Argentinien / Politik

Niederlage bei Vorwahlen löst schwere Regierungskrise in Argentinien aus

Bruch in Regierungskoalition Frente de Todos. Cristina Kirchner kritisiert Präsident Fernández öffentlich. Minister:innen treten zurück

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Präsident Fernández (rechts) bei der Vereidigung der neuen Minister am Montag. Links neben ihm der neue Kabinettschef Juan Manzur
Präsident Fernández (rechts) bei der Vereidigung der neuen Minister am Montag. Links neben ihm der neue Kabinettschef Juan Manzur

Buenos Aires. Nach den schweren Niederlagen der linksgerichteten Regierungskoalition Frente de Todos bei den Vorwahlen (amerika21 berichtete) am 12. September steckt Argentinien in einer schweren Regierungskrise. Der Bruch geht mitten durch das Regierungsbündnis. Nach internen Auseinandersetzungen zwischen Präsident Alberto Fernández und seiner Vize, der ehemaligen Präsidentin Cristina Kirchner, über den Kurswechsel vor den Parlamentswahlen am 14. November hatten mehrere Minister:innen drei Tage nach der Vorwahlniederlage ihren Rücktritt angeboten. Darunter waren vor allem Funktionär:innen, die dem Kurs von Kirchner folgen.

Innenminister Eduardo De Pero machte den ersten Schritt, ihm folgten Justizminister Martín Soria, der Wissenschaftsminister Carlos Salvarezza, Kulturminister Tristán Bauer und Umweltminister Juan Cabandie sowie die Leitungen der Sozialbehörde Anses und der Rentenversicherung Pami.

Nach den Ankündigungen drückte Präsident Fernández auf Twitter seine Unzufriedenheit aus: "Es ist nicht an der Zeit, Diskussionen aufzuwerfen, die uns vom Weg abbringen", schrieb er, und: "Die Regierungsführung wird sich weiterhin so entwickeln, wie ich es für richtig halte. Dafür wurde ich gewählt".

Wenig später reagierte Cristina Kirchner mit einem offenen Brief auf die Nachrichten. Nach der Wahlschlappe mit 31 Prozent der Stimmen auf Bundesebene, kritisierte Kirchner Präsident Fernández für seine "verfehlte Sparpolitik" in "sozial empfindlichen Zeiten". Es brauche, so Kirchner, Änderungen im Kabinett, da es Funktionärinnen und Funktionäre gebe, "die nicht funktionieren". Mit Blick auf die Wahlniederlage sprach sie von einer "politischen Katastrophe". Sie betonte zudem, dass sie es gewesen sei, die Fernández als Kandidat für die Präsidentschaft überhaupt erst vorgeschlagen habe.

Am Montag stellte Präsident Fernández offiziell sieben neue Minister für den Neustart der peronistischen Regierungskoalition vor. Der Gouverneur der Provinz Tucumán, Juan Manzur, ist nun neuer Kabinettschef und ersetzt damit Santiago Cafiero, den Vizepräsidentin Cristina Kirchner öffentlich kritisiert hatte. Cafiero selbst ist nun Außenminister und ersetzt Felipe Solá. Zudem gibt es einen neuen Minister für Landwirtschaft, einen für Bildung und einen für Wissenschaft sowie mit Aníbal Fernández einen neuen Minister für Sicherheit. Juan Manzur und Aníbal Fernández hatten bereits zur Zeit der Regierung von Néstor Kirchner (2003 bis 2007) hohe Ämter inne – der Wechsel im Kabinett zeigt den Druck, den Cristina Kirchner gegen den Kurs von Präsident Fernández ausgeübt hat.

Nach den Umbesetzungen erklärte Alberto Fernández die Krise für überwunden: "In Zeiten der Pandemie bitte ich jeden und jede Einzelne, alle Kräfte einzusetzen. Die Lösung ist es, so vereint wie noch nie dem, was fehlt, zu begegnen. Ihr werdet mich nicht in unnötige Diskussionen oder interne Streitigkeiten verwickelt sehen."

Die Vorwahlen in Argentinien zeigen auch die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Corona-Politik der peronistischen Regierung. Die Armutsquote ist seit Beginn der Pandemie weiter gestiegen und beträgt derzeit, ebenso wie die Inflation, fünfzig Prozent. Der harte Lockdown traf vor allem eine große Zahl von Menschen, die im informellen Sektor arbeiten. Zudem sorgte kurz vor der Wahl ein Foto von Präsident Fernández für einen Skandal: Es zeigt ihn zur Zeit des strikten Lockdowns im Juli 2020 in großer Runde auf der Geburtstagsfeier seiner Frau. Gleichzeitig erhielten hochrangige Parteifunktionäre bevorzugt Impfungen. Mit oder in Folge einer Corona-Infektion sind in Argentinien nach offiziellen Angaben inzwischen mehr als 100.000 Menschen gestorben.

Die Abstimmung bei den Vorwahlen gelten als Stimmungstest für die Parlamentswahlen am 14. November. Üblicherweise wird die Präsidentschaft in Argentinien zwischen dem eher linksgerichteten peronistischen und dem konservativ-liberalen Lager entschieden. Diesmal zeigte sich mit 13,7 Prozent der Stimmen überraschend erfolgreich der libertäre Ökonom Javier Milei. Milei inszeniert sich auch in sozialen Netzwerken als Gegenfigur zu etablierten Parteien und verkündet immer wieder extreme Positionen von der Abschaffung der Steuern bis hin zur Abschaffung des Staates. Milei findet vor allem bei einer jungen Generation von Argentinier:innen Anklang, die sonst eher politikverdrossen sind.