Venezuela / Politik

"Lucha Libre" im Parlament von Venezuela

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Der oppositionelle Abgeordnete Alfonso Marquina erschien bereits mit Motorrad-Helm zu Beginn der Sitzung.
Der oppositionelle Abgeordnete Alfonso Marquina erschien bereits mit Motorrad-Helm zu Beginn der Sitzung.

"Es gibt auch einen anderen Weg" lautet der Slogan der venezolanischen Oppositionspartei Primero Justicia. Die Parole erhält seit Dienstag eine völlig neue Bedeutung. Abgeordnete der Partei lieferten sich einen sehr physischen Schlagabtausch mit Vertretern der Regierungsfraktion. Das venezolanische Parlament (parlar = reden) verwandelte sich kurzzeitig in eine mexikanische Wrestling-Arena.

Bei diesem "Lucha Libre" taten sich besonders einige Hinterbänkler hervor: Richard Arteaga, Abgeordneter von Primero Justicia aus dem Bundesstaat Anzoátegui, stürmte über Tische und Bänke und teilte wilde Faustschläge nach allen Seiten aus. Da er ein auffälliges Kostüm in den venezolanischen Nationalfarben trug, lässt sich der Zwei-Zentner-Mann auch leicht als derjenige identifizieren, der zuvor Bürostühle über die Köpfe seiner Kollegen hinweg auf das gegnerische Team schleuderte.

Die Vertreter der Opposition trafen diese spektakulären High-Flying-Moves nicht unvorbereitet. Der sozialdemokratische Abgeordnete Alfonso Marquina erschien bereits zu Beginn der Sitzung mit einem recht massiven Motorrad-Helm auf dem Kopf. Andere Mitglieder des 67-köpfigen Team Blau hatten sich auf die Publikumsrolle im Show-Kampf vorbereitet. Sie brachten Pfeifen, Tröten und Transparente mit, um ihren "Luchador" anzufeuern. Wie auch beim richtigen "Lucha Libre" verließ der Kampf jedoch schnell die Arena und zog das Publikum teilweise erheblich in Mitleidenschaft.

Am Tag danach heißt es für die Teams "Wunden vorzeigen", denn ohne Presseberichte bringt der schönste Show-Kampf langfristig nichts ein. Publikumsliebling María Corina Machado präsentiert ihre vermutlich schon häufiger operierte Nase und gibt an, sie sei viermal gebrochen. Teamleiter Julio Borges stellt seine geschwollene linke Wange zur Schau und macht natürlich Kämpfer der gegnerischen Mannschaft für die Verletzungen verantwortlich.

Allerdings lässt sich in der verwackelten Dokumentation des Spiels nicht erkennen, ob ihn nicht vielleicht ein unkontrollierter rechter Haken seines Luchador Richard Arteaga traf. Und auch Corina Machado war in der Mannschaftsaufstellung so weit von Arteaga entfernt, dass sie möglicherweise zum Kollateralschaden von dessen "friendly fire" wurde, zumal sie anders als ihr Kollege Alfonso Marquina keinen Sturzhelm zum Spiel mitgebracht hatte.

Angesichts dieser neuen Disziplin im venezolanischen Parlament kann es kein Zufall sein, dass Präsident Maduro sich unmittelbar danach mit der Panamerikanischen Sportorganisation (Odepa) traf. Dabei muss es als glücklicher Umstand gelten, dass die neue Sportministerin des Landes, Alejandra Benítez, dem Lucha Libre ferngeblieben war, denn die Frau ist nicht nur Fechterin, sondern in dieser Sportart auch gleich mehrfache Olympia-Teilnehmerin und ehemalige Weltmeisterin.

Zwar erlauben die Freikampfregeln keinen Waffeneinsatz, aber ganz sicher hätte ihre Aufstellung das Team Rot, das mit 95 Playern ohnehin im Vorteil ist, noch deutlich verstärkt. Und schließlich hatte auch Team Blau frühzeitig und regelwidrig auf Wurfgeschosse zurückgegriffen... Gut für die Angreifer, dass der Säbel von Simon Bolívar sicher verstaut im Präsidentenpalast liegt.

Nach dem Treffen mit der Odepa ermahnte Nicolás Maduro daher heute beide Mannschaften, sich an die Regeln zu halten. Insbesondere Teamleiter Julio Borges solle "sauber bleiben" (oder handelt es sich bei dem Ausdruck "salir limpio" um einen versteckten Hinweis auf Doping?). Ausdrücklich nahm Maduro den Spielleiter Diosdado Cabello in Schutz. Dieser sei "ruhig und unerschütterlich" geblieben, obwohl er von Team Blau bedroht und angegriffen wurde und ohnehin habe Julio Borges den "Radau" begonnen.

Diese Version wird von zwar mehreren Mitgliedern des Team Rot bestätigt, allerdings beteuert die eindeutig unterlegene blaue Mannschaft, es sei genau andersherum gewesen. Wie so oft in solchen Situationen lässt sich der Übergang von "Parlar" zu "Luchar" jedoch nachträglich nicht mehr eindeutig feststellen. Zwar hatte Spielleiter Diosdado Cabello die Phase des "Parlar" beendet, indem er Team Blau das Rederecht entzog, aber auf den Dokumentionen ist auch deutlich zu erkennen, dass Borges und Arteaga unmittelbar an der Eröffnung der handfesten Wrestling-Phase beteiligt waren. 


Veranstaltungsmitschnitt der Regierung: Ab Minute 4:36 wirft Richard Arteaga mit Stühlen. Zu diesem Zeitpunkt sind noch alle Fäuste unten.

Zusammenfassung bei Bild.TV: Ab Minute 0:10 prügelt vermutlich Richard Arteaga auf alle Umstehenden ein, die ihn offensichtlich beschwichtigen wollen. Die Szene wird in dem Beitrag mehrmals wiederholt.