Welle der Gewalt und Vertreibungen in Kolumbien

Drei Morde an Aktivistinnen und Aktivisten innerhalb von 72 Stunden. Erneut ehemalige Farc-Guerilleros getötet. Vertreibungen im Südwesten

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Wurde ermordet: IIdalia Castillo Narváez, Mitglied der Organisation für Opferbelange und Vorstand des Rates für gemeinschaftliche Aktionen des Dorfes Bella Vista im Verwaltungsbezirk Cauca, Kolumbien
Wurde ermordet: IIdalia Castillo Narváez, Mitglied der Organisation für Opferbelange und Vorstand des Rates für gemeinschaftliche Aktionen des Dorfes Bella Vista im Verwaltungsbezirk Cauca, Kolumbien

Bella Vista, Kolumbien. Idalia Castillo Narváez, Mitglied der Organisation für Opferbelange und Vorstand des Rates für gemeinschaftliche Aktionen des Dorfes Bella Vista im Verwaltungsbezirk Cauca, ist vergangene Woche tot in der Nähe ihres Hauses aufgefunden worden. Sie wurde vergewaltigt und gefoltert. Auch zwei Mitglieder der linken Basisorganisation Marcha Patriótica, Fernando Asprilla und Nidio Dávila, sind Mordanschlägen zum Opfer gefallen. Dávila war Mitglied der Landarbeiterorganisation von Nariño, Asprilla Gemeindeführer im Cauca. Alle drei Morde wurden innerhalb von 72 Stunden verübt. Damit steigen die Fälle von ermordeten Friedens- und Umweltaktivisten in Kolumbien seit Beginn dieses Jahres auf mindestens 55 an. 500 weitere wurden im gleichen Zeitraum bedroht. Die Menschenrechtsorganisation "Somos Defensores" prangert an, dass im Vergleich zum vergangenen Jahr durchschnittlich 30 Prozent mehr Aktivisten umgebracht wurden.

Wie die frühere Guerillaorganisation "Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens" (Farc) berichtet, wurden seit in Kraft treten der Amnestie für ihre ehemaligen Mitglieder sieben begnadigte Guerilleros ermordet, zwei von ihnen, Jesus Adán Mazo und Norbey Téllez, in der Nacht vom 13. auf den 14. August. Auch acht Familienangehörige von Farc-Kämpfern wurden getötet.

"Der größte Teil der Morde und Bedrohungen wurde in Regionen registriert, wo vorher die Farc operierten", warnt Kolumbiens Ombudsmann Carlos Alfonso Negret. In den Verwaltungsbezirken Cauca, Antioquia, Norte de Santander und Córdoba geschahen demnach die meisten dieser Verbrechen. Dort entstand nach dem Rückzug der Guerilla ein Machtvakuum, das zu einer massiven Ausbreitung paramilitärischer Banden und einem Anstieg bewaffneter Auseinandersetzungen zwischen Paramilitärs, kriminellen Gruppierungen und Dissidenten der Farc sowie Guerilleros der Nationalen Befreiungsarmee (ELN) führte – ungeachtet der Präsenz der kolumbianischen Armee in den Regionen.

Im Fall von Castillo Narvaéz ermittelt die lokale Staatsanwaltschaft, doch die Aussichten auf eine staatliche Aufklärung der Hintergründe sind gering. Anfang des Jahres erklärte Generalstaatsanwalt Nestor Humberto Martínez, dass zwischen den Morden an Aktivisten kein Zusammenhang bestehe: "Die Quellen der Bedrohung sind vielfältig, eine Systematik gibt es zur Zeit nicht."

Carlos Guevara, Mitglied von "Somos Defensores", kritisiert, dass in nur fünf der 80 im vergangenen Jahr registrierten Fälle Strafurteile gefällt wurden: "Ohne effektive Ermittlung ist es unmöglich zu wissen, ob ein systematisches Vorgehen besteht". Gravierend komme hinzu, dass es keine Institution im Lande gebe, die für die Situation der Aktivisten Verantwortung übernimmt. Dabei hätte die "Sondereinheit für den Schutz gefährdeter Personen", wie sie von Menschenrechtsorganisationen gefordert wird, längst gegründet werden müssen. Dies war im Friedensvertrag zwischen Regierung und Farc unter Punkt 2.2.1 ausdrücklich festgelegt worden.

"Alle waschen sich die Hände in Unschuld und niemand strebt eine wirkliche Lösung an", klagt Guevara. "Der Ombudsmann kann nur vor der Gefahr warnen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nicht gegen die Beamten, welche die Morde nicht verhinderten und die Regierung bildet Verhandlungstische, aber effektiven Schutz gibt es nicht".

Dabei bahnte sich die gefährliche Situation, in der sich Menschenrechtsaktivisten während der Umsetzung des Friedensvertrages zwischen der Regierung und der mittlerweile vollständig entwaffneten Farc befinden, seit letztem Jahr bereits an. Im Jahresbericht 2016/2017 von Amnesty International hieß es: "Paramilitärische Gruppen waren weiterhin aktiv, obwohl sie vorgeblich bereits vor einem Jahrzehnt demobilisiert wurden. Sie operierten allein oder mit stillschweigender Duldung durch staatliche Akteure und waren für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen – auch Morde und Morddrohungen – verantwortlich."

In den ersten sechs Monate des Jahres sind zudem 7.371 Menschen aufgrund der neuen Welle der Gewalt vertrieben worden.

In der Region Nariño im Südwesten Kolumbiens wurden vergangene Woche mindestens 92 Menschen vertrieben. Das geht aus einem am Freitag vom Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Vereinten Nationen (OCHA) veröffentlichten Dokument hervor. Bewohner des Dorfes Teraimbe berichteten am 8. August von massiven Bedrohungen durch einen in der Region aktiven bewaffneten Akteur. Um welchen es sich handelt, ist bisher nicht bekannt. Betroffen sind insgesamt 37 Familien, die in der Gemeindehauptstadt Barbacoas bei Familien und Freunden Zuflucht gefunden haben. Teraimbe ist Teil der Gemeinde Barbacoas und liegt in der Pazifikregion Nariño.

Nach einem im Mai veröffentlichten Bericht der kolumbianischen Nichtregierungsorganisation Frieden und Versöhnung, sind in der betroffenen Region mehrere bewaffnete Gruppierungen aktiv. Darunter die Guerilla "Nationale Befreiungsarmee" (ELN), eine abtrünnige Farc-Einheit sowie rechte Paramilitärs.

Kolumbien hat mit rund 7,2 Millionen Betroffenen weltweit die meisten Binnenflüchtlinge.

Trotz des Friedensvertrages mit der Farc-Guerilla kommt es immer wieder zu gewaltsamen Vertreibungen. Insbesondere aus den Regionen der Pazifikküste wurden in den letzten Monaten vermehrt Fälle bekannt. Alleine in diesem Jahr sind bereits rund 4.000 Menschen aus ihren Wohnorten im Chocó vertrieben worden. Als Grund dafür werden paramilitärische Aktivitäten angegeben.

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