Chile / Politik

Stichwahl um Präsidentschaft in Chile "zwischen Barbarei oder Demokratie"

Ultrarechter José Antonio Kast mit 27,9 Prozent Wahlsieger. Linkskandidat Gabriel Boric erzielt 25,8 Prozent. Stichwahl am 19. Dezember

chile_wahlen_21-11-2021-2.jpg

Nur knapp 50 Prozent der Wahlberechtigten haben am Sonntag ihre Stimme abgegeben
Nur knapp 50 Prozent der Wahlberechtigten haben am Sonntag ihre Stimme abgegeben

Santiago. Das Schreckgespenst vieler Linker ist wahr geworden: In der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen führt ein offener Anhänger der Militärdiktatur von Augusto Pinochet (1973‒1990). Mit 27,9 Prozent liegt der ultrarechte José Antonio Kast vorn. Er wird am 19. Dezember zur Stichwahl gegen den Zweitplatzierten, den Linksreformisten Gabriel Boric antreten, der auf 25,8 Prozent gekommen ist.

An dritter Stelle steht mit knapp 13 Prozent der politische Außenseiter Franco Parisi, ein Kandidat, der seine Kampagne per Zoom aus seiner Wahlheimat USA geführt hat. Die beiden Kandidat:innen der bisher dominierenden Mitte-Links-Koalition und der Rechten sind abgeschlagen mit jeweils um die zwölf Prozent auf dem vierten und fünften Platz.

Bei den Parlamentswahlen sieht die Lage ähnlich aus: Zwar konnten die ehemaligen großen Blöcke Teile ihrer Sitze beibehalten, jedoch sind die Mitstreiter:innen von Kast und Parisi die Sieger:innen der Stunde. Auch einzelne linke Aktivist:innen haben den Sprung von der Straße ins Parlament geschafft. So etwa Fabiola Campillai, deren Gesicht im November 2019 durch einen Gasgranatenschuss durch die Polizei entstellt wurde. In Folge dessen ist sie erblindet und hat keinen Geruchssinn mehr. Nun sitzt sie als erste blinde Person im chilenischem Senat.

Es ist ein Epochenwechsel, doch anders als es sich bei der Wahl zum Verfassungskonvent abzeichnete, führt die Unzufriedenheit der letzten Jahre nicht zwingend zu einem Linksrutsch.

Sowohl Kast als auch Parisi stellen sich als Opposition zum rechten Präsidenten Sebastián Piñera dar. Während Kast seine Wahlparty im Oberschichtsviertel Las Condes durchführte, befand sich die Bühne von Boric im hippen Ausgehviertel Barrio Italia. Beide Orte sind stellvertretend für den Hintergrund der zwei Kandidaten.

Kast ist ein Vertreter der reichen Oberschicht, sein Wahlerfolg beruht auf dem Versprechen, Ordnung zu schaffen. Er will mit purer Staatsgewalt die Drogenkriminalität, aber auch die regelmäßig aufkommenden Proteste eindämmen. Sein Wahlprogramm ist eine Mischung aus erzkonservativen Werten und neoliberaler Wirtschaftspolitik und stellt ein Revival der ehemaligen Militärdiktatur dar.

Boric vertritt eine progressive linke Mittelschicht. Er hat es jedoch nicht geschafft, das Vertrauen der ärmeren Bevölkerung zu gewinnen. Gerade außerhalb von Santiago schnitt der ehemalige Studierendenanführer sehr schlecht ab. In mehreren Regionen kam nicht er, sondern Parisi auf Platz zwei bei der Wahl.

Ein Wahlsieg von Kast würde nicht nur soziale Aktivist:innen gefährden und die Rechte von Frauen massiv einschränken, sondern auch den verfassungsgebenden Prozess. Derzeit schreibt ein linksdominierter Konvent eine neue Verfassung nach einem Referendum von Oktober 2020. Kast war von Beginn an gegen diesen Prozess, der ein Ende der noch aus der Zeit der Diktatur stammenden Verfassung bedeuten würde.

gabriel-boric-jose-antonio-kast.jpg

Gehen am 19. Dezember in die Stichwahl: Gabriel Boric und José Antonio Kast (Kollage)
Gehen am 19. Dezember in die Stichwahl: Gabriel Boric und José Antonio Kast (Kollage)

Die kommunistische Parlamentarierin Camila Vallejo, die nicht zur Wiederwahl antrat, schreibt deswegen auf ihrem Twitterkanal, die Stichwahl sei eine Entscheidung zwischen "Barbarei oder Demokratie".

Gleich am Sonntagabend machte der Präsidentschaftskandidat Sebastián Sichel des aktuellen regierenden rechten Bündnisses Chile Vamos eine wenig überzeugende Unterstützungszusage an Kast: "Ich habe von Beginn an gesagt, dass ich Boric auf keinen Fall wählen werde", sagte er gegenüber der Presse. Es gäbe allerdings wichtige programmatische Unterschiede mit Kast, die vor einer Unterstützung ausdiskutiert werden müssen.

Gleichzeitig machten alle Kandidat:innen der politischen Mitte und der Linken klar, Boric in der zweiten Runde zu unterstützen. Der Präsident der Sozialistischen Partei, welche die fünftplatzierte Christdemokratin Yasna Provoste unterstützte, sprach von einer sofortigen Unterstützung "ohne Verhandlungen". Der sechstplatzierte Marco Enríquez-Ominami fordert die Bildung eines Bündnisses, "um gemeinsam die extreme Rechte zu besiegen".

Bislang ist völlig offen, wer von beiden Kandidaten die Wahl gewinnen wird. Beide werben um die Stimmen der politischen Mitte. Eine weitere Unsicherheit ist die Wahlbeteiligung. Obwohl Chile derzeit tiefgreifende Änderungen durchlebt, ist die Hälfte der Wahlberechtigten den Wahlen ferngeblieben – und es ist nicht zu erwarten, dass sich dies in der kommenden Stichwahl ändern wird.