Lateinamerika / EU / Wirtschaft

"Wir brauchen eine neue Finanzarchitektur"

Ministertreffen von EU und Rio-Gruppe in Prag. Kuba war erstmals vertreten. Differenzen bei Krisenmanagement

Prag. Die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union wollen enger mit Lateinamerika zusammenarbeiten, um Lösungen gegen die Weltwirtschaftskrise zu entwickeln. Das geht aus einer gemeinsamen Erklärung hervor, die von den Außenministern der EU und der Rio-Gruppe am Mittwoch in Prag verabschiedet wurde. Dabei herrschte bei dem inzwischen 14. Ministertreffen beider Bündnisse weit weniger Eintracht als die 21 Absätze der Schlussdeklaration zunächst vermuten lassen.

Denn seit dem G-20-Gipfel Anfang April in London sind die Beziehungen zwischen Lateinamerika und der EU belastet. Südlich des Rio Grande trafen nicht nur die Entscheidungen der 20 wirtschaftsstärksten Länder - vor allem die Stärkung des Internationalen Währungsfonds - auf Kritik. Beanstandet wurde auch, dass die G-20 nicht mit der Mehrheit der 192 UN-Mitgliedsstaaten Rücksprache gehalten hat.

Entsprechend eisig war die Stimmung, als Tschechiens Außenminister Jan Kohout die Vertreter der 23 Mitglieder der Rio-Gruppe am Mittwoch im Namen der Prager EU-Ratspräsidentschaft begrüßte.

Unmittelbar nach Beginn des eintägigen Treffens kritisierte der stellvertretende Außenminister Ecuadors, Lautaro Pazo, die G-20-Beschlüsse. "Wir brauchen eine neue internationale Finanzarchitektur", sagte der Diplomat - und traf dabei auf Unterstützung anderer lateinamerikanischer und karibischer Staaten.

Kubas Außenminister Bruno Rodríguez, der nach der Aufnahme seines Landes in die Rio-Gruppe im vergangenen Dezember erstmals an einem bilateralen Treffen teilnahm, forderte von Brüssel konkrete Taten. Er reagierte damit auch auf Versprechen Kohouts, gemeinsam mit den Staaten Lateinamerikas nach Lösungen zu suchen. Ähnlich hatte sich die EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner geäußert.

Eine multilaterale Politik könne ausschließlich auf den Prinzipien der UN-Charta beruhen, forderte Havannas Chefdiplomat laut einem Bericht der kubanischen Nachrichtenagentur Prensa Latina. Zwar seien die Versprechen hochrangiger EU-Vertreter zu begrüßen, allerdings dürfe es nicht dabei bleiben. Brüssel habe dabei zahlreiche Möglichkeiten: von einem Schuldenerlass über den Stopp der Agrarsubventionen bis hin zu einer neuen Migrationspolitik. Auch könnten die EU-Staaten ihren Worten mit der Aufstockung der Entwicklungshilfe Taten folgen lassen.

Im September 2000 hatten sich Industriestaaten auf dem so genannten Millenniumsgipfel der UNO dazu verpflichtet, die Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent ihres jeweiligen Bruttoinlandsproduktes anzuheben. Derzeit wird diese Vorgabe nur von fünf der 27 EU-Mitglieder erfüllt. Deutschland gehört mit 0,37 Prozent nicht dazu.

Um den Folgen der Weltwirtschaftskrise für Lateinamerika und die Karibik zu begegnen, kündigte EU-Außenkommissarin Ferrero-Waldner in Prag neue Finanzinitiativen an. So könnten Infrastrukturprojekte unterstützt werden. Die Gelder dafür - rund 2,7 Milliarden Euro - sind im EU-Fonds für Lateinamerika allerdings schon enthalten. Zusätzliche Finanzmittel oder gar strukturelle Veränderungen wurden von den EU-Vertretern nicht beschlossen.

Am Rande des Gipfeltreffens beschlossen sechs linksgerichtete Mitgliedsstaaten der Rio-Gruppe - Bolivien, Ecuador, Honduras, Kuba, Nicaragua und Venezuela - eine eigene Erklärung, in der sie ihre politischen Differenzen zu der EU darlegten. Die aktuelle Weltwirtschaftskrise, so heißt es auch darin, belege einmal mehr die Notwendigkeit "einer tief greifenden Veränderung der internationalen Finanzarchitektur". Anders als bisher müsse diese Ordnung auf den "Prinzipien von Gerechtigkeit und Solidarität beruhen".


Den Originalartikel des Onlinemagazins Telepolis finden Sie hier.