Amerikas

Boliviens Rechte gegen Rechtsstaat

Nationales Wahlgericht verschiebt Referenden. Oppositionell regierte Landesteile widersetzen sich Richterspruch

La Paz. Die Opposition gegen die sozialistische Regierung von Evo Morales kommt mit den rechtsstaatlichen Institutionen des südamerikanischen Landes immer offener in Konflikt. Obwohl das Oberste Wahlgericht (CNE) am vergangenen Freitag mehrere für Anfang Mai geplante Referenden wegen einer zu knappen Vorbereitungszeit verschoben hat, wollen die Präfekten einiger oppositionell regierter Landesteile an eigenmächtig anberaumten Abstimmungen über mehr Autonomierechte festhalten. Die Regierung von Morales nahm das Urteil des Gerichtshofes indes hin, obgleich der Richterspruch auch eine landesweite Volksabstimmung über eine Verfassungsreform zunächst verhindert - immerhin eines der wichtigsten Projekte der linken Staatsführung.

Der Präsident des Wahlgerichtes, José Luis Exeni, hatte die Entscheidung am Freitagnachmittag (Ortszeit) mit »unzureichenden technischen, operativen, juristischen und politischen Bedingungen« begründet. Betroffen sind neben den Autonomieabstimmungen in den oppositionell regierten Departements und dem nationalen Verfassungsreferendum auch ein »beratendes Referendum« über eine festzulegende Höchstgrenze für Großgrundbesitz. Der CNE ordnete nun an, in jedem Fall eine Frist von mindestens 90 Tagen bis zu einer Volksabstimmung einzuhalten.

Zugleich erteilte der CNE-Präsident den eigenmächtig anberaumten Volksabstimmungen über selbst entworfene »Autonomie-Statute« einiger Departements eine deutliche Absage: »Die einzige Instanz, die Referenden auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene durchführen kann, ist das Nationale Wahlgericht.« Eine gegenläufige Entscheidung des regionalen Wahlgerichts im östlichen Departement Santa Cruz erklärte er für nichtig. Oberstes Ziel ist und bleibe in jedem Fall die »Bewahrung der demokratischen Stabilität«, so Exeni weiter. Und diese sei durch die Konfrontation beider politischer Lager in Gefahr gebracht worden.

Wie polarisiert die Stimmung ist, wurde Mitte letzter Woche im Parlament deutlich, als das von der Opposition dominierte Oberhaus die Genehmigung der Verfassungsreferenden durch das Abgeordnetenhaus für »illegal« erklärte. Auch wenn die Deklaration keine Rechtskraft hatte, kam es zum Eklat. Erst beschimpfte der ehemalige Minister des Diktators Hugo Banzer und heutige Senator der Oppositionsgruppe Podemos, Tito Hoz, eine Senatorin der Regierungspartei »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) als »Henkersfrau«. Die Politikerin revanchierte sich umgehend und goss Hoz ein Glas Wasser ins Gesicht.

Während die MAS-Regierung nach dem Urteil am Freitag besonnen reagierte und Beratungen ankündigte, lehnten die regierungsfeindlichen Präfekte der Departements Santa Cruz, Beni, Pando und Chuqisaca die Entscheidung hysterisch ab. Man werde »keinen Schritt zurückweichen« und sich weiter auf die für Mai und Juni geplanten Referenden vorbereiten. »Nur das Oberste Verfassungsgericht kann Volksabstimmungen für nichtig erklären«, sagte der Präfekt von Santa Cruz, Rubén Costas. Dabei wusste er genau, dass dieser Gerichtshof derzeit nicht beschlussfähig ist, nachdem vier der insgesamt fünf Verfassungsrichter aus Protest gegen die Politik des MAS zurückgetreten sind. Angesichts der festgefahrenen Lage bat Boliviens Regierung Anfang der Woche die Organisation Amerikanischer Staaten (OEA) um die Entsendung einer Beraterkommission. Sie solle das Land »auf seinem demokratischen Weg des Wandels unterstützen«, so Außenminister David Choquehuanca.


Den Originaltext der Tageszeitung junge Welt finden Sie hier.