Kolumbien / Venezuela / Politik

Offensive gegen eine politische Lösung

Die Verhaftung des Journalisten Joaquín Pérez Becerra ist Teil einer Kampagne "gegen die Diplomatie der FARC im Ausland"

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Zu Gesprächen im Februar 2000 in Stockholm: Raúl Reyes und Victor Ricardo, der Vertreter der Regierung Pastrana, mit der schwedischen Außenministerin Anna Lindh
Zu Gesprächen im Februar 2000 in Stockholm: Raúl Reyes und Victor Ricardo, der Vertreter der Regierung Pastrana, mit der schwedischen Außenministerin Anna Lindh

Die Verhaftung des schwedisch-kolumbianischen Journalisten Joaquín Pérez Becerra in Venezuela und seine Auslieferung nach Kolumbien haben international Empörung hervorgerufen. Recherchen in kolumbianischen Medien seit Anfang dieses Jahres zeigen, dass die Aktion offenbar Teil einer Offensive der kolumbianischen Justiz gegen Politiker in Kolumbien und frühere Mitglieder der Unión Patriótica (UP)1 ist. Diese leben seit den 1990er Jahren im politischen Asyl in Europa und setzen sich für eine politische Lösung des kolumbianischen Konflikts ein.

So berichtet die Tageszeitung El Espectador in ihrer Ausgabe vom 4. Januar 2011, es ginge nun darum, Bewegung in die "Akte FARC-Politik" zu bringen. Ziel sei dabei, "die Verbindungen abzuschneiden, die die aufständische Gruppe heute nicht nur zu Politikern hat, sondern auch zu anderen Sektoren der Gesellschaft." So würden Ermittlungsverfahren gegen mehrere Personen geführt, die als "mögliche Protagonisten der FARC-Politik" in Frage kämen, unter ihnen mehrere ehemalige und aktuelle Kongressabgeordnete. Erstes Ergebnis dieses Vorgehens sei die Verhaftung des früheren Abgeordneten des Departements Guainia, Pedro Nelson Pardo, wegen Zusammenarbeit mit der FARC. Gleichzeitig bat die Staatsanwaltschaft die Regierung, aktiv zu werden, um bei den Behörden in der Schweiz die Festnahme von Lucas Gualdrón voranzutreiben.

Am 27. März 2011 richtete Kolumbien offiziell ein Auslieferungsgesuch an die Schweiz. Gegen Lucas Gualdrón liege ein internationaler Haftbefehl vor. In einer Meldung der kolumbianischen Tageszeitung El Tiempo dazu heißt es: "Mit dem Interpol-Haftbefehl wird der Verbindungsmann zwischen FARC und ANNCOL gesucht". Lucas Gualdrón lebt seit den 90er Jahren in der Schweiz im politischen Asyl. Die Beschuldigungen gegen ihn sind identisch mit denen gegen Joaquín Pérez Becerra ( "Finanzierung des Terrorismus und Verwaltung von Geldmitteln, die mit terroristischen Aktivitäten verbunden sind").

Als "Beweismittel" für diese Kriminalisierung dienen der kolumbianischen Justiz in allen Fällen die angeblichen Funde auf dem Computer von Raúl Reyes. Zur gezielten Tötung des FARC-Beauftragten für Friedensgespräche, Raúl Reyes, im März 2008, sagte der damalige kolumbianische Verteidigungsminister Santos: "Es ist der schwerste Schlag, der dieser terroristischen Gruppe bislang zugefügt werden konnte".

Die venezolanische Regierung erklärte dagegen: "Der Tod von Raúl Reyes ist ein schwerer Schlag für den Prozess zu einem humanitären Abkommen in Kolumbien. Er belegt einmal mehr die unnachgiebige Haltung derjenigen, von denen die militärische Option bevorzugt wird und die, ohne die schwerwiegenden Konsequenzen zu beachten, einer Verschärfung des bewaffneten Konflikts den Vorzug gegenüber dem politischen Ausweg durch Verhandlungen geben". Tatsächlich hat die kolumbianische Regierung seitdem alle internationalen Vermittlungsbemühungen zum Stillstand gebracht – bis heute.

Lucas Gualdrón und Joaquín Pérez Becerra haben sich im Exil bei zahlreichen Veranstaltungen, Konferenzen und in Kontakten mit europäischen Politikern für eine politische Lösung des bewaffneten Konfliktes in Kolumbien eingesetzt. Pérez Becerra war nach Angaben des schwedischen Journalisten Dick Emanuelsson wesentlich am Zustandekommen der Friedensgespräche zwischen der FARC und dem kolumbianischen Präsidenten Pastrana ab 1999 unter Vermittlung der Regierungen Schwedens und Norwegens beteiligt. Lucas Gualdrón hat 2008 mit dem Vertreter der Schweizer Regierung, Jean Pierre Gontard zusammen gearbeitet, um einen Austausch von Gefangenen der FARC und den Kriegsgefangenen aus der FARC zu ermöglichen.

Die politische Ankündigung der seit Jahresbeginn laufenden Justiz-Offensive stammt noch von Álvaro Uribe. Im Januar 2010 hatte er gegenüber Journalisten dazu aufgerufen, "Schluss zu machen mit den Kriminellen mit weißem Kragen" und "den Banditen", die in Schweden und anderen Ländern leben, von wo aus sie als "Helfer des Terrorismus" agierten. Kurz darauf kündigte Außenminister Jaime Bermúdez an, seine Regierung werde "eine internationale Strategie in Gang setzen, um Front zu machen gegen die Diplomatie der FARC im Ausland".

Nach Bekanntwerden dieser Äußerungen hatten sich Mitarbeiter von ANNCOL, Radio Café Stereo und der Asociación "Jaime Pardo Leal" sowie weitere kolumbianische Exilorganisationen in Schweden an die dortige Regierung gewandt und um Schutz ersucht, unter ihnen auch Joaquín Pérez Becerra.

  • 1. Die Unión Patriótica wurde 1985 als Versuch einer politischen Lösung des internen bewaffneten Konflikts in Kolumbien gegründet und sammelte die linken Kräfte des Landes. In den folgenden Jahren musste sie den Versuch des legalen politischen Kampfes mit mehreren tausend ermordeten Parteimitgliedern bezahlen.