Valle de Cauca et al. 19 junge Menschen sind im Süden Kolumbiens in wenigen Tagen getötet worden. Einige waren erst zwölf Jahre alt. Die Departamentos Nariño, Cauca und Valle del Cauca waren Schauplatz dieser Massaker. Die Region zwischen Cauca und Nariño ist eine von mehreren Schlüsselrouten für den Drogenhandel zum Pazifik.
Am 10. August wurden in Valle de Cauca der zwölfjährige Cristián Caicedo und 17-jährige Maicol Ibarra auf dem Weg zur Schule getötet, wo sie eine Hausaufgabe abgeben mussten. Es gab keine Zeugen. "Kolumbien ist wieder in die schlimmste Art von Barbarei versunken", schrieb Martha Peralta Epieyú, Präsidentin der Organisation "Alternative indigene und soziale Bewegung" (Movimiento Alternativo Indígena y Social, MAIS) dazu auf Twitter.
Nur einen Tag später, am 11. August, wurden fünf befreundete Minderjährige in der Favela Llano Verde in Cali massakriert. Die Opfer waren zwischen 14 und 15 Jahre alt, die meisten wurden erschossen, andere hatten Stichwunden. Alle waren Afrokolumbianer. Am Tag der Beerdigung warfen unbekannte eine Granate auf die Anwesenden und töteten mit der Explosion eine Person und verletzten mindestens 14, darunter einen einjährigen Jungen. Am 14. August berichteten Angehörige von Schusswechseln im Viertel. Zudem wurde ein von den Jugendlichen angelegter Gemeinschaftsgarten komplett zerstört.
Laut Polizei sind kriminelle Banden für diese gewalttätigen Aktionen verantwortlich. Eine der Hypothesen über die Taten sieht die Opfer im Kontext von Banden, die junge Menschen zwangsrekrutieren. Die Jugendlichen könnten aus Rache ermordet worden sein, weil sie sich verweigert haben. Sie könnten aber auch fälschlicherweise für Kleinkriminelle gehalten worden sein.
Gegen Mitternacht des 15. August schossen Vermummte in der Gemeinde Samaniego in Nariño wahllos auf eine Gruppe Jugendlicher. Acht von ihnen starben auf der Stelle, andere wurden schwer verletzt und werden weiterhin behandelt. In derselben Ortschaft wurde fast gleichzeitig eine weitere junge Frau getötet.
Auch hier ist nur wenig oder gar nichts über die Täter bekannt. Seit dem 8. August berichten Dorfgemeinschaften in Nariño über die Anwesenheit von Paramilitärs und vermeintliche Dissidenten der demobilisierten Farc-Guerilla sowie über bewaffnete Zusammenstöße.
Im selben Departamento kam es am 18. August zu einem Mehrfachmord in der indigenen Autonomieregion Ricaurte. Unbekannte ermordeten mindestens drei junge Indigene, von zwölf weiteren fehlt jede Spur. Der Governeur von Nariño, Jhon Alexander Rojas, sagte gegenüber der Presse: "Hier herrscht Anarchie. Wir sind vollkommen hilflos, nur Gott kann uns helfen."
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Mehr als 20.000 Menschen seien laut Beobachtern der Gefahr ausgesetzt, zwangsrekrutiert oder Opfer sexueller Gewalt zu werden. Das Departamento Nariño ist nach Angaben des Instituts für Friedens- und Entwicklungsstudien (Instituto de estudios para el desarrollo y la paz, Indepaz) mit 84 registrierten politischen Morden als das drittgefährlichste des Landes und mit der höchsten Zahl von Morden seit der Unterzeichnung des Friedensabkommens eingestuft.
Kolumbiens Präsident Iván Duque gab schon vor den ersten Nachforschungen über die Hintergründe dieser Verbrechen der Guerilla "Nationale Befreiungsarmee" (Ejército de Liberación Nacional, ELN) und "anderen Drogenbanden" die Schuld und versprach eine Aufklärung der Ereignisse. Die Friedensdelegation der ELN wies die Vorwürfe umgehend zurück. In der Region Nariño gebe es eine Allianz zwischen Militär, Polizei und Paramilitärs wie den Los Contadores, die verantwortlich sei für den Anstieg der Gewalt, die Morde und Massaker, heißt es in einem Kommuniqué vom 17. August.
Verantwortliche des Militärs dagegen brandmarkten die Jugendlichen: "In Samaniego gibt es verschiedene Drogenbanden, offenbar waren einge der ermordeten Jugendlichen Mitglieder", erklärte General Jorge Vargas. Gegen diese Unterstellungen regt sich scharfe Kritik. Der Sprecher der Nachfolgepartei der Guerilla "Alternative revolutionäre Kraft des Volkes" (Fuerza Alternativa Revolucionaria del Común, Farc), Pastor Alape Lascarro, etwa schrieb, die Streitkräfte dürften "die in Samaniego massakrierten jungen Menschen nicht erneut zum Opfer machen. Der Staat muss für das Wohlergehen der Jugend sorgen, darf sie nicht als inneren Feind behandeln".
In einer Stellungnahme der Wahrheitskommission heißt es: "Wir können nicht zulassen, dass arme, unzufriedene schwarze Jugendliche als Kriminelle abgestempelt werden. Die kolumbianische Gesellschaft ist ihnen etwas schuldig. Und anstatt zu ihrer Stigmatisierung beizutragen und dies sogar durch die Medien und sozialen Netzwerke zu nähren, schuldet ihnen das Land ein menschenwürdiges Leben und die Achtung ihrer Identität und Rechte."
Die Handschrift dieser Morde erinnert an die dunkelsten Zeiten des bewaffneten Konflikts in Kolumbien und an die von paramilitärischen Gruppen durchgeführten "sozialen Säuberungen". Die erneute Zunahme von Konflikten über die Kontrolle der Handelswege durch illegale bewaffnete Gruppen bringt die Zivilbevölkerung in große Gefahr. "Die Sicherheitslage für dörfliche Gemeinden hat sich erheblich verschlechtert. Es sind dringend Schutzmaßnahmen notwendig und die Taten müssen aufgeklärt werden", sagte José Miguel Vivanco von Human Rights Watch.
Auch das Büro der Vereinten Nationen und die UN-Überprüfungsmission des Friedensprozesses in Kolumbien verurteilten die Morde und brachten in einer gemeinsamen Erklärung ihre "tiefe Besorgnis" zum Ausdruck. Die zuständigen Behörden müssten die Maßnahmen zur Beseitigung dieser Gewalt verstärken. Die UN haben nach eigenen Angaben in diesem Jahr bereits 33 Massaker dokumentiert und 97 Morde an Menschenrechtsverteidigern.
Neben der UNO haben auch soziale Bewegungen Frieden und Gerechtigkeit im Land gefordert. Viele kritisieren die Ineffizienz der Regierung Duque und werfen ihr vollkommene Unfähigkeit vor. Unter seiner Präsidentschaft sei das Land in schlimmste Zeiten der Gewalt zurückgekehrt. Trotz Warnungen und Kritik seitens der internationalen Institutionen wie der Interamerikanischen Menschenrechtskommission und den Vereinten Nationen würden keine effektiven Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung eingeführt.