Systematische Polizeigewalt in Kolumbien: Ein Monat Generalstreik fordert 60 Tote

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Papst Franziskus ruft zur Anerkennung des Rechts auf friedlichen Protest auf (Screenshot)
Papst Franziskus ruft zur Anerkennung des Rechts auf friedlichen Protest auf (Screenshot)

Bogotá. Nach einem Monat Generalstreik in Kolumbien zählen die Organisationen Indepaz und Temblores 60 ermordete Menschen im Zusammenhang mit den Protesten. 43 der registrierten Opfer gehen direkt auf das Konto der staatlichen Ordnungsmacht. 46 Demonstrierende leiden unter Augenverletzungen, die durch Projektile von Polizei- und Militärwaffen verursacht wurden. Auf Seiten der Ordnungskräfte sind zwei Personen getötet worden.

Präsident Iván Duque scheint nach vier Wochen Protesten im Land geschwächter denn je. Der Hochkommissar für den Frieden, Miguel Ceballos, beendete am Mittwoch seine Zusammenarbeit mit der Regierung. Unstimmigkeiten mit dem Ex-Präsidenten Álvaro Uribe Velez hätten ihn zu diesem Schritt bewogen. Uribe gilt als stärkste Einflussperson des amtierenden Präsidenten.

Während die Gespräche zwischen Regierungsvertretern und dem nationalen Streikkomitee kaum Ergebnisse zeigen, bieten die Menschen auf den Straßen der Staatsmacht weiterhin die Stirn. Dabei bekommen sie moralische Unterstützung durch Papst Franziskus, der das Recht auf friedlichen Protest im Land verteidigte und zum Dialog aufrief. Franziskus zeigte sich besorgt über die Lage in Kolumbien.

Laut Analysten setzt die Regierung auf Zeit, versucht, Gespräche in die Länge zu ziehen, und hofft, dass die Protestierenden der Auseinandersetzungen müde werden. Während zu Beginn der Proteste vor einem Monat vor allem Cali als Hochburg des Aufstands galt, verlagern sich die Zentren des Widerstands in den armen Süden der Hauptstadt Bogotá – nach Usme, Soacha und Bosa.

Die Regierung versucht weiterhin die Proteste zu kriminalisieren und antwortet mit massiver Gewalt. Am Mittwoch griff die Polizei eine Demonstration in Usme an. Die Auseinandersetzungen dauerten zwölf Stunden an und forderten fast 200 Verletzte, mehrere Personen wurden als vermisst gemeldet.

Während der letzten vier Wochen wurde deutlich, dass die massive Polizeigewalt systemischer Natur ist. Schon 2020 ordnete die Zivilkammer des Obersten Gerichtshofs Maßnahmen zur Einhaltung des Rechts auf zivilen Protest an. Es wurden fünf Polizeipraktiken als systematische, illegale Gewaltanwendung definiert: brutale und willkürliche Intervention in Proteste, Stigmatisierungen friedlich Demonstrierender, unverhältnismäßiger Einsatz von Schusswaffen, willkürliche Festnahmen begleitet von grausamen, inhumanen Behandlungen sowie Angriffe auf die Pressefreiheit. Allein in den ersten 15 Tagen des Protests der letzten Wochen zählt die Organisation für Pressefreiheit FLIP 115 Angriffe auf Medienschaffende.

Diese fünf oben genannten Praktiken haben sich in den letzten vier Wochen nicht nur wiederholt, sondern intensiviert. Neben der hohen Zahl an getöteten und verletzten Demonstrierenden gelten immer noch mindestens 132 Personen als vermisst.