Chile / Kuba / Amerikas / Politik

Allendes Sieg

Vierzig Jahre nach dem Putsch erlebt Lateinamerika eine neue Epoche

salvador-allende-chile-30.jpg

Salvador Allende und Pablo Neruda (1964)
Salvador Allende und Pablo Neruda (1964)

Vierzig Jahre nach dem Putsch, der der chilenischen Demokratie ein Ende setzte und zum Heldentod von Salvador Allende führte, erlebt Lateinamerika eine neue Epoche.

Die Welt damals war so anders als heute.

Der Begriff vom Sozialismus als politisches Projekt, das notwendigerweise den außerhalb Amerikas festgesetzten Richtlinien folgen muss, dominierte.

Einen chilenischen Weg zum Sozialismus zu suchen war unumgänglich. Dieses Ideal, für Mariátegui 1, "eine heroische Schöpfung", musste nach Julio Antonio Mella2das Werk "denkender Wesen" sein und nicht das von disziplinierten Anhängern eines fremden Denkens.

Im Jahr 1958, unter der Batista-Diktatur, überraschte uns die Nachricht, dass Salvador Allende mit einem Bündnis, das die Kommunistische Partei einschloss, kurz davor war, die Wahlen zu gewinnen und Präsident von Chile zu werden.

Das schien eine Nachricht von einem anderen Planeten zu sein. Nur vier Jahre vorher, im Jahr 1954, hatte die CIA die guatemaltekische Demokratie zerschlagen und eine der schlimmsten und am längsten bestehenden Diktaturen eingesetzt. Die USA, auf dem Höhepunkt ihrer Macht, dominierten nach Lust und Laune den Kontinent, der in eine Bastion des wütenden Antikommunismus verwandelt wurde, wo es keinerlei Raum für Veränderung gab. Die Militärdiktaturen in Washingtons Diensten waren in Mode. Chile war ein Rätsel.

Als ich das Land im Jahr 1959 besuchte, traf ich viele, die davon überzeugt waren, dass die nächste Wahl den Sieg bringen würde.

Im Jahr 1964 gewann das Volk wieder nicht. Eingesetzt wurde, mit starker Unterstützung der USA, die Formel von der "Revolution in Freiheit" - etwas, das Washington sich als Alternative für das vorstellte, was Kuba repräsentierte.

Der Betrug scheiterte, im Jahr 1970 triumphierte schließlich mit Salvador Allende die Unidad Popular. Seine Regierung respektierte strikt die Verfassung und das Gesetz und musste in diesem Rahmen der hartnäckigen Feindseligkeit, der Sabotage und den Verschwörungen einer Opposition die Stirn bieten, die die traditionellen Konservativen mit den christlichen Fälschern vereinigte. Keine andere Regierung in der Geschichte Chiles hat in so kurzer Zeit so viel für die Arbeiter, die Armen, die einfachen Menschen getan. Sie hat das Kupfer zurückerobert und die vollständige Souveränität zurückgewonnen, sich den mächtigen nordamerikanischen Monopolen entgegengestellt und soziale Reformen durchgeführt, die ihr den Hass der Oligarchie und ihrer Verbündeten einbrachten.

Allende war entschlossen, einen chilenischen Sozialismus friedlich und in Freiheit zu erreichen. Diesen Traum zu liquidieren war das Ziel von Nixon und der CIA, den wirklichen Verantwortlichen für den 11. September. Die uniformierten Mörder und Lügner der Politik, die ebenfalls schuldig waren, waren ihre willigen Instrumente.

Der 11. September hatte enorme Wirkung in Lateinamerika und der Welt. Kurz zuvor war in Algier das vierte Gipfeltreffen der Blockfreien Länder abgeschlossen worden, das - die Ereignisse vorweg nehmend - den Putsch verurteilte und Solidarität mit der kommenden Widerstandsbewegung versprach. Niemals vorher oder nachher hat diese Gruppe von Ländern, die die überwiegende Mehrheit der Menschheit repräsentieren– eine derartige Verpflichtung ausgedrückt. Das Pinochet-Regime wurde aus der Gruppe ausgeschlossen. Bei ihrer nächsten Sitzung empfingen die Blockfreien Länder Clodomiro Almeyda, den Außenminister Allendes, der von der Dawson-Insel3durch starken internationalen Druck gerettet wurde, als legitimen Vertreter Chiles.

Die Regierung der Unidad Popular war eine einzigartige, nie zuvor erprobte Erfahrung. Den Versuch zu unternehmen, einen eigenen revolutionären Kurs zu verfolgen, war die Haltung, die ein wahrer Kämpfer einnehmen musste, wie Allende immer einer war. "Die Pflicht eines Revolutionärs ist es, die Revolution zu machen", verkündete zu ihrer Zeit die Zweite Deklaration von Havanna.

Aber lange vorher hatte Marx gewarnt, dass, auch wenn die Menschen die Geschichte machen, sie dies unter Bedingungen tun müssen, die nicht von ihnen geschaffen wurden.

Vor 40 Jahren beherrschten die USA den Kontinent und der Niedergang ihrer globalen Hegemonie hatte noch nicht begonnen. Noch hatten sie weder ihre historische Niederlage in Vietnam erlitten, noch den Watergate-Skandal, der die amerikanische Gesellschaft erschütterte.

Seitdem hat sich in Lateinamerika und der Karibik viel verändert. Wir leben in einer neuen Epoche, in der revolutionäre und fortschrittliche Projekt aus Siegen entstehen, die unsere Völker innerhalb der geerbten Institutionalität erreicht haben. Einige haben eine sozialistische Orientierung. Aber es sind verschiedene Sozialismen - weit weg von den alten dogmatischen Ansätzen - die einen Regenbogen bilden, in den jeder seine eigene Farbe einfügt.

Dieses neue Lateinamerika ist die Frucht von Jahrhunderten des Kampfes, von dem das Chile der Unidad Popular ein untrennbarer Teil ist, dessen Beispiel Generationen von jungen Menschen inspirierte, die heute regieren. Aus der Distanz betrachtet scheint das Projekt der Unidad Popular wie ein Wagnis, das die Geschichte antizipieren wollte. In Wirklichkeit war es ein entscheidender Beitrag, um sie zu ändern. Der Traum, der gestern scheiterte, wird nun zur Realität. Allende kehrt zurück – siegreich.


Ricardo Alarcón de Quesada (76), aus Kuba, ist Doktor der Philosophie und Geisteswissenschaften, Schriftsteller und Politiker. Er war UNO-Botschafter und Außenminister Kubas sowie 20 Jahre lang Parlamentspräsident.

Der Text erschien in der chilenischen Zeitschrift Punto Final Nr. 789 vom 6. September 2013

  • 1. José Carlos Mariátegui (1894-1930) – aus Peru, Journalist, marxistischer Politiker, entwickelte Grundlagen für einen lateinamerikanischen Sozialismus
  • 2. Julio Antonio Mella (1903-1929) - aus Kuba, Studentenführer und Mitbegründer der kubanischen Kommunistischen Partei
  • 3. Auf der chilenischen Dawson-Insel befanden sich Gefangenenlager der Diktatur