Chile / Politik

Chile: Die momentane Niederlage einer Idee, die nicht besiegt werden kann

Zwei Texte aus Kuba zum Jahrestag des Putsches in Chile und den aktuellen Angriffen gegen progressive Regierungen in Lateinamerika

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Chiles Präsident Salvador Allende und Kubas Revolutionsführer Fidel Castro
Chiles Präsident Salvador Allende und Kubas Revolutionsführer Fidel Castro

Die momentane Niederlage einer Idee, die nicht gestürzt werden kann

Julio Martínez Molina

In einem Artikel von Alfonso Sastre mit dem Titel Salvador Allende oder die unmöglichste Revolution ‒ jeder Bewunderer der chilenischen Führungspersönlichkeit sollte die Möglichkeit haben, ihn zu lesen1erinnert sich dieser spanische Intellektuelle daran, wie er zu Beginn der 70er Jahre Teil einer Gruppe von Erkundungsreisenden namens Operation Wahrheit war, die aus Schriftstellern, Kritikern, Dichtern und europäischen Künstlern bestand und von der Regierung der Unidad Popular eingeladen worden war, um vor Ort die soziale Wirklichkeit des südamerikanischen Landes kennenzulernen, die vom Imperialismus völlig entstellt wurde.

Sastre und alle anderen Gäste empfanden für Chile und die charismatische Persönlichkeit ihres Gastgebers sehr große Sympathie, aber bemerkten zumindest in seinem Fall zugleich sein zu hohes Vertrauen in das Militär, von wo letztlich in direkter Verschwörung mit Washington der abgefeimte Putsch herrührte, der zu seiner Opferung am 11.September 1973 und zur Machtübernahme der blutigsten Militärdiktatur führte, die die Geschichte des Subkontinents kennt.

Sastre bezeichnet den Idealismus der Unidad Popular als "politische Unbedarftheit". In seinem Text beschreibt er den Besuch eines Konzerts von Víctor Jara, wo viele Militärangehörige mit finsteren Gesichtern inmitten der lächelnden und singenden Leute zu sehen waren. Als er einen Vertreter der Partei Allendes danach fragte, antwortete ihm dieser, dies diene dazu, die einen mit den anderen bekannt zu machen.

Der scharfsinnige Denker dachte damals darüber nach und schrieb: "Mein Gott, welche Arglosigkeit!, dachte ich bei mir. Aber dies war Teil der Strategie eines neuen Weges – des 'chilenischen Weges' – zum Sozialismus, der endlich ein friedlicher Weg war! Dies führte dazu, dass ich meine schreckliche Voraussage sorgsam verschwieg. Denn, so dachte ich, wie schön, wenn es so wäre! Wenn meine chilenischen Freunde doch Recht hätten!".

Aber, so fährt Sastre fort: "Die Antwort der Realität war zu grausam. Das letzte Bild von Salvador Allende mit einem Stahlhelm auf dem Kopf und einem Gewehr in der Hand, (jenem, das ihm Fidel Castro geschenkt hatte, und das für mich mehr als ein Geschenk eine Warnung und einen Rat darstellte?) machte jegliche Illusion von einem unbewaffneten und friedlichen Prozess ein für allemal zunichte. Damit ein solcher Prozess möglich wäre, müsste die Demokratie Wahrheit sein und nicht ein bis an die Zähne bewaffnetes System, das keine grundlegende Änderung der Welt toleriert, wie es jene große Hymne verkündet, die die Internationale ist."

Die Regierung, die innerhalb von tausend Tagen auf friedliche Weise das Land revolutioniert hatte, die schrittweise die Grundlagen umgestaltete, auf denen eine neue Produktionsweise und ein neues sozio-politisches Dasein beruhen sollte, wurde vom arbeitenden Volk geliebt und trotzte der Bourgeoisie, die nicht an Änderungen und mehr an wachsendem Kapital interessiert war. Diese Regierung wurde durch den aufrührerischen Staatsstreich unter Führung des Verräters Augusto Pinochet gestürzt, dem das Weiße Haus auf die Beine half.

Auch wenn man die Direktheit seines Herangehens als ungehobelt bezeichnen könnte, hat sich Sastre in seiner Bewertung des chilenischen Status quo scheinbar nicht geirrt und ebensowenig in der Beurteilung der Vorgehens- und Denkweise der revolutionären, aber noch unreifen Führungsschicht. Ein klassisches Beispiel hierfür: Allende war zu Beginn des Putsches vom 11. September um das Schicksal seines "Freundes" Pinochet besorgt, der, wie er noch glaubte, im Kampf gegen die Verschwörer den Tod gefunden haben musste. Dies ging aus Zeugenaussagen und Dokumentarfilmen so hervor. Er konnte sich in dem Moment noch nicht vorstellen, dass sein "Freund" der Judas jenes Zeitpunkts der Geschichte war, der Panzer, Flugzeuge und mordende Bestien in Uniform gegen die Moneda aussenden würde.

Später, als er die wahre Situation bereits voll verstand, erlaubte es ihm seine visionäre Klarheit unter solch schwierigen Umständen seiner Zeit vorauszugreifen, nach dem zukünftigen politischen Horizont Lateinamerikas Ausschau zu halten und zu versichern: "Arbeiter meines Vaterlandes! Ich glaube an Chile und sein Schicksal. Es werden andere Chilenen kommen. In diesen düsteren und bitteren Augenblicken, in denen sich der Verrat durchsetzt, sollt ihr wissen, dass sich früher oder später, sehr bald, erneut die breiten Alleen auftun werden, auf denen der würdige Mensch dem Aufbau einer besseren Gesellschaft entgegengeht."2

Danilo Bartulín, Freund und Leibarzt von Allende, sein politischer Vertrauter und Mitglied der Gruppe der persönlichen Freunde, der die letzten Momente des Präsidenten erlebte, beschrieb in einem Interview den Putsch.

Darin ist von dem Mut und seinen Taten vor dem definitiven Epilog die Rede: "Allende, der den Stahlhelm trug, war ruhig, sehr gefasst, aber enttäuscht. Die Militärberater der Moneda sagten ihm: 'Schauen Sie, alle Streitkräfte sind am Putsch beteiligt, also treten Sie zurück'. Er antwortete ihnen: 'Stellen Sie sich ihren Befehlsstellen zur Verfügung, ich bleibe hier als Präsident'. Kurz vorher hatte er über Radio Magallanes die Abschiedsrede gehalten, die die Liste der Anklagepunkte gegen die militärische Untreue, die Ambitionen der nationalen Oligarchie und deren Unterwerfung unter Washington beinhaltete: "Ich werde nicht zurücktreten. In diesen historischen Übergang gestellt, werde ich die Loyalität des Volkes mit meinem Leben vergelten."

Er hielt Wort. Mit seinem Tod und der Auflösung der Regierung der Unidad Popular zerbrach einer der schönsten Träume Lateinamerikas des 20. Jahrhunderts. Es war zweifellos ein bedauernswerter historischer Rückschritt, aber es ist bekannt, dass die Geschichte nicht geradlinig verläuft und ihre momentanen Rückschläge hat, die später überwunden werden.

Salvador Allende ist eine Figur, die eine Erfahrung darüber markiert, was man in der Politik tun sollte und was nicht. Ein Symbol der Freiheit, dessen Andenken die blutigen Stiefel jener grün gekleideter Bestien niemals zertreten konnten. Ein Symbol, das nie gestürzt werden kann.


Der Tod eines Präsidenten, der lebt

Daina Caballero

"Eine große schwarze Wolke steigt aus dem Palast hoch, der in Flammen steht. Präsident Allende stirbt an seinem Amtssitz. Die Militärs töten Tausende in ganz Chile. (...) Frau Pinochet erklärt, dass die Klagen der Mütter das Land erlösen werden. Eine aus vier Mitgliedern bestehende Militärjunta, die in der School of the Americas in Panama ausgebildet wurde, übernimmt die Macht, die gesamte Macht. An ihrer Spitze steht General Augusto Pinochet."

Die Worte von Eduardo Galeano skizzieren das, was an jenem 11. September 1973 geschah, eines der Daten, die besonders tief in der Geschichte Chiles und der Unseres Amerikas eingraviert sind. An diesem Tag, nach stundenlanger Belagerung und Bombardierung des Präsidentenpalastes La Moneda starb der chilenische Präsident Salavador Allende unter dem Kugelhagel der Putschisten.

Wie ist Allende gestorben? Er hat Selbstmord begangen – das erkärt die Militärjunta am Tag darauf am 12. September. Wie eine "ruhmreiche Gestalt ... durchsiebt von den Kugeln der Maschinengewehre der Soldaten Chiles", schrieb Pablo Neruda am 14. September auf seinem Totenbett.

"Unter den feindlichen Kugeln wie ein Soldat der Revolution", sagte seine Witwe Hortensia Bussi vier Tage später in Mexiko.

Ob der Präsident durch die Hände der von Pinochet angeführten Putschistenarmee starb oder sich anstatt sich zu ergeben im Moneda Palast von Santiago de Chile das Leben nahm, die Kugeln, die ihn töteten, woher sie auch gekommen sein mögen, begingen einen der empörendsten Präsidentenmorde in der Geschichte Lateinamerikas.

Über seine Ermordung bewahrte man Schweigen. Er wurde heimlich beerdigt. Nur seiner Witwe war es gestattet, jenen unsterblichen Leichnam zu begleiten. Es wird erzählt, dass jener mutige und würdige Mann sechs Stunden lang mit dem Gewehr Widerstand leistete, das ihm der Führer der Kubanischen Revolution Fidel Castro geschenkt hatte und dass dies die erste Waffe gewesen sei, mit der Salvador Allende jemals geschossen habe.

Heute ist es 45 Jahre her, seit Allende starb. In jener Nacht überreichten die putschistischen Streitkräfte General Pinochet einen knappen Bericht: "Befehl ausgeführt. Moneda eingenommen, Präsident tot". Die Unidad Popular und ihr Präsident waren ausgelöscht und es begann eine Militärdiktatur, die 17 Jahre dauerte.

Der Führer der chilenischen politischen Linken Salvador Allende gewann 1970 die Wahlen und führte eine intensive Verstaatlichungspolitik des Berbau- und Industriesektors durch. Inmitten der Wirtschaftskrise 1973 konnte er seinen Wahlsieg wiederholen, was schließlich zum gewaltsamen Eingreifen der Armee in das politische Leben des Landes führte.

Im ersten Jahr seiner Amtszeit wurden 47 Industrieunternehmen verstaatlicht und über die Hälfte des Kreditsystems. Mit der Agrarreform wurden etwa 2, 4 Millionen Hektor Ackerland enteignet und ins gesellschaftliche Eigentum eingegliedert.

Salvador Allende war der erste chilenische Politiker marxistischer Ausrichtung, der durch allgemeine Wahlen in einem Rechtsstaat an die Regierung kam.

"Der dramatischste Widerspruch seines Lebens war der, gleichzeitig angeborener Feind der Gewalt und leidenschaftlicher Revolutionär zu sein und er glaubte, das Problem mit der Hypothese gelöst zu haben, dass die Bedingungen in Chile eine friedliche Entwicklung hin zum Sozialismus innerhalb der bürgerlichen Legalität ermöglichen würden", erinnert sich Gabriel García Marquez in seiner Chronik "Der wahre Tod eines Präsidenten"3.

Das waren in wenigen Worten seine wirklichen Verbrechen, die, die der Imperialismus und der reaktionäre Teil der chilenischen und der Ultrarechten der Region dem charismatischen Anführer niemals verzeihen konnten, der zum Volk, zur Mehrheit geworden war.

Der konventionellste aller Kriege

Staatsstreich, Tote, ein Schlag gegen die Demokratie, Bedrohung der Souveränität, eine Regierung, die alles übergibt, Marionette, ein Volk, das leidet ... all das geschah in Chile vor mehr als vier Jahrzehnten. Und stehen wir heute nicht wieder an den Toren dieser Bedrohungen?

Die Realität ist eindeutig: Progressive Länder des Kontinents sind Opfer von Destabilisierungsversuchen, die die Straßen aufheizen, Chaos schaffen und gnadenlos destabilisieren sollen, bis zu dem Punkt, dass sie einen Putsch hervorrufen.

Die weichen Putsche und der nicht-konventionelle Krieg in Lateinamerika sind wie ein aktueller Plan Condor, auch wenn sie nicht ein Chile voller Kupfer verfolgen, sondern Bewusstsein und Willen angreifen und mit Fälschungen und Lügen manipulieren.

In den Dokumenten, die das politische Leben in den USA bestimmen, wird der nicht-konventionelle Krieg definiert als ein "Komplex von Aktivitäten, die darauf gerichtet sind, die Entwicklung eines Widerstands oder eines Aufstands zu ermöglichen, um eine Regierung zu nötigen, zu ändern oder zu stürzen oder die Macht unter Anwendung einer Guerilla-, Hilfs- oder Untergrundstreitkraft in einem feindlichen Gebiet zu übernehmen", wie dies der Doktor der Rechtswissenschaften Hugo Morales Karell erklärt, der sich mit Themen der Nationalen Sicherheit befasst.

"Im letzten Jahrzehnt hat der nicht-konventionelle Krieg sich für die USA und ihre Verbündeten als eine machbare Möglichkeit herausgestellt, die man anwenden kann, um Regierungen zu stürzen, die ihren Interessen zuwiderhandeln", sagt Morales Karell. Da gab es viele Varianten: Vorwände für Demonstrationen gegen die Regierung, Unzufriedenheit wegen der witschaftlichen, politischen und sozialen Situation artikulieren, die Einmischung in innere Angelegenheiten der Länder durch Drittländer, die eine angebliche humanitäre Krise oder eine Verletzung der Menschenrechte geltend machen, bis hin zu einem angeblichen Agieren einer internen Opposition.

„Der Beispiele sind viele, auch solche die von den USA in ihren Doktrin-Dokumenten explizit ausgeführt werden: Albanien und Lettland (1951-1955), Tibet (1955-1970) Indonesien (1957-1958) Kuba und die Invasion in Playa Girón (April 1961) Laos (1959-1962) Nordvietnam (1961-1964) Nicaragua und Honduras (1980-1988) Pakistan und Afghanistan (1980-1991) und Irak (2002-2003). Zu diesen von ihnen zugegebenen können wir noch die Fälle von Venezuela, Brasilien und Bolivien hinzufügen, bei denen das Ziel deutlich wird, den Fortschritt der progressiven Linken in der Region zu bremsen.

Das sind die Realitäten von heute, sie sind nicht physisch mit Kanonen präsent oder mit Drohnen und sie werfen auch nicht immer Bomben oder intervenieren militärisch in Länder, aber die Aggressionen gehen weiter. Jetzt ist man dabei, mit einer feinen Manipulation zu arbeiten, um die Teilnahme der Jugend zu gewinnen, die Vorteile, die Informations-und Kommunikationstechnologien und intensive Medienkampagnen bringen zu nutzen, um politischen Druck auszuüben und um, wie es Professor Karell ausdrückt "den konventionellsten aller Kriege" zu erreichen.

Aber zweifeln wir keinen Augenblick, das Imperium wird immer wieder mit brutaler Gewalt und grausamem Mord an Führern wie Allende zurückkehren, immer dann, wenn es seinen Interessen entspricht und ihm keine anderen Mittel bleiben, um Völker und Regierungen mit Schmutz zu bewerfen, die ihnen nicht genehm sind und die versuchen, ihre Hegemonie zu untergraben.

Quelle: http://de.granma.cu/mundo/2018-09-11/der-tod-eines-prasidenten-der-lebt