Gericht in Kolumbien verbietet Kunstwerk zu Massenmorden der Armee

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Wird nach dem Urteil weiter im Internet, in gedruckten Publikationen und auf T-Shirts verbreitet: Das "verbotene" Bild
Wird nach dem Urteil weiter im Internet, in gedruckten Publikationen und auf T-Shirts verbreitet: Das "verbotene" Bild

Bogotá. Nach einem Eklat um ein Wandgemälde der Organisation der Opfer von Staatsverbrechen (Movimiento de Víctimas de Crímenes de Estado, Movice) im vergangenen Oktober ist nun in zweiter Instanz dessen Verbreitung verboten worden. Zugleich ordnete das Gericht die Löschung bereits veröffentlichter Versionen des Wandbildes mit dem Titel "Wer hat es angeordnet?" in allen Formen an. In der Begründung heißt es, das Gemälde erfülle den Tatbestand der Verleumdung und verletze das Recht auf Unschuldsvermutung bis zur Verurteilung. Dieses sei in dem Fall höher zu bewerten als das Recht auf freie Meinungsäußerung.

In erster Instanz hatte sich Movice noch durchgesetzt und das Gemälde als legitime Form der Meinungsäußerung verteidigt. Nun wurde aber der Beschwerde des Generals Marcos Evangelista Pinto stattgegeben.

Wie amerika21 berichtete, hatten am 18. Oktober 2019 Künstler in Bogotá auf eine freigegebene Hauswand das Bild "Wer hat es angeordnet?" gemalt. Die Künstler bezogen sich auf circa 5.800 Morde an Zivilisten zwischen den Jahren 2000 und 2010, die das Militär als getötete Guerilla-Kämpfer präsentiert hatte. In Kolumbien sind diese Fälle als "Falsos Positivos" bekannt. Auf dem Bild sind fünf hochrangige Militärs zu sehen sowie die angenommenen Zahlen der Getöteten. Mit dem Wandgemälde wollten Movice und elf weitere Menschenrechtsorganisationen das Thema dieser Verbrechen der Streitkräfte in der Öffentlichkeit präsenter machen.

Die kolumbianische Stiftung für Pressefreiheit (Fundación para la Libertad de Prensa, Flip) sieht in dem zweitinstanzlichen Urteil einen klaren Verstoß gegen die Meinungsfreiheit. Zudem habe Movice gar nicht die Kapazitäten, das weit verbreitete und reproduzierte Bild aus allen Kommunikationskanälen und sozialen Netzwerken zu entfernen. Es müsse jede Organisation und Person, die an der Verbreitung beteiligt war, kontaktiert und zur Löschung aufgefordert werden. Die Stiftung gab daher am 27. Februar bekannt, zusammen mit Movice gegen das Urteil vor dem Verfassungsgericht Berufung einzulegen.

Ähnlich sehen es der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtes José Gregorio Hernández und der Verfassungsexperte Juan Manuel Charry. Hier verwechsle man Verleumdung mit einem Anliegen, einer Frage, so Hernández. Nach Charrys Auffassung geht es um eine "Grauzone zwischen Fangfrage und tatsächlicher Verurteilung". Der Richter habe "ein wenig übertrieben", als er in diesem Fall den "guten Namen" gegen die Meinungsfreiheit abwägte. "Die Bewegungen der Opfer können ausdrücken, was sie denken, ohne zu verurteilen", so Charry. Der Anwalt des Kollektivs, José Alvear Restrepo Sebastian Escobar, sagte, dass das Gemälde mehrere Interpretationen zulasse und der Richter nur über eine Variante entschieden habe: Auf der einen Seite könne es eine strafbare Formulierung sein, auf der anderen Seite eine legitime Frage der Angehörigen der Opfer.

Der Verteidiger des Klägers, David Espinosa, wertet die Entscheidung erwartungsgemäß positiv. Egal welche Vermutungen man anstelle, es gelte für alle die Unschuldsvermutung, so auch für General Pinto. Mit dem Gemälde werde dieses Prinzip verletzt. Auch wenn die Löschung sehr schwierig sei, so setze das Urteil einen Präzedenzfall für den Umgang mit derartigen Taten und Formulierungen.

Aktuell zeigt sich, dass das Verbot allerdings eher zu einem Anstieg in der Weiterverbreitung des Bildes beiträgt – sowohl gedruckt als auch digital.

Derweil wurden Ende Februar erneut Fälle von "Falsos Positivos“ exhumiert, zu denen auch ein Kind gehört.