Utopia. Keep on Moving - Filme aus Lateinamerika und anderswo

Filme und Gespräche

Anhand von fünf Filmen aus den Jahren 1963 bis 1993 zeichnet der Filmhistoriker Luciano Castillo Rodríguez den politischen und ästhetischen Aufbruch sowie die Gesellschaftsutopien des lateinamerikanischen Kinos nach. Auf den Spuren von Vittorio De Sicas Wunder von Mailand (1951) greifen die Regisseur:innen Varda, Alea, Lilienthal, Sorín und Cabrera die Kraft des Poetischen und der Emotionen auf, um nicht nur vom Glauben an die Veränderbarkeit der Welt, sondern auch von dessen Notwendigkeit zu erzählen.

Programm am Samstag, 20.4.

15 Uhr
Einführung
Das Wunder von Mailand
Salut les Cubains (mit Einführung)

18.30 Uhr
Ein kubanischer Kampf gegen Dämonen (mit Einführung)
Im Anschluss Gespräch zwischen Luciano Castillo Rodríguez und Jeanine Meerapfel

Programm am Sonntag, 21.4.

14 Uhr
Einführung
Der Aufstand

16.30 Uhr
Der Film des Königs (mit Einführung)

19 Uhr
Die Strategie der Schnecke (mit Einführung)
Im Anschluss Gespräch zwischen Luciano Castillo Rodríguez und Jeanine Meerapfel

Das Wunder von Mailand / Miracolo a Milano
Italien 1951, 100 min, OV mit englischen Untertiteln
Regie: Vittorio De Sica
Darsteller:innen: Emma Gramatica, Francesco Golisano, Paolo Stoppa

Der naive Hauptheld Toto, ein Findelkind, das von einer älteren Dame großgezogen wird, kommt als junger Mann nach Mailand, um sich Arbeit und Wohnung zu suchen. Er findet Unterschlupf in einer Armensiedlung am Rand der Stadt, die aus kaum mehr als ein paar Verschlägen besteht. Aber Toto lässt sich nicht erschüttern, mit seinem Übermut bringt er Schwung in die Tristesse. Als auf dem Gelände Öl gefunden wird, soll die Siedlung geräumt werden. Aber Totos Wundertaube vermag das Böse ins Gute zu wenden. So werden aus Befehlen Arien und aus Soldaten Pazifisten. Wenn sich am Schluss die Bewohner*innen im wörtlichen Sinne erheben, so, weil nur, wer an Wunder glaubt, wird Wunder erleben.

Der Film, basierend auf einer Novelle des Autoren Cesare Zavattini, entspringt dem Geist des Neorealismus, jener Welle, die sich nach dem Krieg vor allem der Darstellung sozialer Realität verschrieb. Gedreht wurde semidokumentarisch an authentischen Schauplätzen, Laien wurden als Charaktere gewählt und brachten ihre eigenen Erfahrungen ins Spiel ein. Regisseur Vittorio De Sica aber geht einen Schritt weiter. Er fügt märchenhafte Elemente hinzu, die dem realen Setting die Kraft der Phantasie und des menschlichen Willens entgegenhalten. Hierin ist de Sicas Kino verwandt mit dem lateinamerikanischen, das tief in der Tradition des magischen Realismus verwurzelt ist. Ein Sieg der kleinen Leute, David gegen Goliath. Dem Film wurde seinerzeit vorgehalten, quasi-religiös zu sein und nur Trost spenden zu wollen. Im Gegenteil: Die Grundfrage ist nach wie vor gültig: Wem gehört die Stadt?

Salut les Cubains
Frankreich / Kuba 1963, 30 min, OV mit englischen Untertiteln
Regie: Agnès Varda

Wie viele Intellektuelle ihrer Zeit sympathisierte die Filmemacherin Agnès Varda mit der kubanischen Revolution. Der kleine karibische Inselstaat hatte sich aus eigenen Kräften vom amerikanischen „Casino-Kapitalismus“ befreit. 1963, drei Jahre nach der Revolution, begab sich Agnès Varda nach Kuba, um sich selbst ein Bild zu machen und kehrte mit über 1000 Negativen an den Schneidetisch zurück. In einer spielerischen Montage lässt sie die Fotos zu ChaChaCha-Musik tanzen, zeigt alltägliche Straßenszenen ebenso wie Aufmärsche, nimmt die Frauen mit ihrem erwachten Selbstbewusstsein in den Blick, dokumentiert die Zuckerrohrernte und Fidel Castro bei einem Auftritt. Zu spüren ist ihre Begeisterung, aber auch feine Ironie. Gemeinsam mit dem Schauspieler Michel Piccoli spricht sie den Kommentar, der die Bilder rhythmisch noch steigert.

Ein kubanischer Kampf gegen Dämonen (auch unter dem Titel: Eine kubanische Schlacht gegen die Dämonen) / Una pelea cubana contra los demonios
Kuba 1972, 130 min, OV mit englischen Untertiteln
Regie:Tomás Gutiérrez Alea
Darsteller:innen: José Antonio Rodríguez, Raúl Pomares, Silvano Rey, Mares González, Olivia Belizaire

Regisseur Tomás Gutiérrez Alea gehört zu den wichtigsten Vertretern des Neuen Kubanischen Kinos. Nach einem Jura-Studium in Havanna, wo er Fidel Castro kennenlernte, ging er nach Rom, um an der Centro Sperimentale di Cinematografia Regie zu studieren. Einer seiner prägenden Lehrer war Cesare Zavattini, auf dessen Novelle das Wunder in Mailand fußt. Er schloss sich dem Widerstand gegen die Batista-Diktatur an und gehörte fortan zu den prägenden Akteuren beim Aufbau des neuen kubanischen Films. In die zahlreichen Spiel- und Dokumentarfilme, die er realisierte, brachte er seine Erfahrungen mit dem italienischen Neorealismus ein. Er war Mitbegründer der Filmhochschule am Instituto Cubano del Arte e Industria Cinematográficos (ICAIC) in Havanna. Obgleich er seine Filme in den Dienst der jungen Republik stellte, bewahrte er sich ein hohes Maß an Eigenständigkeit und Glaubwürdigkeit. Eines seiner wichtigsten Themen ist die Legitimierung der Revolution, die er aus den verheerenden Zuständen aus der Zeit der Kolonialisierung ableitet. Der Film Una pelea cubana contra los demonios basiert auf dem gleichnamigen Buch des kubanischen Schriftstellers Fernando Ortiz Fernández. Er spielt in der Region Remedios im 17. Jahrhundert: ein Priester will aus Eigeninteresse die Gemeinde von einem Ort zum anderen bringen. Der obskurantistische Kreuzzug provoziert Tod und Zerstörung. Alea verdichtet in seinem Film die unheilvolle Allianz aus Religion, Macht und Ausbeutung und inszeniert in gewaltvollen und expressiven Bildern einen Kreuzzug, der in Exorzismus und Mystizismus mündet.

Der Aufstand / La insurrección
Deutschland 1980, 101 min, OV mit deutschen Untertiteln
Regie: Peter Lilienthal
Drehbuch: Peter Lilienthal, Antonio Skármeta
Darsteller*innen: Augustin Pereira, Carlos Carania, Maria Lourdes Centeno de Zelaya

Peter Lilienthals Spielfilm ist angesiedelt in der Zeit der Kämpfe der Sandinistas gegen die Somoza-Diktatur 1979 in Nicaragua. Die Dreharbeiten begannen unmittelbar sechs Wochen nach dem Sieg der Revolution. Meisterhaft versteht es Lilienthal, Fiktion mit dokumentarischen Elementen zu verknüpfen und somit eng ans zeitliche Geschehen zu rücken. Im Zentrum steht der Volksaufstand in Leon, der entscheidend zum Ausgang der Revolte beitrug. Anhand einer Familiengeschichte exemplifiziert er seine grundsätzlichen Fragen an das Verhältnis von Gewalt und Aufruhr. Es ist der Sohn der bürgerlichen Familie, der beim Militär dient, dann von seinem Vater zum Desertieren überredet wird und sich schlussendlich dem Widerstand anschließt. Lilienthal drehte den Film unter Beteiligung der Bürger*innen, der ehemalige Stadtguerilla und Einheiten der Befreiungsarmee. An der Kamera Michael Ballhaus. Das Drehbuch entstand in Zusammenarbeit mit dem chilenischen Autoren Antonio Skármeta, der als Anhänger Allendes Chile nach dem Putsch verlassen musste.

Der Film des Königs / La Película del Rey
Argentinien 1986, 104 min, OV mit deutschen Untertiteln
Regie: Carlos Sorín
Darsteller*innen: Ulises Dumont, Julio Chávez, Roxana Berco

In der verschachtelten Film-im-Film-Konstruktion verknüpft der argentinische Regisseur Carlos Sorín die wahre Geschichte des Franzosen Orélie Antoine, einem (realen) Abenteurer, der sich 1860 in Feuerland selbst zum König von Araucanien und Patagonien kürte, mit der (fiktiven) Geschichte von den Dreharbeiten eines Regisseurs namens Arturo, der versucht, diese bizarre Story zu verfilmen und dabei in einen Strudel von Schwierigkeiten gerät. Der Produzent springt ab, es fehlt an Geld, die Schauspieler:innen verlassen das Set. Arturo ersinnt immer absurdere Tricks, um das Vorhaben zu retten. So ersetzt er die fehlenden Akteure durch Schaufensterpuppen und übernimmt die Hauptrolle kurzerhand selbst. Aus der überdrehten Spiegelfechterei entwickelt sich in surrealen Bildern eine aberwitzige Parabel über das Filmemachen und den Irrsinn von Größenwahn.

Die Strategie der Schnecke / La Estrategia del Caracol
Italien / Kolumbien / Frankreich 1993, 116 min, OV mit deutschen Untertiteln
Regie: Sergio Cabrera
Darsteller:innen: Fausto Cabrera, Frank Ramírez

Die Komödie spielt in einem Mietshaus im Altstadtviertel von Bogotá. Ein Spekulant will das Haus räumen. Aber die Bewohnerinnen und Bewohner haben alle gute Gründe, sich nicht vertreiben zu lassen. Doch da, wo keine regulären Mittel weiterhelfen, braucht es Widerstand und List. So schließt sich die bunte Gesellschaft zusammen: der Anarchist, der sein „Handwerk“ in früheren Kämpfen erlernt hat, der junge Revoluzzer, der den Aufstand bislang nur geprobt hat, ein Rechtsanwalt, allerdings ohne Zulassung, ein Pater, der sein Glück im Diesseits sucht, sowie eine Transperson und eine Frau mit ihrem schwerkranken Mann. Der Film ist ein Hohelied auf den Gemeinsinn und den Zusammenhalt mit der klaren Botschaft, dass es sich lohnt, sich zu wehren.

Termindaten
Datum: 20.04.2024, 15:00 - 21.04.2024, 22:00
Stadt: 10557 Berlin
Veranstaltungsart: Film- und Diskussionsveranstaltung
Veranstaltungsort: Akademie der Künste, Hanseatenweg 10, 10557 Berlin
Veranstalter: Akademie der Künste in Kooperation mit dem Ibero-Amerikanischen Institut der Stiftung Preußischer Kulturbesitz