Kolumbien: "In den ländlichen Gebieten machen die Sicherheitskräfte, was sie wollen"

Gespräch mit Yuri Quintero vom Netzwerk für Menschenrechte in Putumayo über das jüngste Massaker in der Region, den Friedensprozess und die Präsidentschaftswahlen

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Selbstorganisierung: Das Red DDHH arbeitet mit den Betroffenen von Gewalt und staatlicher Vernachlässigung zusammen
Selbstorganisierung: Das Red DDHH arbeitet mit den Betroffenen von Gewalt und staatlicher Vernachlässigung zusammen

Worin besteht die Arbeit des Netzwerks für Menschenrechte in Putumayo und wie werdet ihr von den Konflikten beeinflusst, beispielsweise durch die Anwesenheit unterschiedlicher bewaffneter Akteure in der Region?

Das Netzwerk für Menschenrechte entstand 2011 als ein notwendiger Prozess im bäuerlichen Sektor, um unsere Rechte zu verteidigen. In dieser Zeit war die Situation der Bauern aufgrund des Verhaltens staatlicher Sicherheitskräfte sehr schwierig. Es gab Probleme wie unautorisierte Kontrollen der Häuser der Bauern oder Fälle anlassloser Kontrollen der Menschen auf den Straßen einiger Dörfer. Es gab unbegründete Festnahmen, die später mit gefälschten Beweisen verurteilt wurden.

Dies sind nur einige der vielen Dinge, die uns die Notwendigkeit gezeigt haben, uns selbst zur Verteidigung der Menschenrechte zu organisieren und das Netzwerk für Menschenrechte zu gründen. Seit dieser Zeit haben wir uns drei Bereichen gewidmet. Der erste und wichtigste ist die Ausbildung. Wir bieten Schulungen mit unserer eigenen Pädagogik in der südlichen Region an, die Piamonte genannt wird, in Cofania Jardines de Sucumbíos, Nariño und Putumayo. Wir arbeiten ausschließlich in ländlichen Gebieten. Natürlich begleiten wir in besonderen Situationen auch Menschenrechtsprozesse in Städten. In den letzten Jahren haben wir im Kontext von Projekten, die sich gegen die Umwelt und den Amazonas richten, viel mit Menschenrechtsverletzungen zu tun gehabt.

Der zweite Arbeitsbereich unseres Netzwerks sind die öffentlichen Beschwerden oder Bekanntmachungen über Situationen, in denen die bäuerliche Gemeinschaft das Opfer ist.

Der dritte Arbeitsbereich ist die juristische Begleitung, Beratung, Fortbildung und Schulung in grundlegenden juristischen Werkzeugen, in konkreten Fällen auch die Begleitung von Familien mit Anwaltsteams, die Teil unseres Prozesses sind. Dabei nehmen sie jedoch sehr bescheidene Preise, obwohl sie im Grunde ganz normale Anwälte sind, die reguläre Preislisten haben und sie unterstützen die Menschen trotzdem, obwohl es ihnen finanziell weh tut.

Diese Fälle entwickeln sich zu politischen Fällen, beispielsweise bei den Verhaftungen im Rahmen der Zerstörung von Koka-Pflanzen, als das Militär die Marktplätze der Leute zerstörte, Arbeitsmaterialien wegnahm oder illegale Hausdurchsuchungen machte. Es sind solche Fälle der Anschuldigungen durch öffentliche Sicherheitskräfte, die von den Anwälten unter Entbehrungen begleitet werden und dies geht einher mit einer pädagogischen Schulung der Leute, damit sie sich nicht erschrecken und sich verteidigen können. Staatliche Sicherheitskräfte missbrauchen häufig die fehlenden Kenntnisse der Bauern und der Gemeinden. Es ist dann einfach für sie, die Gemeinden anzugreifen, die dann verängstigt sind und sich nicht trauen zu reden – sie lassen diese Dinge mit sich machen.

In diesen kleinen Aktionen besteht also unsere Rolle und unsere Präsenz als Netzwerk für Menschenrechte. Wir sind Männer und Frauen, überwiegend Bauern und Bäuerinnen, in Situationen mit großen Risiken. Fast alle von uns haben einen besonderen Rechtsstatus, wir haben unsere eigenen Mechanismen der Nachhaltigkeit, die auch aus den Beiträgen der Gemeinden bestehen. Wenn wir einen Workshop veranstalten, wird dieser von den Leuten finanziert. Wenn wir jemanden begleiten, helfen uns die Menschen bei der benötigten Logistik und das trägt dazu bei, dass wir als Bauern, die keine Geldmittel haben, trotzdem all diese Dinge tun können. Wir lassen uns gegenseitig nicht hängen, um es mit anderen Worten zu sagen. Die Leute können weiterhin auf unsere Begleitung und Hilfe zählen.

Zum anderen nimmt das Netzwerk für Menschenrechte auch an lokalen, regionalen oder inter-institutionellen Diskussionen teil. Wir nehmen an Diskussionen rund um die Umsetzung der Politiken teil, die mit dem Thema der Menschenrechte für die Gemeinden verbunden sind. So haben wir es gewagt, dem oder der Bürgermeister:in, oder dem oder der Gouverneur:in zu sagen, dass es einen Entwicklungsplan für Menschenrechte braucht, der verschiedene Bereiche wie die Bildung, die Stärkung durch die lokalen Gemeinderäte, die Sichtbarmachung all dessen, was Verletzungen von Menschenrechten sind und die Notwendigkeit der Anerkennung der Gemeinden als Promotoren und Vermittler der Menschenrechte in der Region, beinhaltet.

Wir sprechen hier von einer Region, die eine lange Geschichte von Misshandlungen, Verletzungen und staatlicher Vernachlässigung hat. Dies geht mit schwerwiegenden Konsequenzen innerhalb der Gemeinden einher, also mit sozialen Krisen, humanitären Krisen, politischen Krisen und sehr viel Unsicherheit und Instabilität.

Diese Dynamiken haben uns als Netzwerk für Menschenrechte dazu gebracht, weiterhin diese Rolle einzunehmen. Trotz des Friedensvertrags dauern hier einige systematische Verhaltensmuster an, nicht nur von illegalen Akteuren. Traurigerweise scheinen diese Verhaltensmuster der Militärdoktrin der staatlichen Sicherheitskräfte zu folgen. Ich glaube, dass Kolumbien eines der Länder ist, welches das Verhalten seiner staatlichen Sicherheitskräfte in den Territorien und deren Rolle beim Fortbestehen des internen Konflikts und den strukturellen Problemen des Landes am meisten hinterfragen sollte. Deshalb sehen wir uns als Netzwerk für Menschenrechte in der Pflicht, mit unserer Arbeit weiter zu machen und jeden Tag weiter vorzubereiten, uns besser zu organisieren und stark zu bleiben.

Wir waren häufig Opfer von individuellen und kollektiven Drohungen. In Putumayo, wie in ganz Kolumbien, gibt es eine Kampagne, damit die Verteidiger und Verteidigerinnen von Menschenrechten verschwinden. Gegen das Netzwerk für Menschenrechte gibt es starke Reaktionen in der Region. Reaktionen die sich in juristischen Entscheidungen gegen uns zeigen, die auf falschen Beweisen beruhen. Diese Entscheidungen setzen außerdem diejenigen, die Teil unseres Prozesses sind, einem großen Risiko aus.

Wir haben Menschen, die sehr sichtbar sind und in diesem Fall spreche ich mit euch als Koordinatorin des Netzwerks für Menschenrechte. Wir haben uns dafür entschieden, unser Verhalten als Verteidigerinnen und Verteidiger von Menschenrechten zu bewahren und als Mechanismus des Selbstschutzes verhalten wir uns manchmal – wie wir sagen – wie Chamäleons.

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Das Netzwerk unterstützt die Gemeinde nach dem Massaker vom 28. März
Das Netzwerk unterstützt die Gemeinde nach dem Massaker vom 28. März

Wie ist die aktuelle Situation in Putumayo vor dem Hintergrund der jüngsten Tötungen durch das Militär?

Das, was am vergangenen 28. März passiert ist (amerika21 berichtete), hat uns alle im Territorium sehr getroffen. Zuerst einmal, wenn man bedenkt, wie zunächst der Bericht über eine vermeintliche "Militäroperation" veröffentlicht und wie diese Version aufrecht erhalten wurde. Zweitens wegen der Kraft, die in diesen Momenten in der Gemeinden steckt, bäuerlichen wie indigenen, anzuprangern und in die Welt zu schreien, was wirklich passiert ist. Ich denke es ist wichtig dies zu betonen, denn unser Territorium ist aktuell durch eine hohe Unsicherheit geprägt und die Leute sind es gewohnt, nicht über solche Dinge zu sprechen.

In diesem Fall haben die Leute die Entscheidung getroffen über das, was sie gesehen haben, zu reden. Vor allem wegen der Sprache, welche die staatlichen Sicherheitskräfte wieder einmal gegen die Gemeinden benutzten. Es ist sehr schmerzhaft für eine Gemeinde wenn sie erfährt, wie das Militär sie als bewaffnete Akteure bezeichnet. Sie nennen außerdem verschiedene bewaffnete Akteure, ohne konkret zu sagen, wer das genau ist. Diese Dinge gilt es zu hinterfragen. Die Gemeinden und alle im Territorium erkennen, dass die Zunahme des Konflikts und seine Neukonfiguration nach dem Friedensvertrag, eine schwierige Sache ist. Nicht nur, dass die Geschichte in den Territorien sich wiederholt, sondern es gibt auch neue Dynamiken, mit deren Einordnung wir uns schwer tun.

Es ist eine Tatsache, dass sich unter den bewaffnete Akteuren auch Personen befinden, die den Friedensvertrag unterzeichnet haben und welche die Menschen zu einem bestimmten Zeitpunkt als Freunde betrachtet haben. Jetzt müssen sie sie wieder bewaffnet und gegen die Gemeinschaft agieren sehen, das beeinträchtigt die Stabilität der Gemeinschaften sehr stark.

Hinzu kommt, dass der Streit um die Territorien die Menschen sehr verwirrt, weil es sich um zwei Akteure handelt, die einst auf derselben Seite standen und nun Todfeinde sind, um es so zu sagen. Die Schlussfolgerung, die wir in der Zivilgesellschaft daraus ziehen ist, dass die Menschen zwischen die Fronten dieses Konflikts geraten und diejenigen sind, die wie immer, am meisten betroffen sind.

Die staatlichen Sicherheitskräfte missbrauchen dies und wenn ich sage missbrauchen, dann meine ich, dass es für sie beispielsweise sehr einfach ist, sich als einer dieser Akteure zu verkleiden. In diesem Fall haben sie das sehr schlecht gemacht, denn keiner dieser Akteure hat im Territorium eine Vermummung benutzt. Sie vermummen sich und kommen schreiend und schießend im Namen eines Akteurs, später verschwinden sie in den Bergen.

Nachdem der Hubschrauber all die toten Körper aufgesammelt hat, die sie hinterlassen haben, steigen sie ebenfalls in den Hubschrauber ein und verschwinden. Sie dachten sicher, die Leute würden das bei der ganzen Aufregung nicht bemerken. Aber die Leute haben es gesehen und bei diesem Panorama – stell es dir einmal vor – nach den Schüssen, die Menschen laufen erschreckt davon und von einem auf den anderen Moment kommt das Militär und die Leute denken, da kommen die Retter. Später sehen sie, wie die vermummten Leute in den Hubschrauber einsteigen und die Leute sagen: "Das sind dieselben, die uns töten, dieselben die uns weiterhin töten werden."

Wir haben dieses Verhalten und diese Methoden schon 2021 angeprangert, während der Untersuchungen in Yuriria im selben Munizip und dafür haben wir die schlimmsten Drohschreiben erhalten. Ein Pamphlet enthielt sogar meinen Namen. Für uns weisen solche Drohschreiben immer eine militärische Sprache auf, die Art wie sie geschrieben und formuliert sind.

Nachdem das Militär mit der Operation, für die sie eine Anordnung von einem Staatsanwalt aus Bogotá hatten, fertig war, fiel ihnen auf, dass die Gemeinde gesehen hat, wie sie vermummt in den Hubschrauber gestiegen sind. Die Menschen begannen sie anzuschreien, das sie es sind, die sie töten würden. Sie ließen es so aussehen, als ob die Personen Guerillakämpfer waren, dass es eine Operation war, bei der auch ein Soldat verletzt wurde. Nun gut, es kann sein, dass sie sich in dem Chaos, als sie begannen zu schießen, selbst verletzt haben.

Es gibt hier zwei Dinge die klargestellt werden müssen: In diesem Territorium sind verschiedene bewaffnete Gruppen präsent und tatsächlich kann es sein, dass unter den Leichen Personen sind, die einer dieser Gruppen angehören. Warum? Weil es Leichname gibt, die niemand identifiziert hat und die niemand aus der Gemeinde erwähnt.

Wir als Netzwerk für Menschenrechte haben beispielsweise in unseren Kommuniqués von sieben Toten und drei verletzten Personen gesprochen, weil diese von der Gemeinde direkt identifiziert wurden und uns die Ausweisnummern sowie die vollständigen Namen von ihnen, gegeben wurden. Wir fordern Gerechtigkeit, Wahrheit und Wiedergutmachung für diese Personen.

Wenn es Tote gibt, die von einer der bewaffneten Gruppen sind, gibt es auch zwei Dinge anzumerken: sie waren betrunken, sie haben zu keinem Moment geschossen und hatten daher ein Anrecht darauf, sich zu ergeben. Es waren festgenomme Personen und das Militär hatte keinen Grund, sie zu erschießen, denn sie haben nicht geschossen.

Aber klar, welche Überraschung – hier können wir das kolumbianische Militär nicht auffordern sich an das humanitäre Völkerrecht zu halten, rechtmäßige Festnahmeprotokolle zu befolgen oder internationales Kriegsrecht zu achten, denn die Personen waren ja vermummt und hatten natürlich das Recht, selbst den Dorfhund zu töten. So diskutieren wir die Dinge heute in Kolumbien, das ist das Ergebnis. Das ist, was konkret passiert ist.

Die Menschen haben es uns erzählt und wir versuchten zum Ort des Geschehens zu gelangen. Das Militär hatte die Zone abgesperrt und ließ uns nicht ins Dorf. Leute, die in dieser Zone Mobiltelefone mit Aufnahmen vom Geschehen hatten, wurden vom Militär bestohlen. Die Leute hatten natürlich viele Beweise für alles, was geschehen war und das Militär stieg damit einfach in den Hubschrauber und entfloh der Situation.

Man erfuhr erst durch offizielle landesweite Medien davon, nicht mal die Bürgermeisterin von Puerto Leguízamo wusste davon und niemand in Putumayo, erst durch die Medien erfuhr man von einer angeblichen Operation und all die Fragen in den sozialen Netzwerken tauchten auf, sowie die Information, dass Bauern und Indigene ermordet wurden.

Wir haben uns gefragt, was dort wirklich passiert ist. Man sah all diese Dinge in den sozialen Netzwerken und das war ein unmittelbarer Alarm. Wir haben also versucht, Kontakt mit der Gemeinde und den Familien aufzunehmen. Wir hatten auch Fotos von Personen gesehen, die Teil unseres Prozesses waren und fingen an nachzuforschen und all die Infos zu sammeln, die wir dir hier erzählen. Insgesamt haben wir es hier mit einer Inszenierung zu tun, mit einem Staatsverbrechen und damit, dass das Militär seine paramilitärischen Praktiken im Territorium reaktiviert.

Sie hatten keinen Grund zu sagen, dass alle an diesem Ort Guerillamitglieder sind oder diese Operation durchzuführen. Das ist es, was wir heute hinterfragen. Das ist es, was wir heute auf nationaler und internationaler Ebene öffentlich anprangern, denn für die Gemeinde und die Familien ist dies die aktuelle Situation und sie erzählen der Welt was passiert ist, ohne dass sie Sicherheitsgarantien haben. Sie leben in einem sehr ungeschützten Territorium, wo die staatlichen Sicherheitskräfte machen, was sie wollen.

Im letzten Jahr besaßen sie die Unverschämtheit, einem Komitee der Übergangsjustiz ein negatives Sicherheitskonzept zu präsentieren, also ein Konzept, das besagt, dass die internationale Gemeinschaft und Nichtregierungsorganisationen nicht in Puerto Leguizamo präsent sein sollen. Sie sollen keine Fragen stellen und keine Untersuchungen und Nachforschungen über das, was in Puerto Leguízamo passiert ist, anstellen. Seit 2020 sind in diesem Munizip sehr gravierende Dinge geschehen und sie geschehen weiterhin.

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Yuri Quintero, Koordinatorin des Red de Derechos Humanos del Putumayo, Piamonte y Sucumbíos
Yuri Quintero, Koordinatorin des Red de Derechos Humanos del Putumayo, Piamonte y Sucumbíos

Kann man diese Gewalt mit den Wahlen in Verbindung bringen und wie ist deine Perspektive auf die Präsidentschaftswahlen?

Die Gewalt beeinflusst die Wahlen sehr, denn die Ergebnisse der letzten Wahlen [den Parlamentswahlen im März 2022] zeigen, dass die Prozentzahl der Leute, die nicht gewählt haben, sehr hoch ist. Vor allem in ländlichen Gegenden, wo es für die Leute die wählen gehen möchten, keine Sicherheitsgarantien gibt, ist die Zahl der Nichtwähler stark angestiegen. Es gibt auch keine Sicherheitsgarantien, damit die Leute ihre Ausweisnummern für die Wahlen einschreiben können.

Viele Menschen im Territorium sind neue Wähler, die keine Möglichkeit hatten, ihr Wahlrecht wahrzunehmen. Außerdem gab es bei den vergangenen Wahlen eine gewisse Beeinflussung der Menschen durch bewaffnete Akteure. Insbesondere in Territorien wie Grenzgebieten, von denen es in dieser Region vier gibt, wurden die Leute bedroht und angehalten, für bestimmte Kandidaten zu stimmen. Das hat auch dazu geführt, dass es viele Menschen vorgezogen haben, lieber nicht zu wählen.

Uns und anderen Organisationen, die an der Wahlkampagne des Pacto Histórico [linkes Wahlbündnis mit dem Präsidentschaftskandidaten Gustavo Petro] beteiligt waren, haben Leute beispielsweise erzählt, dass sie lieber nicht gewählt haben, um Probleme zu vermeiden. Ihnen wurde befohlen, für bestimmte Kandidaten zu stimmen und gesagt, dass man nach den Wahlen sehen würde, wie die Ergebnisse sind. Es gab also eindeutig einen starken Druck und viel Angst.

Ich denke, bei den nächsten Wahlen, den Präsidentschaftswahlen, wird sich die Situation verschlechtern. In Putumayo und vor allem im Munizip Puerto Leguízamo, wo es einen starken Einfluss des Militärs gibt und in den Verwaltungshauptstätten des mittleren und nördlichen Putumayo, werden die Leute sehr unter Druck gesetzt, damit sie keine starke Unterstützung für die Kandidatur von Petro zeigen – so war es auch bei den letzten Wahlen. Das ist für uns eindeutig das Panorama.

Wir tun hier viel, um das Wahlrecht zu sichern, aber vor allem um das Recht auf eine bewusste Wahl zu gewährleisten. In Putumayo hat die Gemeinschaft in der Vergangenheit starke Entscheidungen bei Wahlen getroffen, die im Ergebnis dazu geführt haben, andere Kandidaten zu wählen, darunter solche von eigenen Prozessen, ebenso wie Kandidaten, die dem landesweiten Bewusstsein entsprechen, die Politik im Land sowie die Korruption grundlegend zu verändern.

Das macht natürlich vielen Angst, möglicherweise ihre Macht zu verlieren und die Konfliktdynamik nicht aufrechterhalten zu können, die von den aktuellen Mächtigen finanziert wird, von den einzigen Mächtigen, die es in diesem Land je gegeben hat.

Was ist deine Perspektive auf die Ergebnisse der Transitorischen Sonderwahlkreise des Friedens?1

Bedauerlicherweise muss gesagt werden, dass es ein sehr negatives Ergebnis ist. Die Person, die in unserem Territorium gewählt wurde, entspricht dem traditionellen politischen Spektrum und den Kampagnen, die teilweise durch den Drogenhandel im Territorium finanziert wurden. Diese Kandidatur hat die Leute am meisten eingeschüchtert. Im letzten Moment erhielten die Menschen die Anweisung, für diesen Kandidaten zu stimmen, insbesondere in ländlichen Gebieten und dort wo die meisten Leute wählen konnten, und wo es eine hohe Präsenz des Drogenhandels gibt. Nun gut, jetzt gibt es dieses Ergebnis. Wir in Putumayo haben gesagt, das dieser Kandidat uns nicht repräsentiert und die Mystik und Unantastbarkeit der Friedensmandate verletzt.

Es gibt Berichte über Ermittlungsverfahren gegen diese Person und unglücklicherweise haben uns diese Friedensmandate viele Probleme bereitet. Wir konnten keine Kampagnen in den ländlichen Zonen machen, denn von einem auf den anderen Moment gab es ein Verbot von Kampagnen. Denkst du, die am stärksten bedrohten Aktivisten kommen ins Territorium und starten Kampagnen? Wir konnten dort nicht mal wählen, denn wir mussten unser Wahlrecht in städtische Gebiete übertragen, um überhaupt abstimmen zu können. Das hat die Menschen sehr beeinflusst, denn sie sind es gewohnt, auf eine Führungsperson zu hören. Die Menschen sind es gewohnt, auf die Empfehlungen, Analysen und Ratschläge der Führungspersonen in den Territorien zu hören, insbesondere in ländlichen Zonen, wo die Menschen stets ein hohes Organisationsniveau gewohnt sind. Leider wissen wir nicht, wie sich die Menschen in dieser Logik beim aktuellen Kandidaten verhalten werden. Wir erwarten natürlich nichts von ihm und wissen, dass wir weiterhin wichtige Aufgaben im Territorium haben und weiterhin für die Verteidigung des Friedensvertrags und die Arbeit rund um die Opfer kämpfen müssen.

Wie läuft die Umsetzung des Friedensvertrags in Putumayo?

Die Leute glauben nicht mehr, dass ein Friedensvertrag existiert. Das liegt am Desinteresse und dem arroganten Verhalten der Regierung, das man hier im Territorium sehen konnte. Das Ergebnis sieht man daran, dass nichts vorangeht. Es wurde so getan, als würde man die regionalen Entwicklungsprojekte vorantreiben, aber eigentlich wurden sie genutzt, um Wahlkampagnen zu realisieren. Sie wurden genutzt, damit die Protagonisten der liberalen und konservativen Partei sich die Mütze und das T-Shirt der Macht anziehen und der Welt erzählen können, sie würden die Projekte mit den Menschen voranbringen. Es gibt viel Unzufriedenheit diesbezüglich.

Der erste Punkt des Friedensvertrags, der eng mit dem vierten Punkt zusammenhängt, wurde nicht erfüllt, beispielsweise das Substitutionsprogramm. In Putumayo haben sich mehr als 2.000 Familien in das Programm eingeschrieben, die heute total vernachlässigt werden und sich daher gezwungen sehen, wieder Koka anzubauen, da die Regierung sich nicht an die Vereinbarungen hält. Sie haben freiwillig, wie es das Programm verlangt, ihre Koka-Anpflanzungen beseitigt, ihre Böden für die Projekte rund um das Substitutionsprogramm vorbereitet, aber die Regierung kam nie auf sie zu. Die Regierung hat es bei der Phase der Ernährungsunterstützung belassen und den Leuten zweimonatige Zahlungen geleistet. Aber das Geld kam nicht mal alle zwei Monate. Viele der Zahlungen kamen nur alle vier Monate und viele hörten von einem auf den anderen Moment auf. Außerdem wurden viele der Familien mit fadenscheinigen Argumenten aus dem Programm geworfen.

Heute gibt es viele Gerichtsurteile, die besagen, dass die nationale Leitung des Substitutionsprogrammes diese Familien wieder aufnehmen und den Substitutionsprozess von Neuem beginnen muss. Die Leute haben die Diskussion über die Materialisierung und Umsetzung des Friedensvertrags und seiner grundlegenden Punkte auf ihrer Agenda. Leider hat die Regierung kein Interesse daran, auf die Menschen zu hören oder den Friedensvertrag zu erfüllen, der Verfassungsrang hat und gesetzlich verankert ist. Das ist die Realität.

Dieses Departamento spielte eine wichtige Rolle bei der Schaffung von Wegen zur Umsetzung des Friedensvertrags. Wir hatten viele Arbeitsgruppen und es gab eine Pädagogik rund um den Friedensvertrag. Dabei sind wir von Dorf zu Dorf gegangen, damit die Leute ihn nicht nur kennenlernen, sondern sich seiner auch bemächtigen, so wie es sein sollte. Nichts davon war ausreichend, damit die Regierung den Friedensvertrag respektiert und dem massiven Ruf der Gemeinden nach  vollständiger Umsetzung folgt.

Wie ist deine Position zum Pacto Histórico?

Wir sehen ihn als einen großen politisch-organisatorischen Block. Ein Szenario, das es uns sozialen Sektoren und alternativen Parteien ermöglicht, von den Möglichkeiten eines Wahlprozesses aus zusammenzukommen und Schritt für Schritt das Land aufzubauen, das wir erträumen. Er muss auch die Dynamik eines jeden Gebiets erkennen, um nicht von abstrakten Dingen zu sprechen, sondern von den realen Gegebenheiten in den Gebieten. Dieser Raum wird heute zu einem Raum der Hoffnung für die soziale Basis.

Es gibt eine starke Beteiligung der Leute im ganzen Land, viel Begeisterung und eine große Beteiligung, insbesondere der Jugend und der Studierenden an diesem Projekt. Es ist ein politisches Projekt, das über die Wahlen hinausgeht und auf strukturelle Veränderungen in diesem Land abzielt. Wir hoffen, dass die Menschen, die jetzt in seiner ersten Reihe stehen, die Kohärenz dessen, was der Aufbau des "Historischen Pakts" bedeutet, bewahren werden. Und zuerst uns Kolumbianern und dann den lateinamerikanischen Ländern zeigen, dass wir gemeinsam seit vielen Jahren kämpfen und jetzt anfangen, etwas beizutragen.

  • 1. Die insgesamt 16 Sonderwahlkreise des Friedens sollen den Opfern des bewaffneten Konflikts Sitze im Repräsentant:innenhaus des Kongresses sichern. Sie wurden in besonders vom Konflikt betroffenen Regionen eingerichtet und bei den vergangenen Parlamentswahlen gewählt.