Justiz in Venezuela intensiviert Verfolgung von Devisenbetrug

Generalstaatsanwalt legt Bericht vor. Festnahmen und Durchsuchungen bei Firmen. Kritiker fordern Maßnahmen gegen Konzerne und Staatsfunktionäre

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Generalstaatsanwalt Saab räumt ein, dass das Wechselkurssystem in Venezuela "per se" Betrug begünstigt
Generalstaatsanwalt Saab räumt ein, dass das Wechselkurssystem in Venezuela "per se" Betrug begünstigt

Caracas. Der neue Generalstaatsanwalt von Venezuela, Tarek William Saab, hat über Ermittlungen gegen 18 Firmen berichtet, die Devisenzuteilungen in betrügerischer Weise abgerechnet haben sollen. Unternehmen, die prioritäre Güter wie Medikamente, Lebensmittel und bestimmte technische Ausrüstungen importieren, erhalten in Venezuela Devisen zu einem Vorzugskurs. Saab berichtete in diesem Zusammenhang auch von Festnahmen. Gleichwohl urteilen Analysten, dass die Regierung die "großen Fische" und Korruption in den eigenen Reihen weiterhin nicht verfolge. Die größten Schäden verursachen überhöhte Abrechnungen, falsche Verrechnungspreise und fiktive Importe im Außenhandel und Ölsektor.

Saab präsentierte namentlich drei Fälle, in denen seine Behörde ein Gesamtvolumen von Zweckentfremdung und Veruntreuung in Höhe von über 50 Millionen Dollar annimmt. Es hätten Durchsuchungen bei Firmensitzen stattgefunden, die Inhaftierung von zwei Managern sei wegen deren Fluchtvorbereitungen erfolgt. Unter den von Ermittlungen betroffenen 18 Firmen seien allein 13 Scheinfirmen gewesen, die mutmaßlich einen Schaden von 85 Millionen Dollar erbracht hätten.

Der Generalstaatsanwalt gab auch einen Überblick über die staatlichen Maßnahmen der vergangenen Jahre zur Eindämmung von Devisenbetrug. Im Laufe einer mehrjährigen Untersuchung seien bereits 1.000 Firmen kontaktiert worden. Von diesen hätten mehr als 200 versäumt, die Fragen der Behörde zufriedenstellend zu beantworten. In diesem Zusammenhang kritisierte Saab seine Amtsvorgängerin Luisa Ortega Díaz, die in den letzten drei Jahren in keinem der ungeklärten Fälle nachgehakt habe.

Bezüglich der weithin geäußerten Kritik, dass nicht nur Firmen sondern auch korruptes Personal in den Institutionen des Staates stärker verfolgt werden müsste, räumte Saab ein, dass das Wechselkurssystem "per se" Betrug begünstige. Der staatlich regulierte Devisenhandel legt für Privatpersonen und Geschäftsleute und je nach Verwendungszweck für Fremdwährung unterschiedliche Wechselkurse fest, die, am Beispiel des US-Dollar zwischen 1 zu 10 Bolívares  bis 1 zu 3.500 variieren. Da der Wechselkurs auf dem florierenden Schwarzmarkt bis 1 zu 26.749 (am 7. Oktober) reicht, lassen sich mit illegalem Devisenhandel ungeheure Profite erzielen. "Wir müssen nicht nur gegen die Geschäftsleute ermitteln, sondern auch die Beamten einbeziehen, die die Unregelmäßigkeiten nicht zur Kenntnis nahmen", äußerte Saab bei seiner Präsentation.

Bereits unter seine Verantwortung fallen auch aktuelle Ermittlungen gegen den staatlichen Erdölkonzern Pdvsa. Hier werden insbesondere Abrechnungsbetrug, irreguläre Auftragsvergaben und Zusatzgebühren untersucht. Es geht um tausende Fremdwährungs-Verträge mit einem Volumen von mehr als 35 Milliarden Dollar. Im Zusammenhang mit der Ölproduktion werden Verhaftungen von Firmenangestellten und Mitarbeitern staatlicher Behörden und der Pdvsa in den Bundesstaaten Carabobo und Anzoátegui berichtet.

Ein weiterer Fall sind die Vorgänge bei dem Joint Venture "Petrozamora" der Pdvsa und der russischen Gazprom, das Rohöl am Maracaibo-See im Teilstaat Zulia fördert. Es besteht der Verdacht, dass örtliche Funktionäre von Pdvsa die russischen Partner genötigt haben, bestimmte, von korrupten Beamten gesponserte Zulieferer zu akzeptieren. Die Klärung dürfte auch durch den Umstand vorrangig sein, dass nach den Wirtschafts- und Finanzsanktionen der US-Regierung gegen Venezuela das südamerikanische Land bezüglich neuer Kreditlinien den guten Willen Russlands braucht.

Der neue Generalstaatsanwalt erntet für sein Vorgehen indes Anerkennung. Erst seit acht Wochen im Amt, habe die Behörde unter Saab "das Ruder in beispielloser Weise herumgerissen", heißt es etwa in einem Beitrag des chavistischen Informationsblogs La Tabla, der auch auf anderen Webseiten verbreitet wurde. In weiten Teilen des Landes werde "mit Überraschung und ungläubig ein frontaler Angriff auf die Korruption und eine uneingeschränkte Verteidigung der Menschenrechte" bemerkt.

La Tabla berichtet von der Hoffnung in den Basisbewegungen, dass die Regierung beginnt, die gesellschaftspolitische Dimension der Korruption anzuerkennen. Der neue Generalstaatsanwalt habe die Unterstützung von Präsident Nicolás Maduro und von hohen Bereichen der Justiz. Die weitgehende Straflosigkeit bei Korruption zerstöre die politische und soziale Stabilität und die Legitimität der Institutionen, zudem könne eine "von Korruption geprägte Wirtschaftstätigkeit nicht zur Gründung und Entwicklung eines gesunden und produktiven Unternehmenssektors beitragen", so die Autoren.

Skeptiker berufen sich dagegen auf Untersuchungen wie die des Ökonomen Manuel Sutherland vom Zentrum für Forschung und Bildung der Arbeiter (Cifo). Während die von Saab vorgestellten Korruptionsermittlungen ein Schadensvolumen im zwei- und dreistelligen Millionenbereich aufweisen, legte Sutherland im vergangenen Jahr Zahlen vor, die betrügerische Kapitalabflüsse in einem zwei- bis dreistelligen Milliardenbereich nahelegen. Am Beispiel der dramatisch zurückgegangenen Medikamenteneinfuhr bei gleichzeitig steigenden Kosten demonstriert der Ökonom "die betrügerische Einfuhr, die zu einem extrem überbewerteten Wechselkurs durchgeführt wird."