Chile: Konflikt zwischen Mapuche-Aktivisten und Staat spitzt sich zu

Razzien nach Anschlägen und Besetzungen. Indigene protestieren gegen Anwendung des Antiterrorgesetzes. Gefangene seit 114 Tagen im Hungerstreik

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Demonstration für die Freilassung der hungerstreikenden Mapuche-Gefangenen
Demonstration für die Freilassung der hungerstreikenden Mapuche-Gefangenen

Santiago. Die chilenische Polizei geht vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen verstärkt gegen Aktivisten der Mapuche-Indigenen vor, die für die Unabhängigkeit ihrer Territorien eintreten.

Bei einer Großrazzia unter dem Namen "Operation Hurrikan" hat die Polizei acht Personen festgenommen, die der Coordinadora Auraco Malleco (CAM) angehören. Diese setzt sich für die Unabhängigkeit der Mapuche-Gebiete im Süden Chiles ein. In der Hauptstadt Santiago war es in den vergangenen Wochen immer wieder zu Besetzungen gekommen, darunter zuerst des Sitzes des Ministeriums für soziale Entwicklung (Conadi), dann der Zentrale der Partei Renovación Nacional des ehemaligen Präsidenten und Kandidaten für die Präsidentschaftswahl im November, Sebastián Piñera. Seit mehreren Tagen ist auch eine katholische Kirche in Concepción im Süden des Landes besetzt. Die Aktivisten wollten erreichen, dass das Antiterrorgesetz bei derzeit anstehenden Prozessen gegen Mapuche nicht angewendet wird. Vier Gefangene sind mit dieser Forderung seit 114 Tagen im Hungerstreik.

Auslöser der Polizeiaktionen waren sich wiederholende Brandanschläge gegen LKWs seit Ende August sowie Brände in drei Kirchen im Süden Chiles. Die Urheberschaft ist umstritten. Die Staatsanwaltschaft hat die Aktionen als terroristische Akte bezeichnet. Der Mitte-rechts-Kandidat Piñera hatte Präsidentin Michelle Bachelet vorgeworfen, nicht genug durchzugreifen. Wenn diese Vorfälle nicht als Terrorismus gewertet würden, könne dies dazu führen, dass sich die Bürger der Region bewaffnen, warnte Piñera. Bachelet hatte von den Festgenommenen vor einigen Tagen zwar als Kriminelle, aber nicht als Terroristen gesprochen. Eine Verurteilung nach dem Antiterrorgesetz würden zu deutlich höheren Strafen führen.

Mapuche-Aktivisten werfen dem Staat und den Gerichten vor, parteilich zu ermitteln. Pamela Pezoa, die Ehefrau des verhafteten Sprechers der CAM, Hector Llaitúl, beklagte, dass durch die Verhaftung die Ausreise ihres Mannes zu einem Kongress der Vereinten Nationen verhindert werden solle. Ana Llao, ehemalige Beraterin für Angelegenheiten der Mapuche beim Conadi, erinnerte an frühere Fälle, bei denen die Ermittlungen gegen Mapuche durch die Behörden einseitig und die Beweisführung zweifelhaft gewesen seien. Auch Amnesty International berichtet über unrechtmäßige Verhaftungen. "Im August 2016 sprach ein Gericht den Fotografen Felipe Durán und den Mapuche Cristián Levinao in allen Anklagepunkten frei. Den beiden Männern waren illegaler Waffenbesitz und Drogendelikte vorgeworfen worden. Sie hatten mehr als 300 Tage in Untersuchungshaft verbracht", heißt es im Jahresbericht 2017. Llao verweist unter anderem auf die Fälle von Brandon Hernandez und Fabiola Antiqueo, zwei junge Mapuche, die bei Übergriffen Ende 2016 und 2017 verletzt wurden. Für sie sind die jetzigen Repressionen ein Beweis dafür, dass die Regierung Bachelet die Rechte der Mapuche nicht ernst nimmt.

Bereits 2013 gab es eine unabhängige Untersuchung des Mapuche-Konflikts und des Antiterrorgesetzes durch die Vereinten Nationen. Deren Berichterstatter Ben Emmerson kam zu der Schlussfolgerung, dass das Gesetz "willkürlich und unklar" eingesetzt werde. Er hatte vor einer Eskalation des Konflikts gewarnt, wenn das Gesetz angewendet wird.

Unter den Präsidentschaftskandidaten ist das weitere Vorgehen umstritten. Beatriz Sanchez vom Linksbündnis Frente Amplio sprach sich dafür aus, dass die lokalen Behörden sich aus humanitären Gründen mit den Hungerstreikenden auseinandersetzen sollten. Alejandro Guillier, Kandidat eines Teils der regierenden Mitte-links-Koalition Nueva Mayoría warnte nach der "Operation Hurrikan" vor einer Zuspitzung der Situation.

Für Diego Ancalao, den früheren Chef der an der Regierung beteiligten Izquierda Ciudadana und jetzigen Präsidenten der Fundación Instituto Desarrollo del Liderazgo Indígena, ist das Problem ein Grundsätzliches. Er verweist auf den Vertrag von Tapihue aus dem Jahr 1823. Dieser legte im Rahmen der Unabhängigkeit von Spanien fest, dass es neben dem chilenischen einen eigenen Staat für die Mapuche geben soll. Der chilenische Staat müsse anerkennen, dass dieser Vertrag von Tapihue gebrochen wurde und deshalb entweder für eine Wiederherstellung des damaligen Zustands oder für eine Entschädigung sorgen, fordert Ancalao. Die Entschuldigung, die Bachelet im Juni dieses Jahres gegenüber den Mapuche ausgesprochen habe, sei nicht ausreichend und ohne Kompensation nicht glaubwürdig.

Unterdessen verschlechtert sich der Gesundheitszustand der vier hungerstreikenden Gefangenen drastisch. Einer von ihnen musste am Mittwoch wegen einer Magenblutung in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Innenminister Mario Fernández kündigte an, Hafterleichterungen anzuordnen, "damit der Hungerstreik beendet wird". Eine Rücknahme der Anklage nach dem Antiterrorgesetz, wie von den Streikenden gefordert, lehnt die Regierung jedoch ab.