Venezuela

Tanz auf der Sabana Grande

In Venezuela bemüht man sich um Aufklärung über Aids und verbesserte Prävention

Lateinamerika wird oftmals vergessen, wenn es um HIV geht. Doch die Zahl der Infizierten steigt hier, mahnen Experten. Venezuela gilt laut UNAIDS, der Präventionsorganisation der Vereinten Nationen, als eines der Länder mit hoher Infektionsrate. Daran ändert sich derzeit allerdings einiges, argumentiert Aidsaktivist Marcel Quintana.

Vanessa schlägt die Beine übereinander, grüßt mit einem koketten Lidschlag und rückt mit ihrem Stuhl ein Stück zur Seite, um den Weg zum zweiten Stuhl vor dem Schreibtisch von Marcel Quintana freizugeben. Der sitzt am Pult und telefoniert gerade mit dem Gesundheitsministerium. Der Raum wird von einem prall gefüllten Medikamentenschrank dominiert. Links und rechts davon stapeln sich Kartons mit Präparaten. "Das sind retrovirale Medikamente", erklärt Vanessa, die den überraschten Blick gesehen hat. "Hier bei Ases de Venezuela holen viele HIV-Positive ihre Medikamente ab, es ist ein offenes Zentrum für Infizierte, Homo- und Transsexuelle wie mich", erklärt die sorgfältig geschminkte 27-Jährige. Sie gehört zu den Multiplikatoren von Ases, wirbt im Rotlichtmilieu von Caracas für den Einsatz von Präsern und für den Bluttest.

"Der Umgang mit HIV und Aids hat sich in Venezuela in den letzten Jahren deutlich geändert. Zwar haben wir auch weiterhin mit dem machismo zu tun, aber es ist besser geworden", so die Transsexuelle mit den orangefarbenen Ohrclips. Regelmäßig ist sie in der oberen Etage des Bürogebäudes am Parque Central zu Besuch, wo Ases de Venezuela residiert. Aus dem 24. Stock hat man einen prächtigen Ausblick auf die Skyline von Caracas und auf dem Schreibtisch von Aidsaktivist und Ases-Gründer Marcel Quintana stapeln sich die Unterlagen neben der prall gefüllten Schale mit Präservativen. "Hier kann jeder herkommen, hier wird jedem geholfen, egal ob er oder sie einen Bluttest machen, sich informieren oder einfach nur ein bisschen quatschen will", erklärt Quintana.

Ases de Venezuela - die Anlaufstelle für Schwule, Lesben und Transsexuelle hat ihre Aktivitäten merklich erweitert. Ermöglicht wurde das vor allem durch die Unterstützung der Regierung. "Wir haben Fortschritte bei der Prävention von HIV gemacht und werden endlich wahrgenommen", erklärt Quintana. Das war überfällig, denn die Infektionsquote klettert in Venezuela genauso wie im Nachbarland Kolumbien oder Peru. Detaillierte Statistiken haben allerdings nur wenige der Länder vorzuweisen, denn es fehlt an flächendeckenden Studien. So muss man sich auf Schätzungen und Hochrechnungen beschränken. Das ist in Venezuela nicht anders. "Aber Venezuela ist das einzige Land neben Brasilien und Argentinien, das allen HIV-positiven Menschen im Land die Medikamente zur Verfügung stellt", betont Quintana. Ein Meilenstein, der in den letzten zehn Jahren unter der Regie der Regierung von Präsident Hugo Chávez erreicht wurde. 1998 waren es gerade 92 600 US-Dollar, die ins nationale HIV/Aids-Programm der Regierung investiert wurden, derzeit sind es rund 50 Millionen. Damit werden Medikamente in Brasilien und Indien eingekauft, Infomaterialien gedruckt und Veranstaltungen gesponsert. So zum Beispiel der internationale Tag gegen Homophobie in der bekanntesten Einkaufsstraße von Caracas, der Sabana Grande. "Eine Transsexuelle, die in einer Einkaufsstraße tanzt, hätte es vor zehn Jahren kaum gegeben", erklärt Vanessa lachend.

Gleichwohl ist nicht alles rosig in der HIV-Politik der Regierung. In Sachen Prävention fehlt es an vielem, kritisiert Feliciano Reyna. Der Direktor der Acción Solidaria, einer weiteren HIV-Selbsthilfeorganisation, moniert, dass die Prävention an den Schulen bisher viel zu wenig Thema ist. "Wir brauchen klare Strukturen und Konzepte. Dazu sind die vier Frauen im Gesundheitsministerium, die das HIV-Programm betreuen, doch kaum in der Lage". Das findet auch Marcel Quintana. Gleichwohl liefen die ersten Programme, um Risikogruppen besser zu erreichen. Er nennt das Beispiel der Krankenschwester Beatriz Morano, die in Macuro mit Prostituierten arbeitet, deren wichtigste Kunden die regionale Fischer sind. Das Gesundheitsministerium unterstützt diese Ansätze für das nationale Präventionsprogramm.


Beitrag in Neues Deutschland vom 01.12.2009