Venezuela

Direktwahl durch Basis

Regionalwahl im November: Zum ersten Mal ließ in Venezuela eine Partei ihre Wahl-Kandidaten durch die Mitglieder bestimmen

Mit großer Spannung schauen die Venezolaner auf die bevorstehenden Regionalwahlen. Die Abstimmung am Jahresende wird sowohl vom Regierungslager als auch von der Opposition als wichtiger Stimmungstest nach dem gescheiterten Referendum über eine Verfassungsreform im vergangenen Dezember gesehen. Dabei war die Regierung von Präsident Hugo Chávez knapp unterlegen.

Derzeit hat die junge Regierungspartei Vereinte Sozialistische Partei Venezuelas (PSUV) noch die große Mehrheit der Gouverneurssitze und Bürgermeisterämter inne, doch das könnte sich bald ändern. An vielen Orten herrscht Unzufriedenheit über die Amtsführung der "Chavisten". Korruption und Misswirtschaft sind auch unter den Mandatsträgern der so genannten "bolivarischen Revolution" verbreitet.

Nun setzt Chávez auf die Kompetenz seiner Anhänger vor Ort. Durch die Mehrheitsmeinung der Basis könnten die "fähigsten Kandidaten" gefunden werden und Vertrauen bei den Menschen zurück gewonnen werden, hofft die Parteiführung. Basisvertreter hatten die Durchführung der Vorwahlen als entscheidend für die Entwicklung der Organisation bezeichnet. Nur damit habe man eine Chance, die drohende Niederlage bei den Wahlen noch abzuwenden.

Viel Hoffnung lag also in der Abstimmung am Sonntag (1. Juni 2008), bei der sich knapp 5000 Bewerber zur Wahl stellten. Jedem Parteimitglied war die Möglichkeit eingeräumt worden, sich auf eines der über 300 Ämter zu bewerben. Öffentliche Wahlwerbung einzelner Kandidaten im Vorfeld hatte der Parteivorstand untersagt. Besonders die in der Vergangenheit verbreitete Nutzung des Konterfeis des Präsidenten Hugo Chávez zur Vertrauensgewinnung für sich wurde nicht gestattet. Vorstellen konnten sich die Anwärter in parteiinternen Foren oder in Fernseh-Diskussionsrunden.

Als ein "beispielloses Ereignis in der Geschichte Venezuelas" bezeichnete Staats- und Parteichef Hugo Chávez die Vorwahlen seiner Partei. Schlussendlich nahmen 2,5 Millionen Menschen an der Direktwahl teil. Das Parteipräsidium wertete die Wahlbeteiligung als Erfolg, obwohl sie weit unter den über fünf Millionen eingeschriebenen Mitgliedern liegt. Ziel sei die Teilnahme der 1,5 Millionen in den Basisgruppen aktiven Mitglieder gewesen, verlautete es aus dem Vorstand. Diese Zahl ist weit übertroffen worden und, so Präsident Chávez, damit sei die Abstimmung "ein 100-prozentiger Erfolg".

Die Vorwahlen waren vom Nationalen Wahlrat (CNE) durchgeführt worden und standen unter internationaler Beobachtung. Hugo Chávez rief alle Parteien des Landes dazu auf, nun dem demokratischen Beispiel der PSUV zu folgen. Die bolivarische Verfassung von 1999 verpflichtet politische Parteien zur Durchführung von demokratischen Wahlen für Führungsposten und Kandidaten. Bisher ist die PSUV jedoch die einzige Partei Venezuelas, die diese Vorgabe einhält.

Viele Kandidaturen waren von mehreren bekannten Namen umworben, Absprachen waren die Ausnahme. Im Bundesstaat Carabobo war der viel kritisierte bisherige Gouverneur Luis Felipe Acosta Carlez auf Druck des Parteivorstandes nicht angetreten. Fernsehmoderator Mario Silva soll sich nach dem Willen der Basis dort nun um dessen Nachfolge bewerben. Im Nachbarstaat Yaracuy war Gouverneur Carlos Giménez wegen Korruptionsvorwürfen aus der PSUV ausgeschlossen worden und konnte deshalb auch gar nicht bei den Vorwahlen antreten. Das Aufsehen um die Kandidaten für diese beiden Staaten zeigen die Nervosität des Regierungslagers. Beide Staaten waren bei den letzten Regionalwahlen im Jahr 2004 nur mit einem sehr knappen Vorsprung gewonnen worden und drohen im November an die Opposition zu fallen.

Yaracuy ist zudem einer von acht Staaten (von insgesamt 23), bei denen keiner der Kandidaten die erforderliche Mehrheit von über 50 Prozent der Stimmen oder 15 Prozent Vorsprung vor dem Zweitplazierten erreichte. In solchen Fällen obliegt es dem Parteivorstand aus den drei Bestplatzierten einen Kandidaten auszuwählen. Bis Ende der Woche will dieser sich festgelegt haben. Bei den Bürgermeisterkandidaten konnten sich 189 Bewerber direkt durchsetzen, 141 davon erreichten über 50 Prozent der Stimmen. Venezuela hat insgesamt 335 Bürgermeisterämter.

Bedeutende Kampfabstimmungen gab es über die Gouverneurskandidaturen im nördlich der Hauptstadt gelegenen Bundesstaat Vargas und im westlichen Zulia. In der bisherigen Oppositionshochburg Zulia hatten zwei bekannte Persönlichkeiten ihren Anspruch auf eine Kandidatur bekräftigt. Den Kampf um die Nachfolge des ehemaligen Präsidentschaftskandidaten der Opposition, Manuel Rosales, soll nach dem Willen der Basis nun der Bürgermeister der Stadt Maracaibo, Giancarlo Di Martino, aufnehmen. Ihm unterlag Rodrigo Cabezas, Mitglied im Parteivorstand der PSUV und ehemaliger Finanzminister, der sich große Hoffnungen auf die Kandidatur gemacht hatte. Rosales darf nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten.

Auch Freddy Bernal, ebenfalls Vorstandsmitglied und bisher Bürgermeister von Caracas, erreichte keine Mehrheit. Er hatte sich auf den Gouverneursposten in Vargas beworben. Dort setzte sich aber der Ex-Verteidigungsminister und General a.D., Jorge Garcia Carneiro, durch. Bernals Nachfolger als Bürgermeister der Hauptstadt soll nach Meinung der Basis der ehemalige Vizepräsident Jorge Rodríguez werden, der als einer der Väter der erst Anfang März endgültig gegründeten PSUV gilt.

Eines der besten Ergebnisse erzielte der populäre ehemalige Bildungsminster Aristobulo Istúriz mit knapp 95 Prozent Zustimmung. Der dem linken Flügel zuzurechnende Afrovenezolaner hatte sich auf die Kandidatur für das Oberbürgermeisteramt im Hauptstadtbezirk beworben. Bereits bei den Wahlen zum 15-köpfigen Parteivorstand im Frühjahr hatte er das beste Ergebnis erzielt.

Schwere Zeiten befürchten Arbeitervertreter in der Industrie-Region Guayana. Im südlichen Bundesstaat Bolívar soll sich der einflussreiche Gouverneur Rangel Gómez auf eine zweite Amtszeit bewerben dürfen. Er hatte leichtes Spiel: schlussendlich hatte sich kein aussichtsreicher Gegenkandidat gefunden. Der General a.D. hat jedoch bei vielen Basisaktivisten kein gutes Ansehen. Im Streit um den Tarifvertrag im mittlerweile verstaatlichten Stahlwerk SIDOR hatte er sich bis zur Intervention des Präsidenten auf die Seite des vorherigen Eigentümers geschlagen und sogar die Nationalgarde gegen protestierende Arbeiter eingesetzt.

Nun setzte sich Gómez deutlich gegen seine Mitbewerber durch. Diese protestierten schon im Vorfeld heftig gegen den Amtsinhaber. Dieser habe die vorgegebenen Regeln missachtet und hätte eigentlich von der Vorwahl ausgeschlossen werden müssen, argumentierten sie, da er öffentliche Gelder für seinen Wahlkampf eingesetzt habe. Doch gerade um solche Fälle zu vermeiden, war öffentliche Wahlwerbung eigentlich von der Parteiführung untersagt worden. Mehrere Regionalpolitiker warnten im Vorfeld vor einem Debakel bei der Wahl, wenn Gómez erneut antreten sollte.

Überraschend klar setzte sich der Bürgermeister der Stadt Barquisimeto, Henri Falcón, im Bundesstaat Lara durch. Mit großem Abstand verwies er seinen Mitbewerber Julio Chávez (nicht mit dem Präsidenten verwandt) auf den zweiten Platz. Linke Basisaktivisten hatten letzteren aufgrund seines beispielhaften Einsatzes für Selbstverwaltung favorisiert, doch mit Falcóns breiterer Popularität konnte er am Ende nicht mithalten.

Der südöstliche Flächenstaat Barinas soll in der Hand der Chávez-Familie bleiben, bestimmten die Parteimitglieder. Der wegen einer "zu sozialistischen Orientierung" des von ihm ausgearbeiteten Bildungsprogrammes kritisierte Chávez-Bruder Adán Chávez soll seinen Vater beerben, der in dem Heimatstaat des Präsidenten derzeit noch Gouverneur ist.

In Aragua setzte sich Finanzminster Rafael Isea gegen den linken Parlamentsabgeordneten Carlos Escarrá durch.

Die Bündnispartner der PSUV im Wahlbündnis Patriotischer Pol erwarten nun Gespräche über die Aufstellung gemeinsamer Kandidaten für die Regionalwahlen. Mitglieder des Bündnisses sind neben der Regierungspartei unter anderem Vaterland für Alle (PPT), die kommunistische Partei (PCV) und die Wahlbewegung des Volkes (MEP).


Bildquelle: ABN