International / Kultur

Eduardo Galeano: "Wünsche für 2011"

Ein Gedicht zum Jahreswechsel, über den Menschen, die Gerechtigkeit und die Geschichte

honduras-golpe.jpg

Frauen stehen nach dem Putsch in Honduras Militärs gegenüber
Verzweifelte Hoffnung: Aktivistinnen des Widerstandes nach dem Putsch in Honduras

Ich hoffe, dass wir der verzweifelten Hoffnung würdig sind.

Ich hoffe, dass wir den Mut haben, alleine zu sein, und die Tapferkeit, uns in Gesellschaft zu begeben, weil ein Zahn außerhalb des Mundes so nutzlos ist wie ein Finger ohne seine Hand.

Ich hoffe, dass wir jedes Mal ungehorsam sein können, wenn wir Anweisungen wider unser Gewissen und unsere Vernunft erhalten.

Ich hoffe, dass wir allen Beweisen zum Trotz den Glauben daran behalten, dass die menschliche Beschaffenheit an sich Wert hat, weil wir unzureichend gestaltet wurden, aber noch nicht vollkommen sind.

Ich hoffe, dass wir fähig sind, die Wege des Windes weiter zu beschreiten, trotz aller Stürze, des Verrats und der Niederlagen, da die Geschichte – auch ohne uns – fortschreitet, und weil sie, wenn sie 'Adiós' sagt, tatsächlich 'Bis bald' meint.

Ich hoffe, dass wir die Gewissheit bewahren können, dass es möglich ist, Landsmann und Zeitgenosse all jener Dinge zu sein, die von dem Willen der Gerechtigkeit und dem Willen der Schönheit belebt werden, wo auch immer sie geboren sind und wann auch immer sie leben, weil weder die Karten der Seele noch die der Zeit Grenzen kennen.

Eduardo Hughes Galeano, geboren 1940 in Montevideo (Uruguay), ist einer der bedeutendsten Poeten und Schriftsteller Lateinamerikas. Galeano erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Preis der Kulturstiftung "Casa de las Américas" (Havanna) und den "American Book Award" der Universität Washington. Er ist Ehrendoktor der Universitäten La Paz, Havanna und Neuquén (Argentinien).

Die Redaktion von Amerika21 wünscht mit diesem Gedicht allen Leserinnen und Lesern ein gutes und erfolgreiches neues Jahr.