Strafnachlass in Argentinien bei Verbrechen gegen die Menschheit

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Der Palacio de Justicia de la Nación: Sitz des Obersten Gerichtshofs Argentiniens
Der Palacio de Justicia de la Nación: Sitz des Obersten Gerichtshofs Argentiniens

Buenos Aires. Der Oberste Gerichtshof von Argentinien hat mit einer knappen Mehrheit das Gesetz 24.390 auch bei Verbrechen gegen die Menschheit für gültig erklärt. Demnach wird bei Personen in Untersuchungshaft ab dem zweiten Jahr jedes weitere Jahr doppelt berechnet. Diese Zeit wird dann von einer möglichen folgenden Haftstrafe abgezogen. Das Gericht urteilte damit zugunsten von Luis Muñia, der 2007 verhaftet und 2011 wegen Freiheitsberaubung und Folter verurteilt worden war. Muñia war unter anderem 1976 an der militärischen Besetzung des Krankenhauses Posadas in Buenos Aires und der Verschleppung des Krankenhauspersonals in das geheime Folterzentrum "El Chalet" beteiligt. Menschenrechtsverbände und die Opposition lehnen die Entscheidung vehement ab.

Das sogenannte 2x1-Gesetz war erst 2001 aufgehoben worden. Mit einer knappen Mehrheit setzten sich nun am Obersten Gerichtshof die Richter Elena Highton, Carlos Rosenkrantz und Horacio Rosatti gegen den Präsidenten des Organs, Ricardo Lorenzetti, und Richter Juan Carlos Maqueda durch. Ausgehend von Artikel 2 des argentinischen Strafgesetzbuches argumentierten die drei zustimmenden Richter, dass das Prinzip "des milderen Gesetzes" keine Ausnahme, selbst im Falle von andauernden Straftaten vorsehe. Für Lorenzetti und Maqueda trifft dieses Gesetz nicht für Verbrechen gegen die Menschheit zu, da sie unverjährbar sind und keine Amnestie oder Strafnachlass zulassen.

Der argentinische Minister für Menschenrechte, Claudio Avruj, pflichtete dem Beschluss in einem Interview mit dem Radiosender AM 750 bei. Menschenrechtsorganisationen wie das Centro de Estudios Legales y Sociales (CELS) und die Opposition prangerten hingegen die Übereinstimmung der Entscheidung mit der täternahen Aufarbeitungspolitik der Regierung von Präsident Mauricio Macri an. Die Vorsitzende der "Großmütter der Plaza de Mayo", Estela de Carlotto, wies auf die Möglichkeit hin, den Fall vor "seriöseren" internationalen Instanzen, wie den Vereinten Nationen zu präsentieren. Friedennobelpreisträger Adolfo Pérez Esquivel beschrieb das umstrittene Urteil als "Teil einer Lawine, mit der sie versuchen das Gesicht der Unterdrücker reinzuwaschen".

Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs im Fall Muñia verschärft die Debatte über eines der dunkelsten Kapitel der argentinischen Geschichte und ebnet den Weg für weitere Klagen von verurteilten Entführern, Folterern und Mördern der argentinischen Militärdiktatur.

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