolge wurden die Strömungen, die sich von den traditionellen Positionen der kubanischen Gemeinschaft in den USA im Hinblick auf Kuba zu entfernen begannen, insbesondere zu Beginn der 1970er Jahre deutlich. Vor allem unter den jungen Menschen, die die Insel als Kinder verlassen hatten und in den USA durch den Widerstand gegen den Vietnamkrieg und den Kampf für die Bürgerrechte besonders geprägt worden waren. Dazu kamen der Wunsch, ihre kulturellen Wurzeln kennen zu lernen und das Bedürfnis, die Wahrheit über den Prozess der Kubanischen Revolution zu erfahren.

"Unter den Organisationen, die in jenen Jahren entstanden, war die Sozialistische Kubanische Jugend (Juventud Socialista Cubana Socialista, JSC), die sehr radikal war und mit der Parole bekannt wurde 'nicht alle Kubaner sind Würmer'2. Dieser Organisation schloss sich eine beträchtliche Anzahl junger Leute an", so Cañedo.

Die JSC existierte nur kurze Zeit, bildete jedoch den Grundstein für die künftigen Organisationen der Linken und die Kaderschmiede für einige ihrer wichtigsten Anführer. Die zweite Strömung dieser Bewegung bestand aus jenen Jugendlichen, die zur Linken kamen, nachdem sie zuvor den Weg der Konterrevolution beschritten hatten. Dies war eine erfahrenere politische Gruppe, in der sich Lourdes Casal aufgrund ihrer intellektuellen Fähigkeiten hervortat.

Im Jahr 1974 begründeten diese beiden recht informellen Strömungen die Zeitschrift Areíto, die in den intellektuellen Medien der USA, Lateinamerikas und Kubas großen Widerhall fand und dazu beitrug, aufzuzeigen, dass die kubanische Gemeinschaft in den USA nicht monolithisch war. Und sie leistete einen Beitrag dazu, Kontakte zwischen der kubanischen Regierung und den Emigranten herzustellen.

Fast zur selben Zeit erschien die Zeitschrift Junges Kuba (Joven Cuba). Herausgeber war eine Gruppe junger Leute, die mit der radikalen Bewegung in der USA verbunden und begierig war, ihre kubanischen Wurzeln von Grund auf kennen zu lernen.

Viele, die mit den Zeitschriften Areíto und Joven Cuba verbunden waren, schlossen sich anderen Projekten an. Das bedeutendste war schließlich die Brigade Antonio Maceo, an der hunderte junger Leute teilnahmen.

Ramón Sánchez Parodi zufolge erachtete die kubanische Regierung es unter diesen Umständen als notwendig, den Forderungen verschiedener Sektoren der Emigration nach Anerkennung ihrer Identität und ihres Status nachzukommen und ergriff daher die Initiative, zu einem Dialog aufzurufen.

Dies schuf eine "Formel, damit die kubanischen Behörden einen formellen und direkten Kommunikationskanal mit diesen Leuten unterhalten konnten, um deren Interessen, Absichten und Bereitschaft" angesichts der Entwicklung der neuen Gesellschaft, die sich in Kuba im Aufbau befand, kennenzulernen.

Die Dialoge

Der erste Dialog fand schließlich am 20. und 21. November 1978 statt. Es war ein breit angelegtes Treffen, an dem 75 repräsentative Persönlichkeiten der Emigration in den USA und anderen Ländern teilnahmen.

Eine zweite Zusammenkunft fand am 8. Dezember 1979 statt. Von den 75 Teilnehmern des ersten Treffens waren sieben nicht mehr dabei und 72 weitere kamen hinzu, sodass die Abschlusserklärung schließlich von 140 Vertretern der kubanischen Gemeinschaft unterzeichnet werden konnte.

Jede aweitere repräsentative Person konnte unabhängig von ihrer ideologischen Orientierung an den Gesprächen teilnehmen, wenn sie bereit war, ernsthaft an der Lösung der Probleme mitzuarbeiten, die die Beziehungen zwischen der Regierung Kubas und der kubanischen Gemeinschaft in den USA betrafen.

Drei grundlegende Aspekte wurden behandelt:

  • Die Besuche der Ausgewanderten in Kuba, die bis zu diesem Zeitpunkt nicht gestattet waren

  • Die Familienzusammenführung

  • Die Freilassung der konterrevolutionären Gefangenen

In allen Punkten gab es Vereinbarungen, die historische Reichweite hatten. Kuba genehmigte denjenigen, die wegen Vergehen gegen die Sicherheit des Staates verurteilt worden waren und ihre Strafen bereits verbüßt hatten, das Land zusammen mit ihren Angehörigen zu verlassen. Die Repräsentanten der kubanischen Gemeinschaft im Ausland verpflichteten sich ihrerseits, die notwendigen Schritte mit den Behörden der US-Regierung zu unternehmen, um für die ehemaligen Häftlinge und ihre Familienangehörigen die notwendigen Einreisevisa zu besorgen.

Eine weitere Vereinbarung, die zur Familienzusammenführung beitragen sollte, sah vor, dass Kuba aus humanitären Gründen jenen Personen die dauerhafte Ausreise in die USA oder in andere Nationen genehmigt, die eine direkte familiäre Beziehung zu Bürgern oder Personen kubanischer Herkunft haben, die in besagten Ländern leben.

Außerdem gab die kubanische Regierung bekannt, dass sie von Januar 1979 an im Ausland wohnhaften Kubanern Besuche auf der Insel erlauben werde. Bestimmte Personen könnten jedoch aufgrund ihrer Vorgeschichte und ihres Verhaltens von diesen Vorrechten ausgenommen bleiben.

Der Dialog war ein Wendepunkt in der kubanischen Migrationspolitik, der eine Linie der Annäherung vorgab, die sich mit all ihren Fort- und Rückschritten bis in unsere Tage fortsetzt.

Seitdem haben weitere Begegnungen stattgefunden, wie die Konferenzen "Nation und Emigration" von 1994, 1995 und 2004, bei denen neue Maßnahmen aus migratorischen Gesichtspunkten im Sinne der Betreuung der im Ausland lebenden kubanischen Gemeinde beschlossen wurden.

Die Nation und ihre Emigration in aktuellen Zahlen

  • 11.176 kubanische Auswanderer siedelten sich im Jahre 2017 erneut auf nationalem Territorium an.

  • 432.786 im Ausland lebende Kubaner reisten 2017 nach Kuba, im Jahr 2016 waren es noch 329.448

  • 1.578.430 in den USA wohnhafte Kubaner sind zwischen 2012 und 2017 nach Kuba gereist.

  • Kubaner leben zeitweise oder dauerhaft in über 120 Ländern der Welt.

  • Die größte Gruppe davon befindet sich in den USA, wo schätzungsweise etwa 2 Millionen leben, von denen 57 Prozent auf der Insel geboren sind und die übrigen sich laut der US-Volkszählungsbehörde aufgrund ihrer familiären und kulturellen Bindungen als dieser Nationalität zugehörig bezeichnen.

  • Nach Angaben des Pew Research Center machen die Kubaner weniger als 4 Prozent der in den USA lebenden Einwohner mit hispanoamerikanische Herkunft aus. Deren höchste Zahl kommt mit insgeamt 64 Prozent aus Mexiko.

  • Heutzutage gibt es 157 Vereinigungen von im Ausland lebenden Kubanern (Cubanos Residentes en el Exterior) in 72 Ländern, es finden regelmäßig nationale und regionale Treffen statt und die Verbindungen zwischen Kuba und den im Ausland lebenden Kubanern werden in einem kontinuierlichen und unumkehrbaren Prozess gestärkt (Zahlenangaben laut Granma)

  • 1. Miami Herald ist eine vom rechtsgerichteten kubanischen Exil dominierte spanischsprachige Tageszeitung in Florida
  • 2. Fidel Castro hatte die ersten der reichen weißen ehemaligen Grundbesitzer, die nach dem Sturz des von den USA unterstützten Diktators Fulgencio Batista aus Kuba in die USA flohen, als "gusanos" (Würmer) bezeichnet.