Der Marsch der Massen

In Kolumbien gründete sich mit dem Patriotischen Marsch eine breite linke Sammelbewegung

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Carlos Garciá Marulanda am 30. Mai 2012 in Hamburg
Carlos Garciá Marulanda am 30. Mai 2012 in Hamburg

Vom 21. bis 23. April 2012 hat sich in Kolumbien eine breite linke Sammelbewegung auf einem nationalen Kongress mit 4.500 Delegierten aus 1.700 Gruppierungen öffentlich konstituiert, der "Patriotische Marsch" (La Marcha Patriótica). Höhepunkt war eine Massendemonstration mit weit über 100.000 Teilnehmern in Bogotá. Auf einer kurzfristig organisierten Rundreise durch acht europäische Länder machte Carlos García Marulanda, Führungsmitglied der Bewegung und Mitglied der Kommunistischen Partei Kolumbiens, in Hamburg als einziger deutscher Stadt Station und sprach am 30. Mai im Veranstaltungstreff B5.

Die neue Bewegung ist ein Zusammenschluss von u.a. bäuerlichen und indigenen Organisationen, Friedensaktivisten, Afrokolumbianern, Schülern, Studenten und Basisbewegungen unterschiedlichster Sektoren, deren Mitgliederzahl sich insgesamt auf ca. zehn Millionen Kolumbianer summiert. Die KP Kolumbiens und die Izquierda Liberal en Movimiento von Piedad Córdoba sind als politische Parteien eingebunden. Die Bewegung denkt derzeit nicht über eine Beteiligung an Wahlen nach, sondern will eine breite Volksbewegung sein und durch Massenaktionen und Mobilisierungen, die Bündelung des ländlichen und des städtischen Widerstandes und durch die Einheit unterschiedlicher Basisgruppen einen Prozess der Veränderung voranbringen. Ziele sind u.a. eine Landreform und die Aufarbeitung der durch die Herrschenden und ihre Paramilitärs begangenen Verbrechen.

Carlos García Marulanda zeichnete ein erschreckendes Bild der kolumbianischen Realität, die von der Regierung und auch in den europäischen Medien schöngeredet wird. Seit dem Beginn der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen vor ca. 60 Jahren liegt die Zahl der Opfer bei ca. 250.000, darunter 3.500 Gewerkschaftsaktive. Die Zahl derer, die verschwunden sind, stieg inzwischen auf über 57.000 an. Bei einer Gesamtbevölkerung von 45 Millionen leben 25 Millionen unterhalb der offiziellen Armutsgrenze, davon acht Millionen in extremer Armut. Kolumbien belegt weltweit Platz drei in der Rangliste der Länder mit der größten Disparität bei der Verteilung des Reichtums. Derzeit sind 5,2 Millionen Menschen auf der Flucht im eigenen Land, mehr als in jedem anderen Staat. Es gibt ca. 8.000 politische Gefangene. Bedrohung, Vertreibung, das Verschwindenlassen politischer Gegner und Mordanschläge gehören zum Alltag. Auch der "Patriotische Marsch" hat die ersten Opfer zu beklagen.

Dieser der Mehrheit der Bevölkerung aufgezwungene Terror durch eine zahlenmäßig kleine Oligarchie und deren Politiker ist für diese Sektoren das Mittel, sich die Ressourcen des reichen Landes zu sichern. Zu diesem Zweck wurden paramilitärische Verbände geschaffen, welche die Drecksarbeit verrichten. Acht Millionen Hektar des besten Ackerlandes befinden sich bereits in den Händen von Drogenmafia und Paramilitärs. Darüber hinaus ist Kolumbien mit seinem Zugang zu zwei Ozeanen von besonderem strategischen und militärischen Interesse für die USA, die sich mit einer wachsenden lateinamerikanischen Volksbewegung in ihrem einstigen Hinterhof konfrontiert sieht. 4.500 multinationale Konzerne sind in Kolumbien präsent, beuten die reichen Rohstoffvorkommen aus und verfügen mit ihren Konzessionen bereits über 40 Prozent des Landes.

Diese Politik hat den bewaffneten Konflikt hervorgebracht und verschärft. Die Regierung versucht, den Patriotischen Marsch zu diskreditieren, indem sie ihn als legalen verlängerten Arm der Guerillaorganisationen darstellt. Wie Carlos García unterstrich, ist dies jedoch nicht der Fall. Zwar gebe es Gemeinsamkeiten wie die Einsicht in die Notwendigkeit der Veränderung, doch ELN und FARC setzen auf den bewaffneten Kampf und gehören der Massenbewegung nicht an, während diese als im legalen Rahmen arbeitend ihr Recht auf politische Aktion in Anspruch nimmt.

Er sieht bei den Aufständischen gleichfalls den Willen, den bewaffneten Konflikt zu beenden. Auf die Frage, woher die Bewegung den Optimismus nimmt, angesichts der bestehenden Zustände in einem legalen Rahmen Veränderungen zu erkämpfen, antwortete García, dass es Anzeichen dafür gebe, dass die Herrschenden die Auseinandersetzungen im bisherigen Ausmaß nicht mehr lange werden fortführen können. Die neue Regierung unter Manuel Santos habe bereits außenpolitisch Entlastung gesucht und die Schärfe aus den Disputen mit Venezuela und Ecuador herausgenommen.

Im September dieses Jahres soll erneut eine Informationsreise des Patriotischen Marsches stattfinden. Man hofft, dann auch bei Parlamentariern und einer breiteren Öffentlichkeit in Europa Aufmerksamkeit und Unterstützung zu finden.