Venezuela

Allianz mit dem "Verräter"?

Der deutsche Soziologe Heinz Dieterich plädiert für eine erneute Zusammenarbeit der beiden Politiker

Mexiko-Stadt. Nach dem Konflikt zwischen dem venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez und seinem ehemaligen Waffenbruder und Verteidigungsminister, General a.D. Raúl Isaías Baduel, müssten die beiden Politiker wieder eine "strategische Allianz" schließen. Das fordert der in Mexiko lebende Professor Heinz Dieterich in einer Analyse, die am heutigen Donnerstag auf mehreren spanischsprachigen Internetseiten erschienen ist.

Der Soziologe kennt Chávez und Baduel gut. Er hat beide Politiker mehrmals interviewt und einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht. Im Juni noch hat Baduel das Vorwort zur venezolanischen Ausgabe von Dieterichs Buch "Hugo Chávez und der Sozialismus des 21. Jahrhunderts" verfasst. Damals war nicht erkennbar, dass der ehemalige Fallschirmjäger eine Frontstellung gegen seinen langjährigen Weggefährten Chávez einnehmen würde. 2002 hatte der Kommandeur der 42. Brigade an der militärischen Front maßgeblich zum Scheitern des Staatsstreichs gegen den Präsidenten beigetragen.

Obwohl Baduel am 5. November 2007 die von Chávez angestrebte Verfassungsreform einen "Putsch" genannt hat, sieht der Deutsche die Möglichkeit, dass der Präsident und sein Ex-Minister wieder zusammenkommen könnten. Schließlich habe sich Chávez auch mit seinem Kameraden Arias Cardenas versöhnt, nachdem dieser ihn öffentlich in aggressiver Weise angegriffen hatte. Arias Cardenas führt heute den Landesverband der entstehenden Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) im strategisch wichtigen Bundesstaat Zuliá.

Dieterich widerspricht den Stimmen, die Baduel des Verrats bezichtigen. Dieser habe sich nicht vom Regierungsprojekt ausschließen können, heißt es in dem Text, weil er schon ausgeschlossen war: "Die Hauptverantwortung dafür trägt die Regierung."

Der Lateinamerika-Kenner vergleicht das Auftreten des Generals mit einer Entscheidungsschlacht: "Wenn der Präsident das Referendum nicht gewinnt oder weniger als 60 Prozent erreicht, dann wäre er gezwungen, Neuwahlen auszurufen." Angesichts der Abstimmung über die Verfassungsreform am 2. Dezember bedeutet Baduels Schritt zum einen, dass er die Reformgegner von den Radikalen bis zu den Moderaten geeint habe. Zum anderen würde sich nun niemand mehr enthalten können.

Die Folgen vermag auch Dieterich nicht vorauszusehen. Zweifelsohne habe Baduel die Unterstützung des harten Kerns des Chavismus verloren, schreibt er. Man werde sehen müssen, ob der Ex-General Unterstützung vom politischen Zentrum und enttäuschten "Bolivarianern" erhalte. Andererseits bleibe abzuwarten, ob es dem Präsidenten gelingt, Nichtwähler und Unentschlossene für sich zu mobilisieren. Dieterich erinnert daran, dass es der Regierung Chávez seit 1999 nicht gelungen ist, die Opposition unter die 35- bis 40-Prozent-Marke zu drücken. Das sei eine recht hohe Quote, mit deren Hilfe eine Übernahme der Regierung während einer Krise im Bereich des Möglichen liege, meint der Soziologe.

Dieterich, ein Verfechter des Sozialismus des 21. Jahrhunderts, meint auch, dass die neue Verfassung weder nötig sei, um den antiimperialistischen und populären Charakter des bolivarianischen Prozesses im In- und Ausland voranzubringen. Noch sei sie notwendig, um sich dem Sozialismus des 21. Jahrhunderts zu nähern. Für Dieterich ist "offensichtlich, dass das aktuelle Modell eine Reihe von strukturellen Schwächen hat". Daraus könne schon im nächsten Jahr eine Krise entstehen.

Heinz Dieterich schließt mit den Worten:

"Die Politik ist die Kunst der möglichen Allianzen. Angesichts dessen, was auf dem Spiel steht (Venezuelas Stabilität und die lateinamerikanische Integration, IN), ist es die unausweichliche historische Verantwortung der beiden Ex-Waffenbrüder, Hugo Chávez und Raúl Isaías Baduel, die aktuelle politische Krise - und die zukünftige wirtschaftliche - so zu meistern, dass die Oligarchie und der Imperialismus keinen weiteren strategischen Triumph in der Patria Grande [Lateinamerika, IN] erreichen können."


Den Originaltext von Heinz Dieterich finden Sie hier.

Ausführlich und kritisch hat sich das Portal "Venezuela Aktuell" mit den Äußerungen Dieterichs auseinandergesetzt.