Brasilien: 500 Frauen besetzen Agrarreformbehörde

Protest gegen schleppende Landreform und Agrargifte. Wissenschaftler wirft Behörde Zahlenspielerei vor

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Aktivistinnen bei der Besetzung der Behörde für die Agrarreform
Aktivistinnen bei der Besetzung der Behörde für die Agrarreform

Recife/Brasilien. Rund 500 Frauen der Landarbeiterorganisation Via Campesina haben am Montag Vormittag (Ortszeit) das Gebäude der Agrarreformbehörde INCRA in der Stadt Recife im Nordosten Brasiliens besetzt. Mit ihrer Aktion im Vorfeld des internationalen Frauentages am 8. März wollten die Aktivistinnen auf die unzureichende Umsetzung der Agrarreform in Brasilien hinweisen. Außerdem protestierten sie gegen die zunehmende Verwendung von Pflanzenschutzmitteln in der Landwirtschaft und den Vormarsch des Agrobusiness. Dies berichtet die brasilianische Landpastorale (CPT). Die Frauen setzen sich dagegen für kleinbäuerliche und agrarökologische Ernährungssouveränität ein.

Die Besetzung dauerte laut Informationen der Tageszeitung Estado de São Paulo lediglich 15 Minuten. Die konservative Tageszeitung sprach in ihrem Bericht von "rund 20 mit der Landlosenbewegung MST und der Kleinbauernbewegung Via Campesina verbundenen Frauen", die das Gebäude besetzt und Räume und Wände mit "Schmierereien" versehen hätten. Die Bundespolizei hielt die Aktion für bedeutsam genug, um eigene Ermittlungen aufzunehmen, berichtet die Zeitung Globo.

Die Sprecherin der Landlosenbewegung MST im Bundesstaat Pernambuco, Cristiane Albuquerque, warf der brasilianischen Bundesregierung vor, einseitig das Agrobusiness zu unterstützen. Eine der Folgen sei der massive Vormarsch der Agrargifte in der großflächigen, zunehmend industrialisierten Landwirtschaft, so Albuquerque. Marluce Melo von der Landpastorale CPT hob hervor, dass "Agrargifte die Luft, die wir atmen, das Land, das wir betreten, verseuchen. Sie vergiften die Flüsse, die Wasserquellen und letztlich landet das auf den Tischen der Bevölkerung". Der Kampf gegen Agrargifte sei ein Kampf sowohl auf dem Land, wie in der Stadt, so die Aktivistin. Brasilien ist seit 2008 weltgrößter Verbraucher bei Pflanzenschutzmitteln. Im Jahr 2010 wurden in Brasilien erstmals mehr als eine Million Tonnen Pestizide versprüht.

Die Kritik richtet sich auch gegen die schleppenden Umsetzung der verfassungsmäßig garantierten Landreform. Während die Agrarreformbehörde INCRA von Rekordzahlen bei der Agrarreform redet, sehen dies die Frauen von Via Campesina anders: 2010 sei das schlechteste Jahr in dieser Frage gewesen, so die Protestierenden. Die Kritik von Via Campesina wird von Wissenschaftlern geteilt: Der Universitätsprofessor Ariovaldo Umbelino de Oliveira wirft Regierung und INCRA vor, Zahlenspielerei bei den Daten zur Agrarreform zu betreiben. Statt im Zeitraum von 2003 bis 2010 wie behauptet 614.000 Familien angesiedelt zu haben, sei es in der Tat nur ein Drittel, also 211.000 Familien. INCRA manipuliere, indem sie in die Zahlen der vermeintlich erfolgreichen Bemühungen der Regierung für eine Agrarreform auch die Familien mitzähle, die wegen Großprojekten wie Staudämmen zwangsumgesiedelt wurden. Auch würdenFamilien eingerechnet, die bereits auf dem Land gelebt hätten, aber nun Eigentumsurkunden zugesprochen bekommen hätten. Nur so komme die Regierung auf die vermeintlich schönen Zahlen aus der Ära Lula, so Umbelino de Oliveira.