Port-au-Prince. In Haiti drängen Angehörige der 1994 aufgelösten Armee auf eine Neugründung der Truppe. Während die Rechtslage nicht vollständig geklärt ist, organisieren einstige Militärs nun auf eigene Faust die Ausbildung von Rekruten. Dem amtierenden Präsidenten Michel Martelly kommt die Entwicklung offenbar gelegen.
Haitis früherer Staatschef Jean-Bertrand Aristide hatte gute Gründe, 1994 nach seiner Rückkehr aus dem erzwungenen Exil die Armee per Dekret aufzulösen. Es waren schließlich die haitianischen Militärs, die ihn sieben Monate nach seinem Amtsantritt 1991 mit Gewalt aus dem Land vertrieben und anschließend für drei Jahre ein veritables Terrorregime errichtet hatten. Tausende Anhänger Aristides wurden umgebracht, ins Exil getrieben, gefangen und gefoltert, ihre Familien eingeschüchtert.
Die vollständige Demobilisierung der rund 7.000 Mann starken Armee ist aber weder in der verbliebenen ersten kurzen Amtszeit Aristides noch in den darauf folgenden Präsidentschaftsperioden – Preval, Aristide, Preval – gelungen. Ebenso haben beide Präsidenten es versäumt, das Dekret zur Auflösung der Armee in die Verfassung aufzunehmen.
Seit der Rückkehr des früheren Diktators Jean-Claude Duvalier im letzten Frühjahr und bestärkt durch die Wahlversprechen des amtierenden Präsidenten Martelly fühlen sich seit einigen Monaten ehemalige Armeeangehörige ermuntert, sich als Stammpersonal einer neu zu schaffenden haitianischen Armee zu inszenieren. Diese Akteure haben bereits leerstehende Kasernen besetzt, um mit der Ausbildung von Rekruten zu beginnen. Mit welchem Geld dies geschieht und woher sie die mitunter neuwertigen Uniformen erhalten, ist eine der Fragen, über die derzeit nicht nur in der haitianischen Presse spekuliert wird.
In der Zeit der Abwesenheit des Präsidenten, der laut eigener Aussage in Miami mit den Folgen einer fast tödlichen Lungenembolie zu kämpfen hatte, gingen die offiziell kritisierten, faktisch aber wohlwollend geduldeten Militärs so weit, dass sie sich demonstrativ in Marschformation in einigen Städten zeigten. Sie besetzten sogar kurzzeitig das Parlament, um ihrer Forderung nach Entschädigung für die seit 17 Jahren entgangenen Gehälter Nachdruck zu verleihen.
Das immer offenere Auftreten dieser Soldaten ohne Sold stößt in der haitianischen Öffentlichkeit auf keinen nennenswerten Widerstand. Die Regierung kritisiert zwar mit pflichtbewusster Regelmäßigkeit das eigenmächtige Vorgehen selbsternannter Bataillonschefs, ergreift aber keine wirksamen Maßnahmen, um deren Treiben ein Ende zu bereiten. Vertreter ausländischer Staaten, allen voran die Botschafter der USA, Kanadas und Frankreichs, aber auch der Oberkommandierende der UN-Militärmission MINUSTAH, haben mehrfach erklärt, dass sie den Wiederaufbau einer haitianischen Armee keinesfalls unterstützen werden.
Präsident Martelly hält jedoch an seinem Projekt fest, da er auf die politische Unterstützung der Militärs angewiesen ist und andererseits die tiefe Abneigung der Haitianer gegenüber den UN-Truppen kennt. Auch von dem neuen Kabinett des in Kürze sein Amt antretenden neuen Premierministers Laurent Lamothe ist Widerstand gegen die Remilitarisierung kaum zu erwarten.