Kolumbien / Kultur

"Schöne Poesie als laute Geräusche verkleidet"

Die Band "Resplandor" aus Kolumbien geht mit Hardcore nicht nur in die stimmliche Tiefe

Ein lächelnder junger Mann kommt auf einem sonnengelben Motorrad angefahren. Er hat eine Schwäche für die Lambretta-Klassiker. Am liebsten hört er die Salsaklänge seiner Heimat Kolumbien, wenn er im Sattel seiner motorisierten großen Liebe sitzt. Die Tätowierungen zeigen, dass er Skater ist und auch auf seiner Kleidung prangert in stolzer Schrift UNDERGROUND SKATEBOARD. Sein Board hat er heute zu Hause gelassen, denn für das Konzert seiner Hardcore/Metal-Band "Resplandor" braucht Pito nur seine schwarze Gitarre.

Gegensätze machen die sechsköpfige Band aus Bogotá aus: derbe Gitarrenmusik verträgt sich hier mit traditionellen Salsarhythmen, Skater- mit Bikerkultur, Poesie mit Krach. Den Bandnamen "Resplandor" legen Juan (Bass), Diego (Gitarre), Pito (Gitarre), Edison (Schlagzeug), Tito (Gesang) und Bhajan (Gesang) selbst zweideutig aus. Auf der einen Seite steht "Schein" für grelle Neonlichter in den Schaufenstern und für den trügerisch schönen Schein der TV-Shows, knallige Symbole des von Resplandor kritisch betrachteten, allgegenwärtigen Kapitalismus. Auf der anderen Seite, so erklärt Bhajan, kann man auch an einen rettenden Glanz in erstickender Finsternis denken, das Licht am Ende des Tunnels. Doch zu welcher Erleuchtung wollen die Jungs anregen?

Die Texte stellen dem aufmerksamen Hörer die Frage, wie er seine Freizeit verbringt, warum und für wen er arbeitet und welche Folgen jegliche seiner Handlungen hat. Zum Nachdenken und zur kritischen Reflexion, regt Titos gewaltige Stimme an. Er und seine Kumpels stehen auf der Bühne gegen die Passivität der Gesellschaft, gegen Konformität, gegen Entfremdung und gegen das Konsumdenken. Den ungezügelten Kapitalismus knöpfen sie sich vor. Die wahre Freiheit lautet die Botschaft von "Resplandor", doch es geht nicht um die bequeme Freiheit von Coca-Cola und Co., sondern eine manchmal auch schmerzhafte Befreiung des Individuums hin zu seiner wahren Identität. Um ein breiteres Publikum zu erreichen, wird in Spanisch sowie in Englisch gebrüllt.

Frontmann Bhajan stellt klar, dass sie sich nicht des Englischen bedienen, um die englische oder amerikanische Kultur zu verbreiten. Die Sprache ist für ihn nur ein Werkzeug. "Man kann einen Stein verwenden, um etwas zu zerbrechen oder um etwas zu bauen. Man kann das Internet nutzen, um sinnlose Spiele zu zocken oder um seine Kunst produktiv über den Planeten zu verbreiten." Englisch kann man nutzen, um wirtschaftlich international aktiv und erfolgreich zu sein oder um mit Musik mehr Menschen zum Nachdenken anzuregen.

Die Reflexion ihrer Handlungen hat die sechs Musiker schon vor zwölf Jahren davon überzeugt, gänzlich auf Fleisch, Alkohol und andere Drogen zu verzichten. In Kolumbien ist das nicht immer einfach und stößt häuftig auf Unverständnis. Fleisch gehört zu nahezu jeder Mahlzeit eines Kolumbianers dazu und neben den Indígenas, welche Koka für zeremonielle Zwecke verwenden, konsumieren viele Kolumbianer verschiedene Drogen in Maßen oder auch in Massen.

Zu einem vegetarischen und drogenfreien Leben hat die Schwarzgekleideten der Hardcore angeregt. Aus den Vereinigten Staaten schwappte die Musik nach Kolumbien. Als eine Szene mit viel Gefühl für Familie und Freundschaft beschreibt Bhajan den neuen Stil. Eine enge Beziehung zwischen Publikum und Band ist das faszinierende Moment, welches bisher im Rock und Punk vernachlässigt wurde. 1993 gründete sich die erste Hardcore-Band in Bogotá "Natural Justice" und 1995 kamen die rechtsextremen "Sin Salidas" hinzu.

Pito, Juan und Edison waren begeistert von der musikalischen Professionalität, die rassistischen und gewalttätigen Inhalte lehnten sie jedoch ab. Pito beschreibt Hardcore auf seine Weise: "Hardcore ist keine Musik, Hardcore ist die Liebe, ist eine Inspiration. Es ist das Leben, es ist, man selbst zu sein und für das zu kämpfen, woran man glaubt. Es heißt auch ehrlich zu sein, egal was es bedeutet!" Der Wunsch zu beweisen, dass es Hardcore geben kann, der friedliche statt menschenverachtender Texte vermittelt, treibt die drei an, 1999 Resplandor zu gründen. Schon nach wenigen Monaten holen sie sich ihre Freunde Tito, Diego und Bhajan mit ins Boot.

Gemeinsam lassen sie sich zunehmend von der europäischen Szene beeinflussen. Doch Bhajan bemerkt: "In Europa haben die Menschen mehr Zeit für die Entwicklung von Kunstprojekten, Musik in unserem Fall. Sie haben nicht die wirtschaftlichen Sorgen wie in den lateinamerikanischen Ländern. Hier müssen sich die Menschen vor allem um die Deckung ihrer Grundbedürfnisse kümmern." Mit etwas Stolz und Zuversicht meint er auch, dass der Einfluss der auf der südlichen Erdhalbkugel gelegenen Länder immer stärker wird. Resplandor selbst wird für einen musikalischen Austausch im Sommer 2012 nach Deutschland kommen. Sie wollen zeigen, dass Kolumbien ebenfalls qualitativ hochwertige Musik kreiert und neuen Input durch Bekanntschaften zu anderen Hardcore-Bands in sich aufsaugen.

Nicht nur von neuen Klängen im Hardcore wollen sich die Kolumbianer bereichern lassen. Sie kombinieren ihr schnelles Schlagzeug und die die düsteren Gitarren mit elektronischen Sounds und verstärkt mit Hip-Hop-Beats. Sänger Bhajan selbst bewegt sich jüngst in der Szene des schnellen Sprechgesangs. Dabei hat er sich von Lucía Vargas, einer 25-jährigen Rapperin und Menschenrechtsaktivistin aus Bogotá, an die Hand nehmen lassen. Drei erfolgreiche musikalische Projekte des Hardcore mit Vargas Hip Hop können sich hören lassen.

Mit dem stetigen Zusammenbringen von Gegensätzen beweist Resplandor immer wieder: Ans Ziel gelangen heißt, sich die Freiheit dazu zu nehmen.


Kontakt zu Resplandor:

Bhajan: xresplandorx(at)riseup.net (Spanisch)
Anna: muse87(at)gmx.de (Deutsch und Englisch)

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21.12.2011 Artikel von Anna-Maria Gubar