Lateinamerika

Gegenangriff von Rechts

Im ersten Halbjahr 2009 scheint die politische Rechte Lateinamerikas wieder erwacht zu sein

Viele Jahre herrschte Stille um die Konservativen und Neoliberalen des Kontinents. Erfolgsmeldungen kamen ausschließlich aus dem Mitte-Links-Lager. Im April wurde Ecuadors Präsident Rafael Correa im Amt bestätigt, einen Monat zuvor gewann die FMLN die Wahlen in El Salvador. Alleine in Mittelamerika werden bzw. wurden damit drei Länder von linken Präsidenten regiert und auch der FMLN-Kandidat Mauricio Funes sucht Kontakt zum alternativen Staatenbündnis ALBA.

Aktivitäten rechter Netzwerke

Doch schon auf der Amtseinführung von Funes am 1. Juni lagen die Schatten der Vergangenheit. Evo Morales und Hugo Chávez sagten kurzfristig ihre Teilnahme ab. Venezuelas Außenminister Nicolás Maduro verwies auf konkrete Attentatspläne von "Gruppen mit langer Vorgeschichte". Bereits im Mai hatten terroristische Aktivitäten in Bolivien Hinweise auf ein lateinamerikanisches Netzwerk militanter Rechter ergeben. Der Verdacht liegt nahe, dass diese Seilschaften aus der engen Koaltition zwischen rechten Militärs, Geheimdiensten und der CIA stammen. Die öffentliche Debatte wurde jedoch von einem anderem Ereignis an diesem Tag bestimmt. In seiner Rede während der Amtseinführung von Mauricio Funes erklärte Daniel Ortega, Kolumbien habe die Verhandlungen über eine Stationierung von US-Militär abgeschlossen und räume den US-Streitkräften Nutzungsrechte an fünf kolumbianischen Militärstützpunkten ein. Inzwischen konkretisierte der ehemalige kolumbianische Verteidigungsminister Santos, dass es insgesamt sieben Stationierungspunkte sein werden. Die massive Aufstockung des US-Militär löste unmittelbar eine regionale Krise aus, Venezuela beschloss alle wirtschaftlichen Beziehungen zu Kolumbien zu kappen. Der neue südamerikanische Staatenverbund UNASUR rief eine Sondersitzung zusammen.

Putsch in Honduras

Nur drei Wochen nach dem turbulenten Monatsbeginn folgte der nächste Schlag. In Honduras unterstützte das Militär einen Putsch gegen Präsidenten. Manuel Zelaya, der aus der Oberschicht des Landes stammt und von der Liberalen Partei nominiert wurde, hatte kurz nach seinem Amtsantritt begonnen, umfangreiche Sozialprogramme zu finanzieren. Als er gemeinsam mit den sozialen Bewegungen des Landes die Initiative zur Ausarbeitung einer neuen Verfassung unternahm - das alte Grundgesetz stammt noch aus den Zeiten der Militärdiktatur - beschloss der rechte Flügel der Partei seinen Sturz. Auch hier fallen wieder die Namen der CIA-Seilschaften des Kontinents: Billy Joya, Otto Reich und John Negroponte, der immer noch Berater von US-Außenministerin Hillary Clinton ist.

Die offizielle US-Politik reagierte zurückhaltend. Dabei wäre der Vorwurf unzutreffend, der mächtige Nachbar hätte sich gar nicht verhalten. Die Militärhilfe wurde eingefroren, Bürger des Landes erhalten nur nach Einzelfallprüfung Visa für die USA. Auch der Entzug von Wirtschaftshilfe wird diskutiert. Aber eine bestimmte Grenze überschritt die US-Regierung nicht. Das Außenministerium bezeichnet die Ereignisse nicht offiziell als Putsch. Die Konsequenz wäre, dass sämtliche Beziehungen zu dem mittelamerikanischen Land abgebrochen werden müssten. Dies würde u.a. die Stationierung von US-Militär auf der Soto-Canoy-Air-Base betreffen. Soto Cano die wichtigste US-Basis in Mittelamerika.

Deutlicher als bei den USA lässt sich eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten ausgerechnet aus Deutschland feststellen. Regionalreferent Christian Lüth der Friedrich-Naumann-Stiftung verfügt über enge Kontakte zum rechten Flügel der Liberalen Partei und unterstützt die Putschisten öffentlich. Insbesondere die Konrad-Adenauer- und die Naumann-Stiftung bemühen sich in den letzten Jahren intensiv, den kriselnden liberalen und konservativen Parteien des Kontinents auf die Beine zu helfen. Ein Schwerpunkt ihrer Tätgkeit ist Mittelamerika. Dass sich auch Vertreter aus EU-Staaten für den Putsch engagieren, dürfte mit den eigenen ökonomischen Interessen zusammenhängen. Eine Mitgliedschaft im Staatenbündnis ALBA schließt den Beitritt zu Freihandelsverträgen, wie etwa dem vorbereiteten Abkommen zwischen der EU und den zentralamerikanischen Staaten, aus.

Komplizierte Vebündete

Insgesamt verdeutlichen die aktuellen Ereignisse, dass die europäische und us-amerikanische Rechte einen weiteren Kontrollverlust in Lateinamerika nicht kampflos hinnehmen will. Dabei befinden sich gerade die letzten Verbündeten in einer paradoxen Situation: Die wirtschaftliche Abhängigkeit von Europa und den USA verschärft die sozialen Desintegration und führt zur politischen Destabilisierung der letzten neoliberal regierten Länder der Region. Den Legimitätsverlust suchen die lokalen Eliten durch Gewalttätigkeit zu kompensieren.

Der labilste Verbündete des Westens in der Region ist Mexiko. Klientelismus, Korruption und eine neoliberale Wirtschaftspolitik haben die öffentliche Ordnung in Teilen des Landes zusammenbrechen lassen. Insbesondere der Krieg mit den Drogenkartellen offenbart, dass ganze Regionen für die Bundesregierung nicht regierbar sind. Die politische Situation wird inzwischen davon bestimmt, dass Mexiko und die zentralmerikanischen Länder die Transitstationen für den Drogenimport der USA aus Kolumbien sind. Die Mitgliedschaft im Freihandelsabkommen NAFTA destabilisiert die Währung und die einheimische Produktion. Die Folge sind ständig steigende Kosten für Lebensmittel und Dienstleistungen. Die US-Wirtschaftskrise traf das Land mit ganzer Wucht. In dieser Situation räumte der IWF einen Stützungskredit über 47 Milliarden US-Dollar ein - ohne dass wirtschaftspolitischen Auflagen daran gebunden sind. Dieser in der IWF-Geschichte beispiellose Vorgang zeigt einerseits wie ernst die Lage beim Verbündeten ist, aber auch was sich die internationalen Wirtschaftseliten Loyalität kurzfristig kosten lassen.

Ein weitere Anwärter für einen derartigen Stützungskredit ist Peru. Dessen Präsident Alán García hängen noch aus seiner letzten Amtszeit von 1985 bis 1990 schwere Menschenrechtsverletzungen an. Der Sozialdemokrat erließ ein Gesetzespaket, damit internationale Konzerne die Holz- und Ölvorkommen im Amazonasgebiet ausbeuten können. Schon die offensichtliche Korruption bei der Konzessionsvergabe sorgte dafür, dass sein gesamtes Kabinett im Oktober 2008 zurücktreten musste. Im Mai dieses Jahres mobilisierten die von den Ausbeutungsplänen betroffenen Gemeinden gegen die Pläne, die Regierung verhängte den Ausnahmezustand über den Nordosten des Landes, Demonstrationen und Blockaden der Ureinwohner wurden vom Militär aufgelöst und deren Sprecher zu "Terroristen" erklärt. Die Auseinandersetzungen hinterließen mindestens 50 Tote unter den Aktivisten. Diese Art von Konflikten und ihrer militärischen Unterdrückung entwicklen sich in Peru zum Dauerzustand. Erst im Sommer 2008 hatten Gewerkschaften einen Generalstreik ausgerufen, der sich auch gegen den den Aufenthalt von 200 US-Militärs richtete.

Noch gewalttätiger gestaltet sich die Situation in Kolumbien, wo Präsident Alvaro Uribe einen regelrechten Krieg gegen jede Opposition führt. Anfang des Jahres gelangten die Vorgänge um die "falsos positivos" an die Öffentlichkeit. Die Armee hatte jahrelang ein internes Belohnungssystem für getötete Guerilleros gepflegt, was dazu führte, dass willkürlich unbeteiligte junge Männer durch Armee-Angehörige ermordet und in Militäruniformen gesteckt wurden. Erste Ermittlungen nennen eine Zahl von mindestens 1700 "falsch abgerechneten" Toten. Fast gleichzeitig ermittelte die Generalstaatsanwaltschaft gegen den kolumbianischen Geheimdienst DAS. Der hat spätestens 2005 die Sonderabteilung G3 gegründet, die systematisch Oppositionelle, Menschenrechtler und kritische Journalisten überwachte. Viele von ihnen erhielten in diesem Zeitraum Morddrohungen durch die mit Uribe verbündeten Paramilitärs. Unter den mindestens 3000 von der Überwachung betroffenen Personen befinden sich auch die Präsidentschaftskandidaten, die bei den letzten Wahlen gegen Uribe antraten.

Angesichts dieser Zustände, die genau genommen eine Forsetzung der Herrschaftsverhältnisse der letzten 500 Jahre darstellen, kann es nicht verwundern, dass die linken Alternativen für große Teile der Bevölkerung an Anziehungskraft gewinnen. Das kontinuierliche Wachstum von ALBA, aber auch die Entstehung des UNASUR, weisen auf eine höhere Selbstständigkeit und eine weitere soziale Demokratisierung hin. Die aktuellen Eskalation macht aber auch deutlich, dass die wirtschaftlichen Eliten die Hoffnung aufgegeben haben, diese Entwicklung auf demokratischem Wege stoppen zu können. Auch nach einem halben Jahr der Präsidentschaft von Barack Obama gibt es keinen Hinweis darauf, dass die USA grundsätzlich auf eine gewaltförmige bzw. militärische Form der Interessensdurchsetzung in Lateinamerika verzichten wollen.


aus: Friedensjournal Nr. 5/2009